Internationalistische Kommune: Schutz Rojavas überall entwickeln

„Wir hoffen, dass unsere Genoss*innen ihren Platz in dieser Revolution in Rojava oder den Kampf dafür an allen anderen Orten der Welt finden und dass diese Revolution ein wichtiger Schritt zur Überwindung des Patriarchats und des Kapitalismus sein wird.“

Das Redaktionsteam von Komun Academy hat ein Interview mit der Internationalistischen Kommune Rojava geführt. Die Kommune wurde im Sommer 2017 als politischer Raum für Internationalist*innen aus aller Welt zur Teilnahme an der Revolution in Rojava gegründet und betreibt die internationalistische Akademie Şehîd Hêlîn Qereçox, benannt nach der britischen YPJ-Kämpferin Anna Campbell, die bei der Verteidigung Efrîns gegen die türkische Invasion 2018 gefallen ist. Die Akademie bietet Bildung über die ideologischen Grundlagen der kurdischen Revolution sowie die Geschichte des Internationalismus an, um Perspektiven für den globalen demokratischen Konföderalismus zu diskutieren.

Jeder ist neugierig auf das Leben in der Internationalistischen Kommune Rojava! Viele Menschen außerhalb Rojavas besuchen Eure Website und lesen über Eure Arbeit und Eure Perspektiven auf verschiedenen Plattformen. Könntet Ihr uns mehr darüber erzählen, wie Ihr Euer Leben organisiert? Was bedeutet es, eine Kommune zu sein?

Eine Kommune zu sein, bedeutet eine Menge Dinge gleichzeitig. Einerseits sind wir ein Ort für internationalistische Aktivist*innen, um an der Revolution in Rojava teilzunehmen. Gleichzeitig gibt es auch die internationalistische Akademie, um die ideologischen Grundlagen dieser Revolution zu verstehen. Wir bilden auch Genoss*innen über die Geschichte des Internationalismus aus, damit jede und jeder die Möglichkeit hat, ein Verständnis dafür zu entwickeln, was Internationalismus heute bedeuten könnte.

Teil der Kommune zu sein bedeutet manchmal auch, dass wir hier vor Ort der Internationalistischen Kommune tatsächlich zusammenbleiben und unser Leben auf kommunalistische Weise organisieren. Wir treiben gemeinsam Sport oder organisieren kleine Seminare zu Themen, die für ein Projekt oder unser Verständnis der Revolution relevant sind. Das letzte Seminar, das wir zusammen abhielten, war zum Beispiel eins über Orientalismus. Die Genoss*innen haben auch die Möglichkeit, sich an allen anderen revolutionären Arbeiten zu beteiligen, die in Rojava stattfinden, wie z.B. der Gesellschaftsarbeit oder der Arbeit in Institutionen oder Strukturen. In der Gesellschaftsarbeit organisieren unsere Genoss*innen die Jugend oder setzen Pläne wie kommunale Aktivitäten um. Aus dem Rahmen der Kommune sind mehrere Initiativen entstanden, zum Beispiel die ökologischen Arbeiten der Kampagne „Make Rojava Green Again".

Im Allgemeinen können wir sagen, dass die Art von Internationalismus, die heute in Rojava in die Praxis umgesetzt wird, viele Aspekte hat und für jede Ebene der Verteidigung der Revolution relevant ist. Unsere Genoss*innen kommen von vielen Orten. In letzter Zeit haben sich viele Genossen aus Katalonien, der Schweiz, England und Deutschland unserer Arbeit angeschlossen.

Welche Rolle spielt die Bildung in Eurem Leben in der Kommune? Lernt Ihr in Rojava neue Dinge? Woher erhaltet Ihr neues Wissen?

Bildung ist ein kontinuierlicher Teil der Revolution. Wir öffnen unsere Akademie, um neu angekommenen Freund*innen eine ideologische Ausbildung zu geben, arbeiten aber auch kontinuierlich. In Phasen der praktischen Arbeit lesen alle, diskutieren und versuchen, sich zu entwickeln. Bildung kann auch darin bestehen, Institutionen zu besuchen oder ideologische Diskussionen mit jemandem aus der Gesellschaft zu führen. Auch der Versuch, Projekte in die Praxis umzusetzen, ist etwas, das uns weiterbringt. Wir lernen uns selbst kennen, wenn wir uns kritisch fragen: Warum war ich nicht in der Lage, ein Baumpflanzungsprojekt erfolgreich durchzuführen?

