Efrîn-Forum: YPG-Sprecher legt Bericht zu Kriegsverbrechen vor

YPG-Sprecher Nuri Mehmud legt auf dem Efrîn-Forum einen Bericht über die vom türkischen Militär in Efrîn begangenen Kriegsverbrechen vor.

Auf der ersten Sitzung am zweiten Tag des internationalen Efrîn-Forums wurden die Besatzung und ihre Auswirkungen diskutiert.

Christopher What: In Efrîn herrscht eine humanitäre Krise

Am Forum nahm Christopher What von der medizinischen Fakultät der Universität British-Columbia teil. What, der im Jahr 2017 von Februar bis März als Mediziner in einem Gesundheitszentrum in Şengal gearbeitet hatte, verglich in seinem Beitrag die Situation in Şengal mit der in Şehba. What berichtete, dass sich etwa 300.000 Flüchtlinge aus Efrîn in Şehba befinden und beklagte, dass die humanitäre Hilfe für die Region Şehba vom Regime aufgehalten werde. Insbesondere im Winter, so What, verschärfen sich dort die Bedingungen. Die Anzahl der Gesundheitszentren und ihrer Mitarbeiter*innen müssen dringend erhöht werden.

YPG-Sprecher legt Bericht zu Kriegsverbrechen vor

Auf dem Forum sprach ebenfalls der YPG-Sprecher Nuri Mehmud. Er berichtete über die Politik Erdoğans und des syrischen Regimes in der Region und legte ein Bericht über begangene Kriegsverbrechen vor.

Die Gründe für die türkische Besatzung

Die türkische Regierung versuchte, die Besetzung von Efrîn mit Paragraph 51 der Charta der Vereinten Nationen, der das Recht auf Selbstverteidigung definiert, zu rechtfertigen. Mehmud führt folgende Punkte an, um deutlich zu machen, dass der Angriff nicht durch Paragraph 51 der UN-Charta legitimiert werden kann:

„Erstens, es wurde bisher kein einziger Beleg für die für Paragraf 51 zwingend notwendigen Grenzverletzungen und Gefechte zwischen beiden Seiten vorgelegt. Der türkische Staat hatte sogar eine vier Meter hohe Mauer entlang der türkischen Grenze zum Kanton Efrîn errichtet. Außerdem hat die Türkei entlang der Grenze selbst Minen, Alarmdrähte und andere hochmoderne Militärtechnik installiert, um zu verhindern, dass irgendwelche Kämpfe stattfinden. Die Begründung des türkischen Staates vor dem Sicherheitsrat der UN stellt eine vollkommene Umkehrung der Realität dar, es ist Erdoğan, der systematisch internationales Recht missachtet.

Zweitens haben der UN-Sicherheitsrat, die Europäische Union oder jedwede internationale Institution oder internationale Konvention weder die Besetzung von Efrîn durch den türkischen Staat gebilligt noch bestätigt. Es ist klar, die Türkei hat internationales Recht verletzt.“

Schmutzige Politik durch Deals mit der NATO

Auch nach den Regelungen der NATO hätte die Türkei als Mitgliedsstaat diesen Angriff nicht durchführen dürfen. Mehmud erklärt dies folgendermaßen:

„Erdoğan und sein Kabinett haben mehrfach die Flüchtlingskrise als Druckmittel gegen die EU und andere westliche Staaten benutzt, um für ihr Schweigen zur Besatzung von Efrîn zu sorgen. Erdoğan und sein Kabinett haben über den NATO-Vertrag ebenfalls schmutzige Politik betrieben. Für den Angriff haben sie alle schweren Waffen und die fortgeschrittene Technologie der NATO benutzt. Das wird am Beispiel der deutschen Panzer, die in Efrîn gesehen wurden, sehr deutlich. Diese Tatsache wurde auch von den internationalen Rechtsinstitutionen und den Medien dokumentiert, sie haben dazu geführt, dass es innerhalb der NATO zu einer politischen und moralischen Krise kam.“

Fundamentalistische, nationalistische und rassistische Propaganda

Mehmud führte an, dass die Besatzung mit „nationaler Sicherheit begründet wurde“ und dass „Erdoğan diese Besatzungsoperation mit einer harten fundamentalistischen, religiösen, nationalistischen und rassistischen Propaganda begleitete“.

