Emira Xidir ist eine Frau aus Serêkaniyê (Ras al-Ain). Aufgrund der am 9. Oktober begonnenen Invasion der Türkei musste sie mit ihren Kindern flüchten und ging nach Qamişlo. Es ist nicht das erste Mal, dass die Familie aus Serêkaniyê vertrieben worden ist. Im November 2012 ließ der türkische Staat al-Nusra die Stadt angreifen. Bereits damals verließ die Familie die Region, kehrte jedoch nach einem Monat zurück. Trotz der ständigen Bedrohung durch Erdoğan und seine Dschihadisten hat Emira Xidir ihre Kinder auf ihrem eigenen Land großgezogen und ihnen beigebracht, das Leben und die Menschen zu lieben. Ihre Tochter schloss sich 2013 der Guerilla an und kam 2018 in Gabar ums Leben. Ihr zwanzigjähriger Sohn Abdullah Heme (Öcalan) ist am 13. Oktober 2019 in Serêkaniyê gefallen. Emira erzählt mit großem Stolz von ihrem Sohn: „Er war Bataillonskommandant und ist gefallen, als er seine Freunde retten wollte. Sie sind mit Chemiewaffen verbrannt worden.“
Als die Islamisten das erste Mal einfielen
Emira Xidir erinnert sich an das Jahr 2012, als das erste Mal Islamisten in Serêkaniyê einfielen: „Die Al-Nusra-Front ist über die türkische Grenze gekommen. Es kam zunächst zu Gefechten zwischen dem syrischen Regime und den Dschihadisten. Die syrische Luftwaffe bombardierte die Gebiete, in die die Banden eingedrungen waren und wo unsere Häuser waren. Damals öffnete Erdoğan die Grenze. Er ließ die Dschihadisten angreifen und forderte uns gleichzeitig auf, in die Türkei zu kommen. Wir hatten keine Wahl und sind nach Nordkurdistan gegangen. Uns blieb nichts anderes übrig. Mein Sohn Öcalan war damals noch klein. Wir hielten es nur einen Monat dort aus und kehrten dann nach Serêkaniyê zurück. Bei unserer Rückkehr mussten wir feststellen, dass die Dschihadisten unser Haus besetzt hatten. Nur kurze Zeit später kamen die YPG und vertrieben die Banden aus unserer Gegend. So konnten wir alle bleiben, Kurden, Araber und Armenier.“
Dann kamen plötzlich Flugzeuge und warfen Bomben ab
Emira Xidir und ihre Familie blieben bis zum 9. Oktober in Serêkaniye. „Wir hatten nicht die Absicht, unser Haus und unsere Stadt zu verlassen, auch weil wir die Kämpferinnen und Kämpfer nicht im Stich lassen wollten. Es sind unsere Kinder, wir wollten sie unterstützen. Aber am 9. Oktober kamen plötzlich die Flugzeuge und warfen Bomben ab. Bei uns waren kleine Kinder, deshalb haben wir das Haus verlassen und haben uns ein bisschen von der angegriffenen Gegend entfernt.“
Die letzte Begegnung mit ihrem Sohn
Von ihrer letzten Begegnung mit ihrem Sohn Öcalan erzählt Emira Xidir: „Nach den Luftangriffen haben wir uns ein bisschen von der Grenze entfernt. Ich habe Serêkaniyê nicht verlassen, weil ich in der Nähe meines Sohnes bleiben wollte. Es war der vierte Tag des Krieges. Ich habe meinen Sohn Öcalan angerufen und ihm gesagt, dass ich ihn vermisse und ihn sehen möchte. Er antwortete, dass das nicht geht, weil er bei seiner Einheit bleiben muss. Ich sagte ihm, dass mir eine einzige Minute reichen würde. Dann kam er mit seiner Waffe, staubig von Kopf bis Fuß, und umarmte mich. Er blieb eine halbe Stunde, dann war eine Explosion zu hören. Er war ja Bataillonskommandant und begriff, dass seine Einheit bombardiert worden war. Er stand auf, küsste mich und ging. Zwei bis drei Stunden später ist er bei einem Luftangriff getroffen worden, als er versuchte, seine verwundeten Freunde zu retten. Das Flugzeug hat chemische Stoffe abgeworfen. Wir haben es mit eigenen Augen gesehen, von oben fiel Feuer herab und verbrannte alles, Gebäude, Menschen. Es wurden nicht nur Kampfeinheiten angegriffen, auch die Zivilisten wurden getroffen. Morgens wurde der Leichnam von meinem Sohn gebracht. ‚Öcalan ist gefallen‘, sagten sie. Ich sagte, dass ich stolz auf meinen Sohn bin, aber es tut so weh.“
Öcalans Kindheitsträume
Emiras Sohn Öcalan kam einen Tag nach der Verschleppung Abdullah Öcalans in die Türkei zur Welt. „Deshalb haben wir ihn Öcalan genannt. Das ging offiziell nicht, wir haben ihn als Abdullah eintragen lassen, aber wir haben ihn immer Öcalan genannt. Er wollte sich zwei Mal den YPG anschließen, aber weil er noch zu jung war, wurde er zurückgebracht. Erst beim dritten Mal konnte er bleiben. Er war inzwischen alt genug und wurde ein Kämpfer. Mein Sohn war seinen Freunden und seinem Land sehr verbunden. Er liebte die Natur, Tiere, Menschen und sein Land. Deshalb wollte er ein Kämpfer des kurdischen Volkes sein. Er hat in Deir ez-Zor gegen den IS gekämpft. Er war aufrichtig und fleißig, ein starker Kämpfer. Sein Weg war der richtige. Das gilt auch für die anderen, sie haben bis zum Tod gekämpft. Ich bin stolz auf sie alle.“
Erdoğan kann uns nicht vernichten
Emiras Tochter Madura schloss sich 2013 aus Serêkaniyê der Guerilla an und kam 2018 bei einem Luftangriff auf Gabar ums Leben. „Auch meine Tochter ist gefallen. Ich bin hingefahren und habe ihr Grab besucht. Auch auf sie bin ich stolz. Erdoğan hat uns aus unseren Häusern vertrieben und unsere Kinder ermordet. Es liegen immer noch Leichen unter den Trümmern. Ich appelliere an die Kurden: Wo auch immer sie sind, sie sollen sich gegenseitig unterstützen und nicht im Stich lassen. Alle müssen dazu stehen, dass sie Kurden sind. Erdoğan soll nicht behaupten können, die Kurden vernichtet zu haben. Es gibt nicht nur einen Öcalan, es gibt Tausende. Das sollte Erdoğan nicht vergessen. Er kann uns nicht vernichten.“