Vor allem Neuankömmlinge lernen in kurzer Zeit eine Menge Dinge. Kurdisch zu lernen ist auch etwas sehr Wichtiges, dem besonders neue Freund*innen viel Zeit widmen, denn es ist auch die Basis für alles andere.

Das meiste Wissen auf praktischer Ebene kommt aus der Gesellschaft oder von Genoss*innen, die länger hierbleiben, denn man muss die Mentalität und die Organisation in Rojava verstehen, um etwas in die Praxis umzusetzen.

Wir entwickeln unsere Gedanken ständig weiter, denn unter den Bedingungen von Krieg und Embargo müssen wir auch begreifen, wie man etwas dauerhaft aufbauen kann.

Inwieweit prägt das Gemeinschaftsleben Euer Bewusstsein? Spürt Ihr Unterschiede zwischen Eurem Leben in der Kommune und der politischen Arbeit, die Ihr in Euren Heimatländern in dieser Hinsicht geleistet habt?

Das Gemeinschaftsleben lässt einen anders denken, denn es ist die Basis des sozialen Denkens und Planens, nicht nur für sich selbst. Man beginnt, nicht mehr so viel auf individueller Ebene zu denken: Die Überlegung „Ist das gut für mich?" wird zur Frage: „Wird das einen Fortschritt bringen?“ Wir sind in der kapitalistischen Moderne oft in Konflikte geraten, weil wir zu einem großen Teil egoistische Motive verfolgten. Wir dachten, dass wir glücklicher wären, wenn wir unser eigenes Zimmer, unser Haus, unser Auto und unseren persönlichen Zeitplan hätten. Aber das ist nicht der Fall, am Ende macht es die Menschen einsam. Im Gemeinschaftsleben ist man fast nie allein, weder in einem ideologischen oder emotionalen noch in einem physischen Sinn. All die Kämpfe und Widersprüche, selbst die Tage, an denen es im Haus zu kalt ist – alles wird mit den Genoss*innen geteilt. Vielleicht gab es eine gewisse Einheit, ein gewisses Gemeinschaftsgefühl in unserem Leben in Europa, wenn wir gekämpft haben. Aber je stärker der Kampf von Rojava wird, desto mehr wächst die Gemeinschaftlichkeit. Wichtig ist auch die Frage, wie gut es uns selbst gelingt, unsere Persönlichkeit zu verändern und unseren Platz im Kampf zu finden. Nichts in unserem Leben hier bleibt im Abstrakten, alle unsere Widersprüche oder Probleme äußern sich in deinem Leben, und so lernst du, mit dir und anderen zu kämpfen und dich zu entwickeln.

Die Mitglieder der Kommune, insbesondere die Frauen, haben eine ausgezeichnete Arbeit über den Kampf gegen das Patriarchat veröffentlicht. Gibt es besondere autonome Bemühungen der Frauen in der Kommune?

Die Kommune ist ein Ort, an dem wir versuchen, die Ideologie der kurdischen Frauenbewegung und von Abdullah Öcalan in eine Praxis umzusetzen, die für uns als internationalistische junge Frauen sinnvoll ist. In diesem Sinne können wir auch sagen, dass wir immer die Notwendigkeit gesehen haben, auch autonome Programme, Bildungstage, die Möglichkeit, eine Zeit lang an den Arbeiten der Frauenbewegung teilzunehmen oder sich den Jinelojî-Ausbildungen anzuschließen, zu haben. Wir haben ein großes Bedürfnis gesehen, uns zu entwickeln, um eine kämpferische Persönlichkeit im Kampf für die Freiheit der Frauen entwickeln zu können. Andererseits müssen wir sagen, dass die Versuche der Türkei, Rojava zu zerstören, und das Ziel anderer Staaten wie Russland und den USA, die Revolution zu ersticken und ihrer Bedeutung zu berauben, einen tiefgreifenden Einfluss auf die Situation der Frauen in Rojava haben. Daher hat sich unsere Arbeit nach der letzten Offensive verändert. Jetzt können wir sagen, dass beispielsweise die Genoss*innen in den gesellschaftlichen Arbeiten eine sinnvolle Rolle bei der Organisation junger Frauen spielen, aber auch die Möglichkeit bekommen, die Befreiung der Frauen und gleichzeitig sich selbst tiefer zu verstehen. Wir nehmen an den Arbeiten der Vereinigung junger Frauen von Rojava teil, und es ist auch möglich, dass die Genossinnen an den Arbeiten von Kongreya Star, der allgemeinen Frauenbewegung in Rojava, teilnehmen. Sowohl junge Frauen als auch Frauenorganisationen nehmen an der Organisation der Gesellschaft und der Lösung von Problemen der Frauen in Rojava teil, nur mit einem anderen Schwerpunkt, je nach der Rolle, die junge Frauen und Frauen in der Gesellschaft einnehmen.

