„Der 19. Juli markiert auch den Beginn unserer Revolution”

Unser Rojava-Korrespondent Ersin Çaksu hat sich in Kobanê mit arabischen Frauen über die Revolution von Rojava unterhalten. Sie betonen, dass das Gesellschaftsmodell, in dem die Quelle der Macht die Bevölkerung ist, eine Lösung für ganz Syrien ist.

In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 2012 begann in Kobanê die Revolution von Rojava. Kurdische Organisationen nahmen gemeinsam mit der Bevölkerung staatliche Einrichtungen ein und verdrängten die Kräfte des Assad-Regimes unblutig aus der Stadt. Davon angespornt, weitete sich der Volksaufstand in den nächsten Tagen auf ganz Rojava aus. In der Folgezeit übernahmen demokratische Rätestrukturen die Verwaltung. Diese Strukturen waren bereits mit Beginn des Aufstands in Syrien im Frühjahr 2011 aufgebaut worden. Die PYD hatte früh erkannt, dass der Aufstand zu einem blutigen Krieg werden und Rojava erreichen könnte. Deshalb begann mit der Entstehung des Volksrat Westkurdistans (Meclîsa Gel a Rojavayê Kurdistanê, MGRK) als partizipatorisch-demokratische Dachstruktur für alle Ethnien, Religionen und politischen Akteur*innen der Region eine Phase, den bis dahin politisch und ideologisch vertretenen Ansatz, die Bevölkerung basis- und rätedemokratisch im Sinne des „Demokratischen Konföderalismus” zu organisieren, in die Praxis umzusetzen.

Mittlerweile sind sieben Jahre vergangenen, seit die Kurd*innen diesen dritten Weg einschlugen. Das Gesellschaftsmodell orientiert sich an den Vorstellungen des seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan. Schon 2005 präsentierte er einen radikalen Gegenentwurf zur nationalstaatlichen Lösung der kurdischen Frage. Mit dem Modell des „Demokratischen Konföderalismus“ erschaffte Öcalan - inspiriert von dem libertären amerikanischen Theoretiker Murray Bookchin - eine Utopie eines nicht-nationalstaatlichen, multiethnischen Organisationsmodells für eine demokratische, ökologische und geschlechterbefreite Gesellschaft. Die Revolution von Rojava steht jedoch nicht nur für die Hoffnung der Kurd*innen, Araber*innen, Suryoye, Armenier*innen und Tescherkess*innen, Muslimen und Christen, Eziden und Aleviten. Sie hat auch die Herzen unzähliger Menschen in anderen Teilen der Welt erobert.

Große Errungenschaft der Revolution: Kurdisch-Arabisches Bündnis

Eine der größten Errungenschaften dieser Revolution ist das kurdisch-arabische Bündnis, das sich trotz Konfliktbemühungen einiger regionaler Kräfte, insbesondere des türkischen Staates, entwickelt hat. Nach Angaben der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) haben mehr als 2.000 arabische Kämpferinnen und Kämpfer ihr Leben geopfert, um die siebenjährige Phase zu verteidigen, die als Revolution von Rojava begann und nun als Revolution von Nord- und Ostsyrien eine neue Form angenommen hat.

Unser Rojava-Korrespondent Ersin Çaksu hat sich mit arabischen Frauen über die Revolution unterhalten. Sie betonen, dass das Gesellschaftsmodell, in dem die Quelle der Macht die Bevölkerung ist, eine Lösung für ganz Syrien ist, und die Revolution bis zum Ende verteidigt wird.

„Erst spät von der Revolution erfahren”

Emel Ali Mustafa ist Ko-Vorsitzende des Rates von Gefallenen-Angehörigen in Sarrin. Sie erzählt, erst spät durch ihren Ehemann, der später in Minbic gefallen ist, von der Revolution in Rojava erfahren zu haben. Nur vereinzelt habe die Bevölkerung damals über die Medien wahrgenommen, das „irgendetwas” vor sich gehe, sagt sie.

„Die Zeit vor der Revolution war, als lag ein schwarzer Schleier vor unseren Augen. Aber als wir frei wurden und begannen, sie zu verstehen, da keimte das Gefühl einer großen Sehnsucht auf. Wir erfuhren zwar spät von der Revolution vom 19. Juli, doch als sie nun vor uns stand, umarmten wir sie aus tiefstem Herzen. Wir sehen die Revolution nicht als solche einer bestimmten Ethnie, Religion oder Gruppe an. Ihr Fundament bildet die Geschwisterlichkeit der Völker. Deshalb ist sie gleichermaßen auch unsere Revolution, an der wir uns beteiligen.”

Eine Revolution für alle Völker Syriens

Die Umbruch in Rojava sei eine große Chance für den arabischen Teil der Bevölkerung, sagt Emel Ali Mustafa. „Diese Chance haben wir genutzt. Dafür ließen Tausende Menschen ihr Leben. Aus diesem Grund sollte jeder dieser Revolution beistehen. Im Moment werden wir akut von der Türkei bedroht. Diese Revolution hat jedoch das Potenzial, die Syrienkrise zu lösen. Sie kann sich zu einer Revolution aller Völker Syriens entwickeln. Eben deshalb müssen wir all unsere Kräfte mobilisieren, um die Revolution zu verteidigen und sie zu stärken”, fordert Emel Ali Mustafa.

„Revolution von Rojava ist eine Frauenrevolution”

Auch der Ehemann von Ferdos Salih Kino ist bei der Verteidigung der Revolution gefallen. Beim ersten Funken in Kobanê befanden sie sich zwar ganz in der Nähe, konnten sich aufgrund der Präsenz von islamistischen Milizen nicht beteiligen.

„Es verging eine ganze Weile, bis wir erfahren haben, dass es sich nicht um eine rein kurdische Revolution handelte. Als wir die Tiefe der Philosophie Abdullah Öcalans erkannten, wurde uns klar, dass es sich bei dieser Revolution sowohl um eine Revolution für das arabische Volk, als auch um eine Revolution für uns Frauen handelte. Diese Idee werden wir bis zuletzt verteidigen, ganz gleich, was kommt”, sagt Ferdos Salih Kino.