In Amûdê hat eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Kinobrandes vor 62 Jahren stattgefunden. Über 280 Kinder starben damals einen qualvollen Tod, als in dem einzigen Kino in der kleinen Stadt im Nordosten von Syrien ein Feuer ausbrach. Bis heute bildet diese Tragödie eine offene Wunde im kollektiven Bewusstsein der kurdischen Bevölkerung in der Region. Die Tatsache, dass die Brandstelle niemals vom syrischen Regime untersucht wurde und Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind, veranlasst Menschen bis heute anzunehmen, dass das Leben ihrer Kinder praktisch wertlos war. Denn im panarabischen Syrien wurden die kurdische Kultur und Sprache jahrzehntelang diskriminiert, politische Aktivitäten mit Gewalt durch den Staat unterdrückt.
„Das Töten von Kindern ist wie das Töten der Menschheit, und Kinder müssen für eine freie und strahlende Zukunft geschützt werden“ – mit diesen Worten durchbrach Silva Şêxmûs vom Kinderrechtskomitee Şiler die Stille nach einer Schweigeminute, die für die Toten von Amûdê gehalten wurde. Die Trauerfeier wurde im „Baxçê Pakrewan“ ausgerichtet, ein Gedenkgarten, der eigens für die Opfer des Kinobrandes angelegt worden war. Dazu eingeladen hatte die Demokratische Kunst- und Kulturbewegung Mesopotamiens.
Viele Menschen waren in den Gedenkgarten gekommen, der an der Stelle des Filmhauses Şehrazad errichtet wurde. Unter ihnen waren auch einige ältere Frauen und Männer, die den Kinobrand damals überlebten. Silva Şêxmûs trug eine Erklärung vor, in der sie die Geschehnisse im Kino als „Massaker“ bezeichnete und das Regime als Verantwortliche verurteilte. „Auch wenn mehr als sechs Jahrzehnte vergangen sind: Vergessen kann man nicht, vergessen werden wir nicht, was geschehen ist. Wir fordern weiterhin die Offenlegung der Täter und der Vertuscher und ihre Bestrafung“, sagte Şêxmûs. Um sie herum standen Kinder, die Fotos der Opfer des Kinobrandes trugen. Auf einem großen Transparent mit Flammen im Hintergrund prangte der Schriftzug „Die Gefallenen des Sînemaya Amûdê sind unvergessen“.
Der Kinobrand von Amûdê
Es war der 13. November 1960, als sich hunderte Schulkinder an einem Sonntag im Filmhaus Şehrazad den ägyptischen Film „Der Mitternachtsgeist” (Chabah nisf al-layl) anschauen mussten. Das syrische Regime hatte damals eine „Woche der Solidarität“ mit den Unabhängigkeitskämpfen Algeriens von Frankreich angeordnet und trieb Spenden für die „algerischen Brüder” ein. In Amûdê mussten deshalb alle Schülerinnen und Schüler gegen eine Eintrittsgebühr von dreißig Piaster ins Kino gehen.
Der Film war bereits mehrmals gezeigt worden, und jedes Mal war das Kino überfüllt. Eigentlich hatte es auf etwa 130 Quadratmetern maximal 200 Sitzplätze, aber an jenem Tag saßen weit mehr als 400 Kinder im Saal. Ihre Augen starrten auf die Leinwand, über die ein Horrorfilm von 1947 flimmerte, als es nach kurzer Zeit viel zu hell war. Die Helligkeit kam aber nicht mehr vom Projektor, sondern einem Feuer. Die Flammen griffen schnell auf den hölzernen Dachstuhl des hüttenähnlichen Gebäudes über, der mit Stroh und Lehm bedeckt war. Innerhalb kürzester Zeit brannte das gesamte Kino. Es brach eine Panik aus, als die Kinder versuchten, die Ausgänge zu erreichen. Es standen jedoch nur zwei enge Türen zur Verfügung, die sich lediglich nach innen öffnen ließen. 282 Kinder im Alter zwischen acht und vierzehn Jahren starben einen qualvollen Tod.
Mahnende Blicke
Ob der Brand vom Regime organisiert wurde – am Eingang des Kinos hielten zwei syrische Soldaten Wache –, oder eine Überhitzung durch Überbeanspruchung dazu führte, dass das Abspielgerät des Filmes plötzlich in Flammen stand, darüber wird noch heute spekuliert. Mohammad Saed Agha Daqqouri, ein Einwohner von Amûdê, kam damals zufällig an dem brennenden Kino vorbei. Er konnte zwischen 20 und 30 Kinder aus dem Feuer befreien, bevor er selbst in den Flammen umkam. An ihn und die getöteten Kinder erinnern mehrere Mahnmale im Baxçê Pakrewan. Eines davon wurde von Algerien als Ausdruck der Solidarität mit den Menschen in Amûdê gestiftet. Die Skulptur zeigt mehrere Figuren, die sich gegenseitig schützen, eine hält eine Fahne hoch. Als Denkmal befindet sich in dem Garten auch noch ein Springbrunnen. In ihn hatten sich die geretteten Kinder geflüchtet, die von Mohammad Saed Agha Daqqouri gerettet wurden. Die Bilder der Toten und ihre Geschichten pflastern die Mauern des Gedenkortes. Hunderte Kinderaugen blicken auf die Betrachtenden und mahnen.