Ihr haben vor kurzem die Kampagne „Make Rojava Green again“ gestartet, und das Buch, das Ihr über diese Arbeit geschrieben haben, ist vor kurzem veröffentlicht worden. Könnt Ihr uns Euer Verständnis der Ökologie, einschließlich ihrer sozialen Auswirkungen, erklären?

Wir verstehen Ökologie als etwas, das nicht erreicht werden kann, ohne auch das statistische System und die hierarchische, patriarchalische Gesellschaft zu überwinden. Im Patriarchat wird die Natur als etwas gesehen, das dem Menschen unterworfen ist und das man ohne Einschränkungen nutzen kann. Aber wir sehen die Notwendigkeit, diese Mentalität um des Menschen und der Natur willen zu überwinden. Es ist notwendig, die Natur als etwas Lebendiges zu sehen, und solche eine Haltung braucht eine Gesellschaft ohne Unterdrückung, um zu gedeihen. Wir müssen die Fähigkeit der Gesellschaft stärken, sich selbst zu demokratisieren und neu zu schaffen, um dann auch in der Lage zu sein, die Wirtschaft in einem nachhaltigen und lokalen Rahmen zu entwickeln, um die Grundbedürfnisse des Menschen und nicht den Profit in den Mittelpunkt zu stellen.

Die ökologische Katastrophe ist natürlich ein globales Problem, das alles Leben auf unserem Planeten betrifft. Zugleich haben etatistische Formen des Sozialismus/Befreiungskämpfe mit ihren modernistischen und industriepolitischen Perspektiven dieses Thema, um es vorsichtig auszudrücken, oft vernachlässigt.

Es scheint bezeichnend, dass Ihr Euch entschieden haben, als Internationalist*innen im Bereich Ökologie zu arbeiten. Wie ist die theoretische und praktische Beziehung zwischen ökologischen Kämpfen und dem Wesen der Revolution?

Heute wird ein schrecklicher Krieg gegen die Revolution in Rojava geführt. Dieser Krieg hat auch große ökologische Auswirkungen, er hindert uns daran, bei der Entwicklung eines neuen, ökologischen Wirtschaftssystems voranzukommen. Er zerstört die Gesellschaft und ihre Fähigkeit, auf der Grundlage des Aufbaus eines lokalen ökologischen Ernährungssystems voranzukommen. Wir können also sagen, dass die Staaten diese Frage nicht nur vernachlässigen, sondern darauf abzielen, diese Revolution und die Lösung, die sie für die ökologischen Probleme bieten könnte, zu zerstören. In diesem Sinne können wir auch sehen, dass sich immer mehr kämpfende Umweltaktivist*innen in Europa für die Revolution in Nord- und Ostsyrien interessieren. Nicht nur wir haben beschlossen, dass wir uns mit der Ökologie beschäftigen werden, sondern es ist eine große Suche nach Veränderung, die wir jetzt allgemein in der Gesellschaft auf der ganzen Welt sehen können.

In der jüngsten Vergangenheit hat insbesondere die Frauenbefreiungsbewegung in Kurdistan die Notwendigkeit zum Ausdruck gebracht, über die Solidarität hinauszugehen und konkrete, gemeinsame Kämpfe für globale Befreiung und Demokratie aufzubauen. Seid Ihr mit dieser Perspektive einverstanden? Wenn ja, wie beurteilt Ihr die Rolle der Internationalistischen Kommune von Rojava bei der Artikulation des Internationalismus im 21. Jahrhundert?

Wir stimmen mit dem Konzept für den Aufbau einer globale Frauenbefreiung und für den Kampf für Demokratie überein, zumal die Frauenbewegung diese Perspektive jetzt zu einer Initiative für eine globale Perspektive im Rahmen des demokratischen Konföderalismus weiterentwickelt. Wir streben an, dass alle unsere Genossinnen und Genossen ihre Rolle beim Aufbau dieser Perspektive spielen. Wenn wir erfolgreich sein wollen, das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Frauen zu machen, wie Abdullah Öcalan sagte, müssen auch wir als internationalistische junge Frauen einen Schritt nach vorne machen. Bei all unseren Arbeiten können wir uns fragen, wie wir dies auf praktischer Ebene tatsächlich erreichen wollen. Wir können sehen, dass die Internationalistische Akademie ihren Teil zu diesem Prozess beitragen wird, indem sie Ausbildung anbietet. Gleichzeitig ist es gerade für die Genossinnen und Genossen aus Europa wichtig, die Individualisierung zu überwinden, denn die Gesellschaften Europas sind durch das statistische und kapitalistische System stark geschädigt worden, und so wird auch die freie Frau gezwungen, sich dem System zu unterwerfen. In diesem Sinne halten wir es für wichtig, an unserer Einstellung zur Bildung einer Gesellschaft zu arbeiten, um die freie Frau wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu stellen.

