IS-Gefangene zu Beziehungen zwischen IS und Türkei – Teil 2

Heute setzen wir die Reihe von Interviews mit gefangenen IS-Dschihadisten fort. Emre Ozanoğlu war in einer Spezialeinheit des IS für Propaganda in der Türkei und in der Schleusung von Dschihadisten nach Syrien tätig.

Emre Ozanoğlu, geboren 1991 in Ankara, lernte den „Islamischen Staat“ (IS) durch Freunde seines Vaters kennen und schloss sich der Dschihadistengruppe an. Ende 2014 ging er zusammen mit seiner Ehefrau Başak nach Syrien.

Propagandaaufgaben für den IS in Ankara

Später ergab sich Emre Ozanoğlu zusammen mit seiner Frau den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und befindet sich jetzt in Gefangenschaft. Gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA berichtete er von Propagandagruppen des IS in der Türkei: „In Ankara gab es eine Person mit dem Namen Selahattin. Seine Aufgabe war es, für den IS zu rekrutieren und Muhadschirun [ausländische Dschihadisten] nach Syrien zu bringen.“

Ozanoğlu erklärte, er selbst habe keine weiteren Informationen über Selahattin, er sei über seinen Vater in Kontakt mit ihm gekommen. Er bestätigt die Aussagen des gestern porträtierten türkischen Dschihadisten Oğuzhan Emre, der einen Kamil Nuhoğlu als Verantwortlichen für den IS in Ankara beschreibt, der unter anderem auch die Propaganda-Gruppe leitete. Ein Dschihadist mit diesem Namen wurde bei der Befreiung von Raqqa getötet.

Anschluss an den IS

Ozanoğlu bestieg in Ankara mit seiner Ehefrau Başak und seinem Vater Rıfat ein von „Selahattin“ zur Verfügung gestelltes Fahrzeug und machte sich auf den Weg nach Syrien. Der Fahrer wurde „Terzi Ahmet“ genannt, es befanden sich auch zwei Personen mit den Namen Taha und Muhsin und ihren Familien im Fahrzeug. Sie wurden nur am Ausgang von Ankara auf dem Weg nach Dîlok (Antep) kontrolliert. Nach der 15-minütigen Kontrolle, bei der sich der Fahrer und die Polizisten unterhielten und die Familien nicht einmal aussteigen mussten, fuhren sie im gleichen Fahrzeug bis Dîlok weiter. Auch danach setzten sie ihre Reise zum IS unbehelligt fort. Das ist insofern auffällig, da zu diesem Zeitpunkt massive und systematische Kontrollen insbesondere auf den Straßen in den Osten stattfanden. In Dîlok wurden sie den dortigen IS-Mitgliedern übergeben und ohne jegliches Problem über die Grenze gebracht. Ozanoğlu sagt: „Ohne jegliches Hindernis sind wir mit einem ‚Transit‘ über die Grenze nach Rai gefahren. Wir haben an der Grenze keinen einzigen Soldaten gesehen.“

In Rai wurden die Frauen und Männer voneinander getrennt. Ozanoğlu und sein Vater wurden in einen Raum gebracht, wo sie gemeinsam mit anderen ausländischen IS-Anwärtern warteten. Einen Tag später seien er und sein Vater in einer Gruppe türkischer Dschihadisten zur militärischen Ausbildung in das Dorf Shahitat in der Region Hemam geschickt worden.

Mitglied der „Istanbul-Gruppe“

Nach der Ausbildung in Shahitat wurde Ozanoğlu einer Einheit zugeteilt, die sich „Istanbul-Gruppe“ nennt und überwiegend aus Männern aus dem Istanbuler Stadtteil Sultanbeyli bestand. Dann absovlierte er in Deir ez-Zor eine weitere militärische Ausbildung und wurde nach Bab verlegt. Dort wurde er damit beauftragt, in einer 70-köpfigen türkischen IS-Einheit in der Umgebung von Girê Spî gegen die YPG und YPJ zu kämpfen.

Über den Kampf gegen YPG und YPJ berichtete Ozanoğlu: „Ich hatte mich im Krieg sehr gefürchtet. Deshalb wollte ich hinter der Front arbeiten. In Tell Abyad [Girê Spî] konnten wir uns nicht gegen die YPG halten. Es gab viele Tote und wir mussten uns zurückzuziehen.“

Nach der Befreiung von Girê Spî durch die YPG und YPJ ging er mit seinem Vater und seiner Ehefrau nach Raqqa. Dort arbeitete er nach eigenen Angaben zusammen mit seinem Vater in der Fahrzeugproduktion. Als die QSD auf Raqqa vorrückten, ging Ozanoğlu nach Mayadin.

Vater verübt Selbstmordanschlag gegen Regimekräfte

In Mayadin gab es keine Möglichkeit, hinter der Front zu arbeiten. Entweder man schloss sich den Einheiten von Selbstmordattentätern an oder man kämpfte an vorderster Front. Ozanoğlus Vater Rıfat schloss sich einer Einheit für Selbstmordanschläge an.

Ozanoğlu sagt, sein Vater sei naiv gewesen und habe alles sehr schnell geglaubt: „Einer mit aserbeidschanischem Akzent versuchte meinen Vater zu einem Selbstmordanschlag auf Regime-Einheiten in al-Mayadin zu überreden. Er sagte: ‚Onkel, am Ende steht der Himmel, du kannst es machen.‘ Ich versuchte meinen Vater davon zu überzeugen, dass er es nicht macht, aber er hörte nicht auf mich. Dann ist er weggegangen und ich habe nichts mehr von ihm gehört. Nach 20 Tagen hörte ich von einem Freund, dass mein Vater mit einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug Soldaten des syrischen Regimes angegriffen habe.“

Als die Offensive der QSD auf Deir ez-Zor den Bewegungsspielraum des IS immer weiter einschränkte, haben sich Emre Ozanoğlu und seine Frau den QSD ergeben.