Dazu erklärte Mehmud weiter: „Das türkische Militär hat unter dem Vorwand die Bevölkerung schützen zu wollen und dschihadistische Gruppen, welche eine Bedrohung für die Sicherheit der Türkei darstellen, bekämpfen zu wollen, sich mit diesen dschihadistischen Gruppen verbündet und Efrîn und seine legitimen Selbstverteidigungskräfte angegriffen.“

Massaker in Efrîn vor den Augen der ganzen Welt

Der YPG-Sprecher klagte an, das türkische Militär und seine Milizen haben vor den Augen der Welt und der Weltpresse ihre Gräueltaten und die völkerrechtswidrige Besetzung Efrîns umgesetzt: „Im Namen des Dschihad und begleitet von einer nationalistischen Kriegshetze wurde der Angriff auf Efrîn begonnen. Man muss an diesem Punkt über manche Gruppen sprechen, die unter dem Namen ‚FSA‘ agieren und nach türkischem und internationalen Recht illegal sind, aber zusammen mit dem türkischen Staat agiert haben bzw. agieren. Bei diesen Gruppen handeltet es sich um Milizen, die sowohl regionale als auch internationale Abkommen missachten und sowohl auf der Terrorliste der NATO wie auch auf der des UN-Sicherheitsrats stehen.

Erdoğan hatte vor der Besetzung Efrîns ein Treffen des Nationalen Sicherheitsrats (MGK) einberufen, an dem der Sicherheitsbeauftragte und Besitzer der Söldnerfirma SADAT, Adnan Tanrıverdi, ebenfalls teilnahm. Über die Söldnerfirma von Adnan Tanrıverdi wurden Zehntausende Bandenmitglieder durch Lohn gebunden und zu Soldaten gemacht. Nach aktuellem türkischen Recht ist diese Firma nicht einmal legal. Sie arbeitet jenseits des Rechts auf internationaler Ebene. Ihre Gruppen agieren, um Massaker und ethnische Säuberungen in Efrîn durchzuführen im Namen der türkischen militärischen Institutionen.”

Die vom türkischen Staat versammelten Milizen

Als vom türkischen Staat unter dem Namen „FSA“ zusammengebrachte Gruppen zählt Mehmud die Gruppen „Jabhat al-Shamiya, Samarkand-Brigade, Ahrar al-Sham, Jabhat al-Shamiya und Ahrar al-Sharqiya, die mit dem IS gemeinsame Sache gemacht haben. Liwa-Hamza, Liwa al-Mu'tasim, Jaish al-Fatah, Sultan-Murad-Brigade, Sultan-Osman-Brigade, Suleyman-Shah-Brigade und ähnliche Organisationen agierten sowohl innerhalb des IS als auch bei al-Nusra.“

Mehmud berichtet, dass diese terroristischen Gruppen Kriegsverbrechen begangen haben und den Besitz der Zivilbevölkerung in Syrien plündern.

Bericht über die Kriegsverbrechen in Efrîn

In dem Bericht, den der YPG-Sprecher vortrug, heißt es: „Alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind von internationalen Organisationen dokumentiert worden. Demnach hat der Faschist Erdoğan diese Gruppen damit beauftragt, Efrîn zu besetzen und im Rahmen ihrer dschihadistischen und rassistischen Projekte ethnische Säuberungen zu begehen. Dies widerspricht allen Regeln des internationalen Rechts. Während die internationale Koalition östlich des Euphrat gegen den Terror kämpft, hat der türkische Staat permanent Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, den Terror wiederbelebt und mit der Besetzung von Efrîn die internationale Sicherheit und den Frieden angegriffen. (…) All die internationalen Abkommen, die in Bezug auf Kriegsverbrechen geschlossen worden sind, werden durch die pausenlos begangenen Verbrechen mit Füßen getreten. Im Rahmen dieser Serie von Verbrechen haben bewaffnete Gruppen die Zivilbevölkerung angegriffen und mit verbotenen Waffen Efrîn und seine Landkreise angegriffen. Im Dorf Ernede in Efrîn-Şiyê wurde Chlorgas benutzt. Dies wurde vom Gesundheitsrat von Efrîn und Heyva Sor a Kurd dokumentiert. Gleichzeitig setzten die Besatzungstruppen eine schmutzige Politik gegen die Verteidigungskräfte um. Mehrere Gefangene wurden vor den Augen der Medien ermordet und die Leichen von Kämpfer*innen der YPG und YPJ misshandelt. Das, was in Kobanê mit dem Körper der gefallenen Şehîd Barîn Kobanê getan wurde, ist dafür nur ein Beispiel. Diese grausame Praxis stellt eine Verletzung von Paragraphen drei der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen dar.“

