In Rojava wurde Newroz nie aufgegeben

Newroz war in Syrien jahrelang verboten, Feiernde wurden von Baath-Regime verhaftet und getötet. Jetzt wird es in ganz Nordostsyrien als große Versammlung der Völker gegen die Kolonisatoren und Besatzer gefeiert.

In Syrien war das Feiern des kurdischen Neujahrsfestes Newroz am 21. März jahrelang verboten. Viele Menschen wurden aus diesem Grund getötet. In Damaskus gingen 1986 Tausende Kurdinnen und Kurden auf die Straße, um Newroz zu feiern. Die Feiern wurden vom Bath-Regime angegriffen und der Kurde Silêman Adê kam dabei ums Leben. Auch nach der Ermordung von Silêman Adê setzten die Menschen ihren Widerstand fort und stellten die Newroz-Feiern nicht ein. Aus diesem Grund erklärte das Baath-Regime 1988 den 21. März als „Muttertag“ zum offiziellen Feiertag. Alle anderen Aktivitäten waren an diesem Tag verboten. Ein Jahr nach dem Angriff in Damaskus wurden während der Newroz-Feierlichkeiten im Haydariye-Viertel in Aleppo zahlreiche Menschen verhaftet.

Am 12. März 2004 brach in Qamişlo ein Aufstand aus, in der Folge wurden mindestens 34 Menschen bei pogromartigen Gewaltakten, die vom syrischen Geheimdienst geplant und initiiert worden waren, getötet. Danach verschärfte das baathistische Regime die Repression gegen die Newroz-Feiern. Trotzdem wurde am 21. März im Stadtteil Hilêliyê in Qamişlo gefeiert. Die Menschen skandierten stundenlang Parolen und sangen revolutionäre Lieder. Die Bevölkerung verwandelte Newroz in einen Aufstand gegen das Regime.

2008 wurden drei weitere junge Menschen bei einem Angriff von Regimekräften auf eine Newroz-Feier in Qamişlo getötet. 2010 wurden die Newroz-Feierlichkeiten in Raqqa angegriffen, zwei junge Männer und eine Frau kamen ums Leben, Dutzende Menschen verletzt. Im selben Jahr wurden während der Feierlichkeiten in Aleppo und Damaskus Tausende Kurdinnen und Kurden verhaftet und vor Militärgerichte gestellt.

Newroz nach der Revolution von Rojava

Seit der Revolution in Rojava im Jahr 2012 und der Einrichtung einer Autonomieverwaltung nehmen alle im Nordosten Syriens lebenden Bevölkerungsgruppen in großer Zahl an den Newroz-Feierlichkeiten teil. 2014 wurde Newroz mit dem Slogan „Die Autonomieverwaltung ist das demokratische Modell für ein buntes Syrien" gefeiert. Im Jahr darauf wurden in der Newroz-Nacht zwei Anschläge in Hesekê verübt, bei denen 53 Menschen ums Leben kamen und 130 Menschen verletzt wurden. An der Abschiedszeremonie für die Opfer der Anschläge nahmen Tausende Menschen teil und vermittelten die Botschaft, dass sich der Widerstandsgeist von Newroz nicht brechen lässt.

2016 wurde Newroz unter dem Motto „Vom freien Rojava zum demokratischen föderalen Syrien" gefeiert. Im Jahr 2017 wurde Newroz zum ersten Mal nach der Befreiung Ost-Aleppos von der Terrorherrschaft des IS begangen. Die Betonung lag bei den Feiern auf der Einheit der demokratischen Nation, die aus der nordostsyrischen Revolution hervorgegangen ist.

Newroz 2018 fand im Schatten der Besetzung von Efrîn durch die Türkei statt. Die Menschen gingen auf die Straßen und sagten: „Der Widerstand des Volkes von Efrîn wird das Newroz der Völker sein." Im darauffolgenden Jahr erklang zu Newroz der Slogan „Brechen wir die Isolation mit dem Geist von Newroz und befreien wir Efrîn", um auf die anhaltende Isolation Abdullah Öcalans aufmerksam zu machen.

Im Corona-Jahr 2020 wurden die Feierlichkeiten in kleinen Gruppen abgehalten. Überall in Rojava tanzten Menschen um die Feuerstellen und riefen Parolen. Auch im Jahr 2021 herrschte Begeisterung, Newroz wurde mit dem Slogan „Besiegen wir die Besatzer mit dem Geist des Widerstands" gefeiert. Letztes Jahr wurde „Die Zeit ist reif für die Freiheit von Abdullah Öcalan" gerufen.

