Auch zweieinhalb Jahre nach der Invasion der historisch vorwiegend kurdischen Region Efrîn im Nordwesten von Syrien durch die Türkei und ihre dschihadistischen Hilfstruppen kommt es in dem ehemals selbstverwalteten Kanton nach wie vor zu exzessiver Gewalt, Plünderungen und Vertreibungen. Wie die „Menschenrechtsorganisation Efrîn“ in einem Bericht über die Menschenrechtsverstöße in der ersten Hälfte des Monats August dokumentiert, wird der demografische Wandel in Efrîn bis heute auf allen Ebenen – Leben, Politik, Infrastruktur, Soziales und Natur – systematisch vorangetrieben. Insbesondere die ezidischen Siedlungsgebieten werden zu Gunsten der Dschihadistenmilizen verändert.
Im Kreis Cindirês, einer geografischen Einflusszone der Miliz „Nureddin al-Zenki“, wurde ein ganzer Straßenzug mit Häusern der angestammten Bevölkerung an die Gruppierung „Ahrar al-Sharqiya“ verkauft - für 25.000 US-Dollar. Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurden die rechtmäßigen Besitzer*innen vertrieben. Wo sie sich jetzt aufhalten, ist unklar. In ihren Häusern leben nun Angehörige von Dschihadisten aus Idlib und anderen Regionen Syriens. In Zentral-Efrîn werden vor allem Familien von turkmenischen Islamisten angesiedelt. In einem Besiedlungsgebiet, das sich vom zentralen Dorf Tirindê bis zum Kreis Şêrawa erstreckt, werde zudem ein großes Camp errichtet. Dort sollen ebenfalls Angehörige von Gruppierungen untergebracht werden, die durch den türkischen Staat ausgebildet, ausgerüstet und finanziert werden – größtenteils mit EU-Geldern. Einige bereits fertiggestellte Camps für Personen aus Idlib befinden sich im ezidischen Dorf Bafîlone im Kreis Şera und in dem alevitischen Dorf Afraza in Mabeta.
Massaker an der Natur
Die Verwüstung der Natur Efrîns und die Plünderung aller Ressourcen wird gleichermaßen umfangreich vorwärtsgetrieben. So wurden laut dem Bericht alle Anbauflächen in der Ortschaft Omara bei Şera von den Besatzern in Brand gesteckt. Im Kreis Mabeta wurden die Waldflächen in den Dörfern Gobek und Gulîlka sowie im Umland des Berges Hawar abgeholzt. Für die Rodung benutzten die Besatzungstruppen mehr als hundert Bewohner*innen aus Bilbilê gegen ihren Willen. Eine minimale Anzahl der geraubten Bäume landete nach Recherchen des Vereins als Brennholz in Idlib. Der Großteil des Baumbestandes wurde allerdings in die Türkei gebracht.
Im Bericht der Menschenrechtsorganisation Efrîn werden zudem weitere Gräueltaten an der Zivilbevölkerung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgelistet. So kommt es nach wie vor zu Mord, Entführungen, Folter, Diebstahl und Gewalt sowie der Zerstörung von öffentlichem und privatem Eigentum. Jeden Tag werde mit dem Ziel, die eigentlichen Bewohner*innen Efrîns zu vertreiben, weiter an der Repressionsschraube gedreht. Der Verein verurteilt, dass sich die internationale Staatengemeinschaft noch immer nicht für ein sofortiges Ende der türkischen Aggression in Nord- und Ostsyrien ausgesprochen hat und nach wie vor keine konkreten Schritte unternommen werden, um den Völkerrechtsbruch und die Invasion durch den Nato-Partner Türkei zu beenden.