Im Rahmen einer von der Volksinitiative Cizîrê in Nord- und Ostsyrien vor zwei Wochen gestarteten Kampagne „Die physische Freiheit von Abdullah Öcalan ist die Voraussetzung für Frieden und Geschwisterlichkeit im Nahen Osten“ wurde am Samstag in der Großstadt Qamişlo ein Protestzelt aufgeschlagen. Den gesamten Tag über herrschte hoher Andrang. Die syrische Öcalan-Komitee veranstaltete eine Podiumsdiskussion über die Gedankenwelt des PKK-Begründers und die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 15. Februar 1999, die von der kurdischen Gesellschaft als das „Internationale Komplott” bezeichnet wird. Im Verlauf dieser Zeitspanne wurde Abdullah Öcalan, der als wichtigster politischer Repräsentant der Kurdinnen und Kurden gilt, zunächst in Syrien zur Persona non grata erklärt, und durchlebte anschließend eine Odyssee durch halb Europa, um schließlich aus Kenia völkerrechtswidrig verschleppt und an die Türkei übergeben zu werden. Seitdem wird Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali festgehalten – die meiste Zeit in Totalisolation.
Das unweit des Stadions von Qamişlo aufgestellte Protestzelt ist Teil einer Aktionsserie gegen die Isolation auf Imrali, die seit nunmehr zweieinhalb Jahren vom türkischen Staat als illegale Incommunicado-Haft praktiziert wird. Die Volksinitiative der Cizîrê-Region will damit die Verbundenheit der Menschen in Nord- und Ostsyrien zu Öcalan zum Ausdruck bringen und klarstellen, dass er der Ansprechpartner für eine Lösung ist. Silêman Ehmed vom syrischen Öcalan-Komitee erklärte: „Die Isolationshaft von Rêber Apo steht symbolisch für das Schicksal aller Kurdinnen und Kurden. Der Umgang mit ihm gilt als Gradmesser für den Umgang mit der gesamten kurdischen Bevölkerung und für eine Lösungsperspektive im andauernden Krieg gegen uns. Öcalans Freiheit bedeutet daher auch, einen Weg zum Frieden zu finden, der zur Lösung Kurdistan-Frage führen wird.“ Grundlegendes Ziel bleibe daher die physische Befreiung des 74-Jährigen.
Im weiteren Verlauf wurde eine Videobotschaft von Cüneyt Caniş, einem der Verteidiger Öcalans, abgespielt. Der Rechtsanwalt informierte darüber, dass der letzte Kontakt zu seinem Mandanten ein aus unbekannten Gründen unterbrochenes Telefonat mit seinem Bruder war, das im März 2021 geführt wurde. Das knapp fünfminütige Gespräch sei erst in Folge massiver Proteste zugelassen worden, nachdem Gerüchte über den Tod des kurdischen Repräsentanten kursierten. „Wir als Öcalans Anwaltsteam hatten zuletzt im August 2019 Zugang zur Gefängnisinsel Imrali“, sagte Caniş. Seither seien hunderte Besuchsanträge von der türkischen Justiz entweder negativ beschieden oder erst gar nicht beachtet worden. Auch Klagen vor dem türkischen Verfassungsgericht blieben ergebnislos, ebenso Initiativen beim UN-Menschenrechtsausschusses.
Am Sonntag werden die Aktionen im Protestzelt zunächst fortgesetzt. Für den Nachmittag ist eine Großdemonstration angekündigt. Der Marsch startet um 16 Uhr Ortszeit vor dem Stadion der Gefallenen des 12. März, Zielort ist die Vertretung der Vereinten Nationen in Qamişlo.