Foza Yûsif: HTS kann sich in ein neues Baath-Regime verwandeln

Foza Yûsif (PYD) hält die Verfassung und die Übergangsregierung der HTS für undemokratisch, und warnt vor Ähnlichkeiten mit dem Baath-Regime. Sie thematisiert auch die Hoffnung auf ein Ende der türkische Angriffe durch mögliche Prozesse in der Türkei.

Sicherheit und Selbstverwaltung sind zentral

Foza Yusif vom Präsidialrat der Partei der demokratischen Einheit (PYD) äußerte sich in einem Gespräch mit ANF zu aktuellen Entwicklungen und Forderungen der Partei bezüglich Syrien und der Gebiete der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES). Sie nahm auch Bezug auf den Prozess, der möglicherweise durch den von Abdullah Öcalan ausgerufenen Appell zu Frieden und einer demokratischen Gesellschaft in der Türkei stattfinden wird. Würde hierin eine Lösung erzielt werden, so würden die Behauptungen, die der Türkei aktuell als Legitimation ihrer Angriffe auf die DAANES dienen, hinfällig werden.


Die PYD-Politikerin stellte fest, dass „Hayat Tahrir al-Sham“ (HTS) derzeit unter erheblichem Druck seitens internationaler Mächte steht. Ihre gewaltvolle Unterdrückung der alawitischen Bevölkerung ist der internationalen Öffentlichkeit bekannt geworden. Yûsif wies darauf hin, dass sowohl die von der HTS ausgearbeitete Verfassung als auch die von ihr bisher gebildete Übergangsregierung nicht demokratisch seien und erklärte: „Wenn sie darauf bestehen, diese undemokratische politische Linie fortzusetzen, werden sie genauso besiegt werden wie das Baath-Regime. Wenn sie an der Zukunft Syriens teilhaben wollen, müssen sie ihren politischen Ansatz vollständig ändern und ihre bisherigen Entscheidungen überdenken. Ihre Mentalität und ihre Praktiken haben sich bisher nicht wirklich vom Baath-Regime unterschieden.“

Die Gefahr in den besetzten Gebieten bleibt

Eine der wichtigsten Aufgaben bestehe Foza Yûsif zufolge darin, dafür zu sorgen, dass die Menschen aus Efrîn (Afrin), Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain) in ihr Land zurückkehren und dort sicher leben können. Sie fuhr fort: „In diesen Regionen gibt es immer noch Milizen. In einigen Gebieten ist auch der türkische Staat präsent. Unser Volk kann nur durch die Präsenz lokaler Kräfte und interner Sicherheitseinheiten sicher auf seinem Land leben, denn die Gefahr ist noch nicht gebannt. Unsere Bedingung ist der Rückzug des türkischen Staates und der ihm angeschlossenen Söldner aus den von ihnen besetzten Gebieten.“

Sie fügte eine klare Perspektive an: „Es werden Gespräche über die Zukunft dieser Gebiete geführt werden. Es müssen lokale Räte eingerichtet werden, die Bevölkerung muss sich selbst verwalten, und die Gemeinden müssen in den Händen der Bevölkerung liegen. Die Sicherheit ist die wichtigste Frage, und sowohl die Sicherheit als auch die Verwaltung müssen hergestellt werden. Das ist der Ansatz, den wir verfolgen.“

„Unsere Haltung gegen das Massaker an der alawitischen Bevölkerung ist klar“

Das Massaker an der alawitischen Bevölkerung hat laut Yûsif in ganz Syrien tiefgreifende Auswirkungen gehabt, da es eine bedrohliche Botschaft an alle Gemeinschaften gesendet habe. Sie erklärte: „Deshalb haben wir unseren Standpunkt zu dem Massaker unmissverständlich klar gemacht. Wir arbeiten daran, solche Massaker zu stoppen, sie aufzudecken und zu verhindern, dass sie sich wiederholen. Dies tun wir sowohl auf diplomatischem Wege als auch im Rahmen des Völkerrechts. Wir bemühen uns auch um humanitäre Hilfe für die alawitischen Gemeinschaften. In jeder Region müssen sich die Menschen nach ihrem eigenen Willen regieren, und die Sicherheit aller muss gewährleistet sein. Diese Verantwortung liegt in Damaskus.“

Die künftige Verhinderung solcher Massaker sei eines der wichtigsten Themen in den Verhandlungen mit Damaskus. Die PYD-Politikerin stellte unmissverständlich klar, dass diejenigen, die das Massaker begangen haben, zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden müssen. Zu diesem Zweck sei ein Beobachtungsausschuss eingerichtet worden und die PYD verfolge auch die juristischen Entwicklungen genau.

Eine Resolution in Nordkurdistan würde sich auf alle Beziehungen auswirken

Yûsif unterstrich außerdem, dass der türkische Staat seit 2011 als Quelle der Instabilität agiert und alle Kräfte unterstützt hat, die gegen die Revolution in Rojava sind. Sie fügte hinzu: „Wenn die kurdische Frage in Nordkurdistan (Bakur, Türkei) mit demokratischen Mitteln gelöst wird, wird dies zweifellos Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Türkei und Rojava haben. Sie wird auch die Politik beeinflussen, die der türkische Staat in Syrien verfolgt.

Die Türkei hat wiederholt behauptet: ‚Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist hier präsent, und deshalb führen wir Angriffe durch.‘ Wenn es zu einer Lösung kommt, werden alle Ausreden, die die Türkei bis jetzt benutzt hat, hinfällig. Wenn also der von Herrn Öcalan entwickelte Prozess erfolgreich ist, wird er zu einem positiven Ergebnis in Bezug auf die Sicherheit, unsere Beziehungen zur Türkei und die Lösung der Probleme in Syrien führen.“

Friedensaufruf Abdullah Öcalans

Abdullah Öcalan hatte im Februar einen historischen Aufruf zur Beendigung des bewaffneten Kampfes und zur Aufnahme von Gesprächen für Frieden und eine politische Lösung der kurdischen Frage gemacht, was in internationalen Kreisen große Aufmerksamkeit erregte. In diesem Rahmen führt die DEM-Partei mit allen relevanten politischen Akteur:innen der Türkei und Kurdistans Gespräche, um einen Dialogprozess auf den Weg zu bringen. Die PKK hatte in Zustimmung zu Öcalans Aufruf am 1. März einen Waffenstillstand ausgerufen und ihre Auflösung in einem Kongress unter Leitung des PKK-Begründers Abdullah Öcalan für möglich bekundet. Konkrete Schritte seitens der türkischen Regierung sind bisher ausgeblieben.

Militärische Besatzungen der Türkei in der DAANES

Unter dem zynischen Namen „Operation Olivenzweig“ startete die Türkei am 20. Januar 2018 einen Angriffskrieg gegen den bis dahin selbstverwalteten Kanton Efrîn, bis der Ortskern der gleichnamigen Kantonshauptstadt am 18. März 2018 schließlich eingenommen wurde. Seither stehen in der einst sichersten Region ganz Syriens Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen auf der Tagesordnung. Auch Girê Spî und Serêkaniyê waren 2019 infolge einer Invasion vom türkischen Staat besetzt worden.