Demonstration in Wan: Hinter Femiziden steckt das Patriarchat

In Wan hat eine lautstarke Protestdemonstration für die Aufklärung des Todes der Studentin Rojin Kabaiş stattgefunden. Die Frauen durchbrachen eine Polizeisperre und liefen durch das Stadtzentrum der nordkurdischen Großstadt.

„Was ist mit Rojin Kabaiş passiert?“

Wie in Amed (tr. Diyarbakir) fand auch in Wan (Van) eine Demonstration aufgrund des Todes von Rojin Kabaiş statt. Unzählige Menschen zogen, angeführt von Frauen, unter der Parole „Gerechtigkeit für Rojin Kabaiş“ durch die nordkurdische Metropole. Die junge Studentin wurde, nachdem sie vor drei Wochen vom Campus in Wan verschwunden war, tot am Ufer des Wan-Sees aufgefunden. Die Familie hält einen Suizid für ausgeschlossen. Der Tod von Rojin Kabaiş reiht sich ein in eine Vielzahl von verdächtigen Todesfällen und Femiziden in der Türkei und Nordkurdistan.


Frauen durchbrechen Polizeiabsperrung

Die Plattform für Demokratie und Arbeit in Wan hatte gemeinsam für den Mittwochabend zur Demonstration aufgerufen. Eine große Menschenmenge versammelte sich in der Stadt. Die Polizei versuchte, die Demonstration zu verhindern und sperrte den Weg ab. Die Frauen durchbrachen unter der Parole „Stoppt die Mörder, nicht die Frauen“ die Blockade und zogen durch das Zentrum der Großstadt. Immer wieder riefen sie „Gerechtigkeit für Rojin – Gerechtigkeit für alle“ und „Frauen, Leben, Freiheit“. Viele Frauen trugen Bilder von Rojin Kabaiş.

Das Land wird zu einem Friedhof der Frauen und Kinder“

Auf einem zentralen Platz der Stadt fand eine Kundgebung statt. Zeynep Tağtekin vom Frauenverein Star sagte: „Dieses Land wird zu einem Friedhof der Frauen und Kinder, jeden Tag werden Frauen in ein Leben bar jeder Sicherheit gedrängt.“ Tağtekin erklärte, dass Rojin Kabaiş nach Wan gekommen war, um durch ein Studium der Pädagogik ein besseres Leben aufzubauen, und fuhr fort: „Rojin verschwand am Rand eines Geländes, das voll von Polizei war und uns seit Jahren als angeblich sicherer Ort präsentiert wird. Die Suchaktionen, die am Tag nach ihrem Verschwinden auf Drängen von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Frauen eingeleitet wurden, waren mindestens genauso fragwürdig wie das Verschwinden Rojins. Wir fragen uns, ob überhaupt eine effektive Ermittlung durchgeführt wurde. Denn wir erinnern uns an die Fälle von Gülistan Doku und Narin, bei denen erlaubt wurde, dass die Spuren verschwinden. So leicht wie es in diesem Land ist, Frauen und Kinder verschwinden zu lassen, so schwer scheint es zu sein, sie wiederzufinden.“

Wir vertrauen mehr einander als dem Gesetz“

Zeynep Tağtekin ging im Folgenden auf die allgemeine Situation von Frauen in der Türkei und Kurdistan und insbesondere die Zahl der Femizide ein und erklärte: „Jeden Tag wird in der Türkei oder in Kurdistan eine weitere Frau ermordet. Der Staat, die Justiz, die Strafverfolgungsbehörden und das patriarchale System sind Komplizen oder erleichtern die Verbrechen durch Ignoranz und Nachlässigkeit. Gewalt gegen Frauen ist kein Einzelfall, sondern ein systematisches und politisches Problem. Frauen werden in diesem System nicht geschützt, denn das Patriarchat, auf dem es aufgebaut ist, soll auf Kosten der Leben von Frauen aufrechterhalten werden. Ein System, das uns hier in Kurdistan mit einem systematischen sicherheitspolitischen Ausnahme- und Belagerungszustand gegenübertritt, missachtet den Schutz von Frauen und zeigt damit seine ganze Doppelmoral. Deshalb sind wir heute hier. Wir vertrauen einander mehr als dem korrupten Gesetz und den Sicherheitskräften, die nur das System schützen. Diejenigen, die Mord und Gewalt gegen Frauen gutheißen, sind die größten Komplizen dieser Verbrechen. Es liegt an der staatlichen Politik der Straflosigkeit, warum Gewalt gegen Frauen und Femizide nicht verhindert werden können. Diese Politik ist es, die die Täter schützt. Während die Täter von den Gerichten mit Strafnachlässen wegen guter Sozialprognose belohnt werden, werden internationale Abkommen wie die Istanbul-Konvention über den Haufen geworfen und das Recht der Frauen auf Leben mit Füßen getreten. Das Fehlen einer wirksamen Umsetzung von Gesetzen zum Schutz von Frauen macht deutlich, dass dieses System für jeden Mord an Frauen Mitverantwortung trägt.“

Das Lebensrecht von Frauen ist politisch“

Die Frauenaktivistin schloss mit den Worten: „Es ist die Pflicht des Staates wie auch der Kommunalverwaltung, eine realistische Politik zum Schutz von Frauen zu entwickeln und umzusetzen. Femizid und Gewalt gegen Frauen können und werden nicht das Schicksal dieser Region bleiben. Wir werden weiterhin für ein freies und gleichberechtigtes Leben in allen Lebensbereichen kämpfen und auf den Straßen und Plätzen laut fragen: ‚Wo ist Gülistan Doku?‘ und ‚Was ist mit Rojin Kabaiş passiert?‘.“

Die Demonstration endete mit einem Sitzstreik.