Aussage von inhaftiertem Dschihadisten zu Massaker in Minbic

Einer der inhaftierten Täter des schweren Anschlags auf die QSD und die Koalitionstruppen in Minbic erklärt, der Sprengstoff sei aus Idlib durch die türkisch besetzten Gebiete transportiert worden.

Am 16. Januar 2019 erschütterte ein schwerer IS-Anschlag die nordsyrische Stadt Minbic. Bei dem Massaker wurden 13 Zivilisten, vier US-Soldaten und zwei Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) getötet.

Nach dem Anschlag konnten einige an der Vorbereitung des Anschlags beteiligte Dschihadisten festgenommen werden. Einer dieser Dschihadisten ist Abdul Aziz Mohammed al-Shaji. Er berichtete gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA über den Anschlag.

Al-Shaji stammt aus Girê Spî (Tell Abyad). Er wurde 1992 geboren und lernte im Jahr 2014, als der IS Girê Spî besetzte, den tunesischen Dschihadisten Abu Abdulrahman al-Tunusi kennen und schließt sich dem IS an. Er wird dort ausgebildet und beginnt anschließend seinen Dienst an der Grenze von Girê Spî zur Türkei. Dieser Grenzübergang Tell Abyad/Akçakale stellte einen für den IS logistisch besonders bedeutsamen Grenzübergang dar, da er von hier aus vom türkischen Staat mit Waffen, Logistik und Rekruten versorgt wurde.

Die Zusammenarbeit zwischen dem IS und dem türkischen Staat an der Grenze

Seit Beginn der Syrienkrise unterstützte der türkische Staat den IS. Er öffnete seine Grenzen für ausländische Dschihadisten, die sich dem IS anschließen wollten, und versorgte diese mit allem, was sie benötigten. Al-Shaji selbst berichtet, wie verletzte IS-Dschihadisten mit Krankenwagen in die Türkei gebracht wurden. Al-Shaji spricht über die Zusammenarbeit zwischen IS und Türkei: „Als ich an der Grenze tätig war, konnte ich eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS bezeugen. Es gab einen IS-Funktionär namens Abu-Harith, der für die Verbindung zur türkischen Armee verantwortlich war, um den Transport von türkischen Krankenwagen mit verletzten IS-Mitgliedern in die türkischen Städte zu koordinieren. Zu dieser Zeit hatte die Türkei den Grenzübergang für die Bevölkerung geschlossen, aber für den IS war er offen. Jeden Tag passierten ihn Hunderte und schlossen sich dem IS an.“

Als al-Shaji an der Grenze arbeitete, begannen die YPG und YPJ die Offensive „Şehîd Rûbar Qamişlo" und rückten gen Girê Spî vor. Am 15. Juni 2015 wurde die Stadt befreit. Nachdem er acht Monate an der Grenze tätig war, geht al-Shaji, als die Stadt von den YPG/YPJ umstellt wurde, nach Raqqa. Dort erhält er die Aufgabe, verletzte Dschihadisten im Krankenwagen von Raqqa nach Mosul zu bringen.

Von Mayadin nach Minbic

Anfang 2017 beginnt die QSD-Offensive „Zorn des Euphrat“ auf Raqqa. Al-Shaji verlässt Raqqa und wird in das an der irakisch-syrischen Grenze gelegene Mayadin verlegt. Als das syrische Regime die Stadt bombardiert, will er den Ort verlassen. Ohne der IS-Führung Bescheid zu geben, kehrt er 2017 mit Hilfe eines Schmugglers namens Amir nach Raqqa zurück. Von Raqqa lässt er sich mit Hilfe eines Schmugglers gemeinsam mit seiner Familie nach Minbic bringen und beginnt dort in einem Autogeschäft zu arbeiten.

Treffen mit IS-Funktionär in Minbic

Er berichtet weiter: „In Minbic habe ich mich mit Abu Neda al-Kurdi getroffen. Ich kannte ihn von der Al-Batar-Brigade in Raqqa. Seine Aufgabe war es, zu den IS-Stellungen Trinkwasser zu bringen.“ Abu Neda sagte ihm, er werde dem IS-Kommandanten Abu Ali berichten, dass er ihn in Minbic gesehen habe.

Plan zum Angriff auf Koalitionstruppen in Minbic

Abu Ali stammt aus Idlib. Er war als Leiter der „IS-Migrationsbehörde“ dafür verantwortlich, den Grenzübertritt für ausländische Dschihadisten zu organisieren. Er hielt sich immer an verschiedenen Orten auf, immer wieder reiste er ins türkisch besetzte Dscharablus, nach al-Bab oder Idlib. Von dort aus reiste er durch das von den von der Türkei befehligten „Schutzschild Euphrat“-Milizen kontrollierte Gebiet nach Minbic. Al-Shaji sagt, er wisse über Abu Ali nur, dass er aus Idlib stamme und Verbindungen zu einigen Personen dort habe, er seinen Aufenthaltsort aber nicht kenne. Abu Ali plante den Anschlag auf die Koalitionstruppen und brachte den Sprengstoff von Idlib durch die von der Türkei besetzten Gebiete nach Minbic.

