IRC: Mangel an Testmaterial in Nordostsyrien

Im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zeichnet sich ein Engpass beim Verbrauchsmaterial für Corona-Tests ab. Das einzige Testlabor in Qamişlo könnte bereits in weniger als einer Woche gezwungen sein, die Kapazitäten runterzufahren.

Im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien zeichnet sich ein Engpass beim Verbrauchsmaterial für Corona-Tests ab. Das Covid-19-Labor in Qamişlo, das einzige vollausgestattete Testlabor der Selbstverwaltung, könnte bereits in weniger als einer Woche gezwungen sein, wegen eines kritischen Mangels an RNA-Extraktionskits die Tests herunterzufahren, warnte das International Rescue Committee (IRC) am Donnerstag. Dies hätte verheerende Auswirkungen, denn zum Nachweis von Viruspartikeln in Abstrichproben müssen sowohl das Virus selbst als auch die RNA (Ribonukleinsäure) vor dem PCR-Verfahren mit diesen Analysekits isoliert werden.

Um Corona unter Kontrolle zu behalten und die Pandemie einzudämmen, ist das Testen von entscheidender Bedeutung. Denn werden Virusträger:innen frühzeitig entdeckt, kann verhindert werden, dass sich Menschen anstecken, die möglicherweise ein hohes Risiko haben, einen schweren, schwersten oder gar tödlichen Krankheitsverlauf zu erleiden. Das wiederum führt zu einer Entlastung des Gesundheitssystems, das in Nord- und Ostsyrien kriegsbedingt ohnehin fragil ist. Zudem können die Kontakte von positiv getesteten Personen durch das Testen besser nachvollzogen werden. Dies erschwert die weitere Ausbreitung des Virus ebenfalls.

IRC auch wegen mangelnder Sauerstoffgeräte in Alarmbereitschaft

Angesichts der zuletzt steigender Infektionszahlen im nordostsyrischen Autonomiegebiet zeigt sich das IRC besonders alarmiert. Bis Donnerstag (29. April) wurden in der Region 15.796 Infektionen mit dem Erreger von Covid-19 seit Ausbruch der Pandemie labordiagnostisch bestätigt – über 5.300 dieser Fälle wurden allein in diesem Monat festgestellt. Das ist mehr als die Hälfte der Gesamtzahl für das ganze Jahr 2020. Laut IRC lag die Positivrate bei den PCR-Tests auf SARS-CoV-2 in den letzten sieben Tagen bei 46 Prozent. Neben dem dringenden Bedarf an mehr Testmaterial sind aber auch die Corona-Kliniken in Nord- und Ostsyrien überlastet. „Die meisten Einrichtungen sind bereits an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt, sieben Kliniken mussten im März aufgrund fehlender Finanzierung ihren Betrieb einstellen, weitere sechs sind nun ebenfalls gefährdet”, so das International Rescue Committee. Darüber hinaus herrscht in Deir-ez-Zor ein akuter Mangel an Sauerstoffgeräten. „Mindestens ein Krankenhaus in der Region hat erklärt, dass ihm die Medikamente ausgehen, und die Leitung befürchtet, dass es seine Pforten schließen muss, wenn die Regale nicht aufgefüllt werden.”

Bisher nur gut 41.500 Tests in Autonomiegebieten

Laut Misty Buswell, IRC-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika, standen in Nordostsyrien zu keinem Zeitpunkt seit Ausbruch der Corona-Pandemie ausreichend Test zur Verfügung. Doch nun drohe die vollständige Ausschöpfung der Testkapazität. „Bislang wurden in der Region nur 41.500 Tests durchgeführt. Wenn das Labor in Qamişlo nicht mehr in der Lage ist, zu testen, dann wird die Fähigkeit, die Ausbreitung des Virus im Nordosten Syriens zu kontrollieren, ernsthaft beeinträchtigt sein”, sagte Buswell. Obwohl die ersten Impfstoffdosen bereits in Syrien eingetroffen sind, wurden weniger als 100.000 für den Nordosten bereitgestellt. „Das ist viel zu wenig. Mit dieser Lieferung wäre es gar nicht möglich, alle Gesundheitsbediensteten und die am meisten gefährdeten Menschen in der Region zu versorgen. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir auch gar nicht, wann diese Dosen den Nordosten überhaupt erreichen werden.”

Sterberate bei Beatmungspatient:innen bei 83 Prozent

Laut Buswell liege die Sterberate der Beatmungspatient:innen in Nordostsyrien bei 83 Prozent. „Wir befürchten, dass es nur noch schlimmer wird. Behandlungseinrichtungen müssen aufgrund mangelnder Finanzierung schließen, Sauerstoffgeräte gehen langsam zur Neige, und die Zahl der COVID-19-Fälle beläuft sich aktuell auf den höchsten Wert seit Beginn der Pandemie. Das Gesundheitssystem ist überfordert, und die Situation verschlechtert sich extrem schnell”, so Buswell.

IRC fordert internationale Unterstützung und Wiedereröffnung von Grenzübergang

Die Gesundheitsbehörden im Autonomiegebiet haben um Unterstützung gebeten, um den kritischen Mangel an Testmaterial zu beheben. Alle Hilfsorganisationen in der Region, einschließlich das IRC, prüften derzeit alle diesbezüglichen Möglichkeiten. Das IRC ruft ebenfalls dringend zur Finanzierung und Unterstützung der Maßnahmen auf, um die noch bestehenden großen Lücken zu schließen. Es wiederholt auch seine Forderung an den UN-Sicherheitsrat, den Grenzübergang Yarubiyah (ku. Til Koçer) an der syrisch-irakischen Grenze mit sofortiger Wirkung wieder für den UN-Mechanismus zu öffnen. Yarubiyah war der einzige Grenzübergang, über den offizielle UN-Hilfsgüter unabhängig vom syrischen Regime in Damaskus in den Nordosten des Landes gelangen konnten – verankert in der UN-Resolution 2156 zur grenzüberschreitenden Humanitären Hilfe (Cross-Border-Hilfe) in Syrien. Seit Januar 2020 ist dieser Grenzübergang aufgrund eines Vetos von Russland und China im UN-Sicherheitsrat geschlossen.