„Die Priorität liegt auf der Unterbringung der Menschen“

Die Bewohner*innen Efrîns, die wegen der türkischen Besatzung ihrer Heimat nach Şehba evakuiert wurden, versuchen in verminten Gebieten ein neues Leben zu gründen. Doch sie schwören auf Rache.

Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2012 ist Efrîn (Afrin) zur Heimat Hunderttausender Binnenflüchtlinge geworden, die aus vielen anderen Regionen des Landes vor dem Krieg, Leid und Tod geflohen sind – trotz Embargo und Isolation. Mit den Besatzungsangriffen des türkischen Staates und türkeitreuen Dschihadisten von IS, al-Nusra und anderen salafistischen Gruppierungen setzte eine Welle der Flucht ein, die damit endete, dass Hunderttausende Bewohner*innen Efrîns ihre Heimat verlassen mussten und zu ihrem eigenen Schutz nach Şehba und Şêrawa evakuiert wurden.

In den Dörfern Til Sosin, Til Qerah, Ziyaret, Ehrez, Til Rifat, Til Şeîr im Kanton Şehba versuchen Tausende in die Flucht getriebene Menschen in leerstehenden Häusern und Innenhöfen Fuß zu fassen. Weil die meisten Häuser in Şehba während des Krieges mit dem Islamischen Staat von IS-Milizen vermint worden waren, wird es nicht einfach werden, ein neues Leben zu gründen. Zumal kaum jemand sein Hab und Gut mitnehmen konnte. Das einzige, was diese Menschen noch besitzen, ist die Kleidung, die sie tragen.

Zwar arbeitet der Kantonsrat von Şehba Tag und Nacht daran, die Bedürfnisse der Zugewanderten zu erfüllen, doch die Kapazitäten des Kantons reichen nicht aus. Die Zahl der nach Şehba evakuierten Menschen liegt weit über der eigenen Bevölkerung. Die Menschen aus Efrîn benötigen Strom, Lebensmittel und gesundheitsfördernde Maßnahmen, um in leerstehenden Häusern, Geschäften und Innenhöfen mit den wenigen Dingen, die sie nun haben, ein neues Leben aufzubauen.

Im Gespräch mit ANF-Reporter*innen vor Ort sagten sie, dass sie die türkische Besatzung Efrîns niemals akzeptieren werden. In jedem Fall wollen sie in ihre Häuser zurückkehren und die türkischen Besatzer aus ihrer Heimat verbannen.

Wir wenden uns niemals von Efrîn ab“

Hûriye Şêxo wurde aus dem Dorf Metîna im Bezirk Şera evakuiert und befinden sich nun in Til Qerah in einem Innenhof, den sie sich mit vier weiteren Familien teilt. Keine ihrer Habseligkeiten habe sie mitnehmen können. „Jetzt sind wir hier. Vier Familien, etwa 20 Personen, leben hier. Es gibt kein Wasser, nichts zu essen und keine Medikamente. Sie sehen das Haus selbst. Möge Gott Schande über Erdoğan bringen. Wegen ihm sind wir in dieser Situation, aber wir werden uns niemals von Efrîn abwenden“, sagt Hûriye.

Verminte Häuser

In Til Qehar versucht Zeynep Hebeş mit ihren fünf Kindern in einem Haus am Leben zu bleiben, das ebenfalls von Milizen des Islamischen Staat vermint wurde. Während sie uns zu sich einlädt, warnt sie uns davor, die zwei verminten Zimmer nicht zu betreten. Überall seien Minen verlegt worden, erzählt sie. Sie habe Angst, ihre Kinder nach draußen zu lassen. Ihr fallen die Tage schwer, weil sie einfach nichts mehr besitzen, sagt Zeynep.

Aufruf zur Hilfe aus Şehba

Nachdem wir Zeyneps Haus verlassen sehen wir, dass der Volksrat von Ehrez die Identitäten der Zugewanderten erfasst. Mihemed Rislan vom Volksrat Ehrez sagt uns, dass sie versuchen, die Bewohner*innen Efrîns mit Hilfsmitteln zu versorgen, es aber einfach zu viele Menschen seien, die Hilfe benötigen. „Die Priorität liegt auf der Unterbringung der Menschen. Aber wir benötigen wirklich viele Dinge. Von Kleidung, Lebensmittel bis zu Unterkünften fehlt es an Allem. Wir brauchen Unterstützung.“

Stolz auf den Widerstand Efrîns“

Eyşe Hisên, ebenfalls vom Volksrat Ehres sagt, dass sie die Bedürfnisse der Menschen aufgenommen haben und fährt fort: „Wir werden Efrîn und die Bevölkerung Efrîns niemals im Stich lassen. In jedem Fall werden wir die Stadt zurücknehmen. Die Menschen Efrîns werden für eine gewisse Zeit hier bei uns sein. Wir alle müssen gemeinsam den Bewohner*innen von Efrîn zur Seite stehen. Den Feind dürfen wir keinesfalls Freude bereiten. Wir sind stolz auf den Widerstand von Efrîn und werden die Stadt niemals dem türkischen Staat überlassen.“

Schwur nach Rache

Gulîzar Dilyar war aus Aleppo nach Efrîn geflohen. Jetzt ist sie auch in Şehba und hat folgendes zu sagen: „Wie oft waren wir schon auf der Flucht. Möge Gott Erdoğans Haus zerstören. Er soll das Tausendfache von dem, was er uns angetan hat, erleben. Wegen ihm sind wir aus unserer Heimat geflohen aber er sollte wissen, dass wir ihm unsere Länder nicht lassen. Heute mögen die Tage schwierig sein, wir haben auch keine Habseligkeiten mehr. Doch Gott wird unseren Kindern Kraft geben. Sie werden uns rächen.“