Seit 1982 hat sich Newroz verändert

 

Der Schriftsteller Melevan Resul hat sich gegenüber ANF zu der veränderten Bedeutung von Newroz in der Region geäußert. Er sagt, dass das Neujahrsfest in den 1980er Jahren mit einer anderen Bedeutung gefeiert wurde: „Damals war ich noch ein Kind, und die Leute sahen Newroz als Picknick. Es war ein Fest, bei dem man aus Vergnügen zusammenkam. Die politischen Parteien betrachteten es nicht als einen Tag der Wiederbelebung oder der Revolte. 1980 wurde Newroz zum ersten Mal von der Pêşveru-Partei gefeiert, aber es war ein Fest, das sich auf Erklärungen beschränkte, keine volle Bedeutung hatte und der Stimmung eines Picknicks entsprach."

Die Art und Weise, wie Newroz gefeiert wurde, habe sich 1982 geändert, erklärt Resul: „Dass Mazlum Doğan seinen Körper im Kerker in Amed in Brand setzte, hatte große Auswirkungen in Rojavayê-Kurdistanê. Gerade zu dieser Zeit gab es eine revolutionäre Welle in der Region. Die Freiheitsbewegung hatte begonnen, in Rojava aktiv zu werden. Sie engagierte sich in der Bevölkerung. Mazlum Doğan hat unter den Menschen in Rojava den Geist der Rebellion geweckt. Newroz wurde zum Synonym für Widerstand und Berxwedan jiyan e [Widerstand heißt Leben] zum Slogan von Newroz in Rojava. Die Menschen wurden mit einer Realität konfrontiert, die aus einem Feiertag, der wie ein Picknick gefeiert wurde, einen Feiertag der Wiederbelebung machte."

Der Geist der Rebellion ist gewachsen

Melevan Resul erzählt, dass Menschen, die sich der kurdischen Freiheitsbewegung angeschlossen hatten, nach 1982 Folklore-, Theater- und Musikgruppen gründeten. „Der rebellische Geist breitete sich aus und wurde von Jahr zu Jahr größer. Von Dêrik bis Efrîn wurde Newroz als Auferstehungsfest gefeiert. Vor allem die Gefallenen in Bakurê-Kurdistanê [Nordkurdistan] haben die Menschen sehr betroffen gemacht. Der Zorn in der Bevölkerung wuchs dadurch. Immer mehr Menschen aus der Region schlossen sich der Guerilla an. Beim Tanzen ums das Newroz-Feuer wurde Rache angekündigt. So wurde das Feuer von Newroz immer größer. Auch die Angriffe des Baath-Regimes nahmen in dieser Zeit zu. Die Feiernden wurden zurückgedrängt, die Leute auf der Bühne in aller Eile heruntergeholt und an einen unbekannten Ort verschleppt. Es gibt Dutzende solcher Beispiele, aber der Geist der Rebellion ruhte nicht eine Minute lang. Die Newroz-Feierlichkeiten haben für unser Volk nie aufgehört, jedes Jahr wurden sie prächtiger und enthusiastischer begangen als im Vorjahr. Mit dem Adana-Abkommen von 1998 nahmen Gewalt, Unterdrückung und Verhaftungen zu. Menschen wurde kurdische Kleidung vom Leib gerissen; wer ein gelbes, rotes oder grünes Armband oder Kleid trug, wurde ausnahmslos mit Gewalt behandelt und anschließend in ein Verlies geworfen. Eine unbekannte Zahl von Menschen verschwand auf diese Weise. Am 12. März 2004 schlugen der Druck und die Gewalt in ein Massaker um. Das Massaker wurde nicht betrauert, es wurde Rache gefordert. Newroz wurde 2004 im Geiste des Widerstands und der Rebellion gefeiert."

Mit der Revolution in Rojava hätten alle Völker die Freiheit erlangt, sich mit ihrer Kultur frei auszudrücken, erklärt Melevan Resul: „Die Völker begannen, ihre nationalen, religiösen und gesellschaftlichen Feiertage frei zu feiern. Newroz steht für den Beginn eines neuen Jahres und wurde zum Symbol des Kampfes."