Die staatliche türkische Stiftungsverwaltung hat das Mausoleum des Nebi Huri im besetzten Efrîn in eine Moschee umgewandelt. Damit schafft die Türkei neue Fakten in ihrem Ziel, neben einem physischen Genozid auch einen kulturellen Völkermord zu verüben und Rojava ohne historisches und gesellschaftliches Gedächtnis zu hinterlassen.
Das Mausoleum des Nebi Huri („Prophet Huri“), der als wunscherfüllender Sufi sowohl von Muslimen als auch Christen verehrt wird, befindet sich außerhalb der Stadtmauer der hellenistischen Stätte von Kyrrhos, die im heutigen Şera bei Efrîn liegt, im Gebiet des Çiyayê Kurmênc (Dschabal al-Akrad, dt. Berg der Kurden). Die Provinzstadt wurde durch Antigonos I. Monophthalmos um 300 v. Chr. durch die Seleukiden gegründet.
In byzantinischer Zeit war Kyrrhos Hauptstadt der Provinz Kyrrhestike in der Diözese des Ostens. Unter Bischof Theodoret wurde die Stadt zu einem beliebten Ziel von Pilgerfahrten. Der Mazar an-Nabi Huri genannte Turmbau aus dem 2. oder 3. Jahrhundert galt noch bis vor der türkischen Invasion Efrîns als bedeutendes Pilgerziel. Im Westen grenzt der einstige römische Friedhof an, der mit teilweise aufwendig gestalteten Grabsteinen als islamische Begräbnisstätte genutzt wurde. In islamischer Zeit wurde das Mausoleum mit einer neuen Ursprungslegende versehen und erhielt als Anbau eine Moschee. Der Name Nebi Huri wurde von den Einheimischen im Laufe der Zeit auf das ganze Ruinengelände übertragen.
Nebi Huri, auch Kela Xoriyan, im Mai 2014 | © ANF
Der gesamte Bau einschließlich des Pflasterbelages war bis zum Beginn des türkischen Angriffskrieges gegen Efrîn noch intakt. Ende Januar 2018 erlitten die Stätte von Kyrrhos, das Mausoleum von Nebi Huri sowie der hethitische Ain-Dara-Tempel schwere Schäden infolge von Luftangriffen der türkischen Armee. Seit der Besetzung der Region findet Raub und Zerstörung des dortigen Weltkulturerbes in großem Stil statt. Die von der Türkei befehligten Dschihadistenmilizen haben inzwischen alle Gegenstände, darunter kostbare Mosaike aus Kyrrhos sowie Ain Dara gestohlen. Satellitenaufnahmen legen nahe, dass beide Stätten 2019 und 2020 mit Bulldozern planiert worden sind.
Auch andere kulturhistorisch wertvolle Stätten in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien sind inzwischen geplündert und dem Erdboden gleichgemacht worden. Zuletzt traf es den Siedlungshügel Tell Sahlan aus altassyrischer Zeit, der im Belich-Tal in Girê Spî (Tall Abyad) liegt. Die Stadt fiel im Oktober 2019 der türkisch-dschihadistischen Invasion zum Opfer.
Kurdische Organisationen prangern seit Jahren den Kulturraub in den besetzten Gebieten von Nord- und Ostsyrien durch die Türkei und verbündete Islamisten an. Im September hatten auch die Vereinten Nationen darauf aufmerksam gemacht. In einem Bericht von der UN-Untersuchungskommission zu Syrien sprachen die Ermittlerinnen und Ermittler von „systematischem“ und „koordiniertem Vorgehen“ in Gebieten, die „effektiv unter türkischer Kontrolle” sind. Das Nato-Mitgliedsland Türkei präsentiert den kulturellen Genozid in Rojava und zuletzt die Umwidmung des Nebi-Huri-Mausoleums in eine Moschee zynisch als „Schutz der Geschichte von Efrîn“, die von „PKK und YPG“ zerstört worden sei. Um die Plünderungen zu kaschieren, wurden in vielen Regionen sogar eigens Militärbasen über den historischen Orten errichtet.