Wie hat sich die türkische Invasion auf Eure Arbeit als Kommune ausgewirkt?

Im Allgemeinen ist es in Rojava während der Zeit der Invasion, aber auch bis heute, unser Ziel, alles zu organisieren, um die Verteidigungsfähigkeit der Revolution voranzubringen. Dabei spielen die Internationalist*innen der Kommune auf zwei Ebenen eine wichtige Rolle: Zum einen verteidigen sie ebenso die Werte des Internationalismus wie die Internationalist*innen des Mittleren Ostens.

Andererseits hat die Kommune auf praktischer Ebene einen bedeutenden Einfluss ausgeübt, indem sie sich an der Medien-, der Gesundheits-, der Kampagnen-, der gesellschaftlichen Arbeit und der Arbeit im Rahmen der allgemeinen Mobilisierung beteiligten. In all diesen Bereichen gibt es eine große Verbesserung der Kreativität und der Perspektive, wenn sich Menschen aus der ganzen Welt beteiligen.

Wir müssen auch feststellen, dass die Invasion einen Teil unserer Arbeit unmöglich macht. Einige ökologische Projekte vor Ort beispielsweise können unter diesen Bedingungen nicht weitergeführt werden, weil mehr Ressourcen für die Verteidigung benötigt werden, und es ist nicht möglich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, wenn die Situation schwierig ist.

Was sind konkrete Möglichkeiten, wie Internationalist*innen außerhalb Rojavas zur Verteidigung der Revolution beitragen können?

Wir hoffen, dass mehr und mehr Menschen die Revolution in Rojava als ihre Revolution verstehen werden. So halten wir es auch für notwendig, dass sie nicht als etwas Randständiges verstanden wird. Wir können sagen, dass nach den letzten Angriffen die Einschätzung getroffen wurde, dass zwei Themen einen großen Teil der Verteidigung der Revolution ausmachen: Die Kräfte vor Ort in Rojava und die Aktionen, die auf internationaler Ebene stattfinden. Daher müssen auch die konkreten Arbeiten der Internationalist*innen außerhalb Europas vielfältig sein: Es wird direkte Solidaritätsarbeit notwendig sein, aber auch Arbeiten auf vielen anderen Ebenen. Diplomatische Arbeit, Solidaritätsarbeit, Bildungsarbeit, aber auch der Aufbau apoistischer Organisationen in der ganzen Welt. Sei es beim Drängen auf ein tieferes Verständnis für die Arbeit in Jineolojî oder für die revolutionäre Jugendorganisation. Je besser wir die Perspektiven Abdullah Öcalans verstehen, desto mehr werden wir auch den Geist und die Kreativität finden, um auf allen Ebenen der Revolution Fortschritte zu erreichen. Und jeder dieser Freund*innen der Bewegung, jede Organisation, wird sich dann auch fragen, welche Rolle sie bei der Verteidigung der Revolution übernehmen können. Das ist es, was wir allen am meisten raten wollen: immer in Bewegung zu bleiben, weiter zu kämpfen und unser ganzes Herz und unsere Kreativität einzusetzen, damit wir unabhängig von allen Hindernissen den größten Fortschritt erreichen. Und wie unsere Genoss*innen immer sagen: Die erste Regel im Krieg ist, immer in Bewegung zu bleiben und schnell zu sein. Das gilt auch für jede Arbeit außerhalb Rojavas in Kriegszeiten. Wir müssen auf jede Möglichkeit vorbereitet sein, auch auf den schwersten Krieg.

Möchtet Ihr noch etwas hinzufügen?

Wir hoffen, dass unsere Genoss*innen ihren Platz in dieser Revolution in Rojava oder dem Kampf dafür an allen anderen Orten der Welt finden, denn wir hoffen, dass diese Revolution ein wichtiger Schritt zur Überwindung des Patriarchats und des Kapitalismus sein wird.