„Der türkische Staat begeht Kriegsverbrechen in Efrîn“
Der Rechtsanwalt Mihemed Xelil berichtet von fortgesetzten Kriegsverbrechen in Efrîn. Er selbst wurde zwei Monate in einem unterirdischen Kerker der Besatzungstruppen gefoltert.
Der Rechtsanwalt Mihemed Xelil berichtet von fortgesetzten Kriegsverbrechen in Efrîn. Er selbst wurde zwei Monate in einem unterirdischen Kerker der Besatzungstruppen gefoltert.
Der türkische Staat und seine Milizen begehen jeden Tag neue Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Efrîn. Bis heute wurden Hunderte Menschen ermordet und auch Plünderungen, Folter und Verschleppungen gehen weiter.
Mihemed Xelil ist Anwalt und Ko-Vorsitzender des Menschenrechtsvereins von Efrîn. Er ist selbst in Şêrawa in die Hände einer dschihadistischen Miliz des türkischen Staates gefallen. Von seiner Gefangenschaft berichtete er im ANF-Interview.
Die Bevölkerung Syriens wurde im Krieg nicht geschützt
Xelil sagt, der syrische Staat sei mit Ausbruch des Krieges nicht in der Lage gewesen, seine Bevölkerung zu schützen. In Efrîn hat sich die Bevölkerung jahrelang zur Verteidigung ihrer Region sowohl militärisch als auch politisch organisiert: „Efrîn bot Schutz für viele Flüchtlinge in dieser chaotischen Zeit. Wir als Menschenrechtsverein sind in die Region gegangen, um die Lage zu beobachten. Wir haben uns die Situation der seit Jahren in Efrîn lebenden Schutzsuchenden angeschaut. Als der türkische Staat damit begann, Efrîn zu bedrohen, haben wir uns als Verein darum bemüht, dass es zu keinem Angriff kommt. Die internationale Staatengemeinschaft, das syrische Regime eingeschlossen, haben der Türkei jedoch erlaubt, Efrîn anzugreifen.“
Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind dokumentiert
Xelil fährt fort: „In der Region wurden vom türkischen Staat in großem Ausmaß Menschenrechte verletzt und Kriegsverbrechen begangen. Zivile Siedlungsgebiete wurden angegriffen, die Versorgung mit Trinkwasser und Strom wurde zerstört, Wohnhäuser wurden geplündert. Salafistische Ideen bestimmen nun die Regeln in der Region. Zivilisten wurden umgebracht und das Avrin-Krankenhaus wurde angegriffen. Über Gebieten, in denen sich Zivilist*innen aufhielten, wurde Chlorgas abgeworfen. Das alles sind Kriegsverbrechen nach der Genfer Konvention.“
Der Menschenrechtsverein hat zur Untersuchung der Kriegsverbrechen sieben Komitees eingerichtet und einen Bericht für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstellt. Hunderttausende Menschen mussten Efrîn verlassen und nach Şehba oder Şêrawa fliehen.
Zwei Monate in einem unterirdischen Gefängnis
Auch Xelil musste gemeinsam mit den anderen Menschen Efrîn verlassen und ging nach Şêrawa. Er erzählt: „Wir hatten nicht geglaubt, dass der türkische Staat auch Şêrawa besetzen würde. Dort wurden wir angegriffen, es wurde auf uns geschossen. Ich wurde verletzt und nach Idlib gebracht. Dort wurde ich in einem unterirdischen Krankenhaus medizinisch behandelt. Nach der Operation wurde ich in ein Gefängnis gebracht. Auch das Gefängnis war unterirdisch. Nachdem ich 14 Tage dort inhaftiert war, wurden mir die Augen verbunden und ich wurde zum Verhör gebracht. Mir wurde vorgehalten, dass ich in Şêxmeqsûd als Rechtsanwalt tätig gewesen sei, in der Ermittlungskommission der Sicherheitskräfte und als Ko-Vorsitzender des Menschenrechtsvereins von Efrîn gearbeitet habe und mich in mehreren Interviews gegen die Türkei geäußert hätte. In der ägyptischen Zeitung Caryusif hätte ich von einer ‚türkischen Besatzung‘ gesprochen.“
Nach dem Verhör wurde Mihemed Xelil wieder ins Gefängnis gebracht. Dort hörte er permanent die Schreie der Gefolterten. Über Folter wurden Aussagen erzwungen. „Alles war verboten. Wir wurden ständig bedroht. Uns wurde vorgeworfen, auf der Seite des syrischen Regimes zu stehen und gegen die syrische Revolution zu sein. Wir sagten, dass wir uns als Teil Syriens gegen die Angriffe organisiert und unsere Region verteidigt hätten. Ich war zwei Monate gefangen. Diese Zeit war schlimm. Jeden Tag wurde mir gedroht, an den türkischen Staat ausgeliefert zu werden.“
Insbesondere Journalisten und Aktivisten, die versuchten, die Realität in der Region öffentlich zu machen, gerieten in das Visier der Besatzungstruppen. Nach Angaben von Rechtsanwalt Xelil sind im Jahr 2018 mindestens 20 Journalisten und Menschenrechtsaktivisten ermordet worden. Xelil selbst wurde nach der Folter an einem unbekannten Ort ausgesetzt und von einem Zivilisten aus Şêrawa schließlich gerettet.
Die Bevölkerung von Efrîn bewahrt ihre Einheit und Organisierung
Wegen Metallsplittern in seinem Bein konnte Mihemed Xelil sich nur kriechend bewegen. Er schleppte sich vier Kilometer weit. Am Ende unseres Gesprächs sagt er: „Auch wenn unsere Bevölkerung Angriffen und Vertreibung ausgesetzt ist, besteht das Modell der Selbstverwaltung weiterhin. Trotz aller Schwierigkeiten und Armut bewahrt die Bevölkerung ihre Einheit. Immer noch gehen Tausende für ihre Rechte auf die Straße. Die Bevölkerung von Efrîn vertraut ihrer eigenen Kraft und verfolgt weiter das Ziel, Efrîn von der Besatzung zu befreien. Wir sind ein Teil Syriens und haben versucht, die territoriale Integrität Syriens zu schützen. Auch wir haben politische, kulturelle und gesellschaftliche Rechte. Das Volk hat das Recht, seinen politischen Willen zu vertreten. Und mit diesem politischen Willen muss unter Beteiligung aller Völker Syriens ein Nationalkongress stattfinden, der das Chaos über einen politischen, nichtmilitärischen Weg löst.“