Ethnische Säuberung und Demographieveränderung

Der YPG-Sprecher Nuri Mehmud erklärte weiter: „Nach einer Volkszählung vor der Besatzung, lebten im Zentrum von Efrîn, den Kreisstädten und den Dörfern zusammen mit den Flüchtlingen aus anderen Regionen Syriens etwa eine Million Menschen. Als klar wurde, dass die türkische Armee und die terroristischen Banden an den militärischen Fronten es nicht schaffen innerhalb eines Monats vorzurücken, haben sie mit ihren Kampfflugzeugen die Dörfer und Gemeinden bombardiert und die Bevölkerung dazu gezwungen, sich im Zentrum von Efrîn zu versammeln. Sie haben alle Schulen, Krankenhäuser, Moscheen, Wasserstellen, öffentliche Gebäude und Zentren, aber auch die Natur Efrîns bombardiert. Als die Bevölkerung aufgrund der schweren Bombardierung ins Zentrum floh, haben die türkischen Flugzeuge und Panzer dieser Zivilist*innen angegriffen. Der türkische Staat zwang die Zivilbevölkerung zur Flucht und nahm dann die Fahrzeuge der Menschen ins Visier und beging ganz offen Massaker. Unter den Opfern dieser Angriffe sind Frauen, Alte und Kinder. Einige starben beim Massaker im Avrîn-Krankenhaus.

Nach der Besetzung wurde das türkische Militär an den strategischen Punkten von Efrîn stationiert und es sorgte dafür, dass die bewaffneten Gruppen in der Stadt bleiben konnten. Sie erlaubten es den bewaffneten Gruppen zu stehlen, gegen Lösegeld Zivilist*innen zu entführen, zu vergewaltigen, ezidische Dorfbewohner*innen zur Konversion zum Islam zu zwingen und viele andere Verbrechen zu begehen. Alle Friedhöfe wurden bombardiert und historische Orte abgerissen. Es wurden türkische Symbole und religiöse Parolen aufgezwungen und die Namen der Plätze und Straßen geändert. Der Platz im Zentrum von Efrîn wurde ‚Erdoğan-Platz‘ benannt. Die Infrastruktur wurde zerstört, die landwirtschaftlichen Produkte beschlagnahmt und die Bäume verbrannt. Unabhängigen Menschenrechtsorganisationen bleibt es weiterhin verboten, nach Efrîn zu gehen. Auf die Zivilbevölkerung wurde Druck ausgeübt, damit sie die Region verlassen, und an ihrer Stelle wurden die Mitglieder von bewaffneten Gruppen angesiedelt. All dass was hier passiert, ist die Konsequenz einer Politik des kulturellen und ethnischen Genozids.“

Erdoğan-Regime begeht ethnische Säuberungen

Zu den ethnischen Säuberungen sagte Mehmud: „Wenn wir uns den ‚Reformplan Ost‘, in dessen Rahmen Massenmorde in den kurdischen Regionen in der Türkei durchgeführt wurden, betrachten, dann sehen wir, dass die gleiche Strategie immer noch in der Mentalität des Staates fortbesteht. Gleichzeitig dürfen wir auch nicht den Genozid an den Armeniern vergessen. Wir betrachten den ethnischen oder andere Arten des Genozids als den Versuch, die gesellschaftlichen, politischen und natürlichen Bedingungen von Menschen, die ihre Existenz bewahren wollen, zu vernichten. Bei dem was die Türkei tut, handelt es sich internationalen Verträgen wie der Genfer Konvention zu Folge um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die türkischen Sicherheitskräfte, das Militär und alle Milizen, die unter ihrem Kommando stehen, vor Gericht kommen.“