Autoritarismus in neuem Gewand
Auf die vorläufige Verfassung der syrischen Übergangsregierung gibt es vonseiten der politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien ablehnende Reaktionen. Der Demokratische Syrienrat (MSD) erklärte, der am Donnerstag vom selbsternannten Interimspräsidenten Ahmed al-Scharaa unterzeichnete Entwurf sehe einen Autoritarismus in neuem Gewand vor. Entgegen al-Scharaas Worten, die Verfassungserklärung leite den Beginn „einer neuen Geschichte für Syrien“ ein, verankere sie eine zentralistische Herrschaft, die der Exekutivgewalt absolute Macht verleihe, betonte der MSD. Politische Aktivitäten würden dadurch eingeschränkt und die Gründung von Parteien eingefroren. „Wir lehnen jeden Versuch strikt ab, eine Diktatur unter dem Deckmantel einer Übergangsphase wiederherzustellen.“ Der Entwurf werde kategorisch zurückgewiesen und müsse neu geschrieben werden, so der MSD.
Parallelen zum rassistischen Baath-Regime
Neben dem MSD, der das politische Gremium ist, dem die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) Bericht erstatten, äußerte sich auch die Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM) zum Verfassungsentwurf al-Scharaas. Dieser weise „strukturelle Ähnlichkeiten mit den Gesetzen des alten rassistischen Regimes und der Baath-Partei“ auf, erklärte die TEV-DEM. Syrien erlebe nach einer politischen Diktatur wohl doch keine Übergangsphase, sondern die Weichenstellung einer religiösen Diktatur, so die Bewegung.
Zwar wimmelt es in der neuen syrischen Übergangsverfassung, die die fünfjährige Übergangsperiode nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad regeln soll, nur so von Rechten wie für Frauen sowie Presse- und Meinungsfreiheit und auch Parteienvielfalt, aber auch von Schranken. So wird in der Übergangsperiode allein der selbsternannte Präsident die Exekutivgewalt ausüben. Er habe auch die Befugnis, einen Ausnahmezustand zu verkünden, und soll ein Drittel der Mitglieder des parlamentarischen Systems des Volksrats bestimmen.
Die Bezeichnung Syrische Arabische Republik bleibt laut Entwurf erhalten, Arabisch soll alleinige Amtssprache sein. Den nicht-arabischen Gemeinschaften wolle man aber kulturelle und sprachliche Rechte garantieren. Und auch die Glaubensfreiheit wird auf dem Papier bekräftigt – aber nur für Buchreligionen, die aus islamischer Sicht auf einem Glauben an einen Gott beruhen. „Persönliche Angelegenheiten religiöser Sekten“ sollen geschützt und garantiert werden, die Ausübung bestimmter religiöser Rituale wiederum könne eingeschränkt werden, wenn sie als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung angesehen werden. Als Grundlage der Gesetzgebung werde Syrien die islamische Rechtsprechung beibehalten. Das Staatsoberhaupt muss demnach Muslim sein.
Keine Fortsetzung der alten Diktatur
„Diese Verfassungserklärung spiegelt nicht den Geist und die Kultur der kurdischen, assyrischen, christlichen und sunnitisch-arabischen Teile Syriens wider, die mehrheitlich einem gemäßigten islamischen Glauben angehören“, betonte die TEV-DEM. Sie untergrabe Bemühungen um eine „echte Demokratie“ und es fehlten Maßnahmen zur „Vielfalt“ Syriens. „Die Nation Syriens muss in der Lage sein, eine gemeinsame Zukunft – frei von jeglichem religiösen und sektiererischen Denken – auf der Grundlage aufzubauen, dass dieses Land allen Syrer:innen gehört. In diesen Prozess müssen alle religiösen und ethnischen Gruppen des Landes einbezogen werden. Jeder andere Schritt führt nur zu einer Fortsetzung der alten Diktatur.“