Treffen mit Abu Ali

Al-Shaji lernt durch Abu Neda al-Kurdi, Abu Ali kennen: „Wir haben mit Abu Neda telefoniert und er wollte von mir, dass ich zu einer Moschee in der Nähe von Minbic komme. Wir trafen uns dort. Abu Ali fragte nach dem Leben in Minbic. Außerdem fragte er nach den Koalitionskräften und der allgemeinen und speziellen Situation in der Region. Zuletzt nahm er meine Telefonnummer.“ Eine Woche später rief Abu Ali ihn an und erklärte, Abu Neda sei festgenommen worden, er wisse aber nicht von wem. Er sagte, er werde nach Idlib reisen und von dort mit mir über Telegram Kontakt aufnehmen.

Die Vorbereitung des Anschlags

Zwei Monate später kommt Abu Ali aus Idlib nach Minbic und trifft sich mit al-Shaji: „Ich habe mich mit Abu Ali getroffen. Er war mit dem Motorrad unterwegs. Als wir uns durch Minbic bewegt haben, haben wir die Patrouillen der Koalitionstruppen gesehen. Abu Ali näherte sich ihnen und schaltete sein Telefon ein um zu ermitteln, ob in der Nähe der Fahrzeuge das Telefonnetz funktionierte. Das Netz funktionierte nicht und er schaltete sein Telefon aus. Er hat sich darüber geärgert und verlangte von mir, ich solle immer, wenn ich Fahrzeuge der Koalition sähe, kontrollieren, ob das Netz funktioniert oder nicht.“ Einen Monat später trifft sich al-Shaji mit Abu Ali und berichtet ihm, dass ein Konvoi der Koalition in Minbic eingefahren sei. Abu Ali trägt ihm auf, den Konvoi zu beobachten: „Dann ging ich dorthin, wo sich Abu Ali aufhielt. Er holte ein kleines Gerät aus seiner Tasche. Dieses Gerät diente dazu, das Telefonnetz zu verstärken. Er wollte, dass ich mich den Koalitionsfahrzeugen auf dem Motorrad näherte. Aber in der Nähe der Koalitionsfahrzeuge ging das Telefon wieder nicht.“

Warum interessiert sich Abu Ali für das Telefonnetz?

Al Shaji sagt, Abu Ali habe einen Angriff mit einer großen Fahrzeugbombe oder einer Bombe am Straßenrand gegen einen Konvoi der Koalition durchführen wollen. Die Bombe sollte mit einem Telefon ferngezündet werden. Da das Telefonnetz allerdings nicht in der Nähe der Koalitionsfahrzeuge funktionierte, musste Abu Ali seinen Plan verändern.

Abu Ali kehrt nach Idlib zurück und bereitet seinen Plan vor

Al-Shaji berichtet, Abu Ali habe ihn von Idlib aus angerufen und ihn beauftragt, einer Person, die nach Minbic kommen werde, einen Ort zur Verfügung zu stellen. Bei dieser Person handelte es sich um Abu Yasin aus Homs. Al-Shaji sagt: „Ein paar Tage später sprach Abu Yasin mit mir und wollte, dass ich ihn mit zu mir nach Hause nehme. Am nächsten Tag wollte er, dass ich ihn zum Kleidung kaufen zum Markt begleite. Als wir auf dem Markt waren, sprach Abu Ali mit mir.“

Wie wurde der Anschlag durchgeführt?

Am 16. Januar führte ein Selbstmordattentäter des IS in der Sundus Straße in Minbic um 12.38 Uhr Ortszeit vor dem Lokal Qasr al-Umara einen Anschlag aus. Bei diesem Attentat starben dreizehn Zivilisten, vier US-amerikanische Soldaten und zwei Kämpfer der QSD. Al-Shaji erzählt über den Anschlag: „Abu Ali telefonierte mit mir und wollte, dass ich zum Gemüsemarkt komme, um mich mit ihm zu treffen. Ich traf dort Abu Ali. Er hatte ein paar Tüten mit Gemüse und eine schwarze Tüte, in der sich der Sprengstoff befand, in der Hand. Ich verließ das Fahrzeug für fünf Minuten, um Guthaben auf mein Telefon zu laden. Abu Ali sprach mit mir sagte, ich solle schnell zum Auto gehen. Als ich am Auto ankam, stieg Abu Yasin aus und ging zu dem Ort, wo sich die Fahrzeuge der Koalition befanden. Abu Ali fuhr das Auto ins Stadtviertel hinein. In diesem Moment kam aus der Richtung der Koalitionsfahrzeuge der Knall einer großen Detonation. Nach der Explosion sagte Abu Ali, ich solle mein Telefon vernichten und dass sich Abu Yasin bei den Koalitionskräften in die Luft gesprengt habe. Wir trennten uns, seitdem habe ich Abu Ali nie wieder gesehen.“

Wie wurde der Sprengstoff nach Minbic gebracht?

Minbic liegt an der Saur-Front. Auf der anderen Seite befinden sich die vom türkischen Staat besetzten Gebiete. Al-Shaji berichtet, dass Abu Ali aus Idlib den Anschlag geplant habe und den Sprengstoff von Idlib durch das von der Türkei besetzte Gebiet nach Minbic gebracht habe. Auch die Tatsache, dass sich Abu Ali immer wieder in Idlib und in den vom türkischen Staat und seinen Milizen besetzten Gebiet aufgehalten hat, wirft die Frage auf, ob bei dem Anschlag Verbindungen zum türkischen Staat bestehen.

Nach dem Angriff auf die Koalitionskräfte konnten die Sicherheitskräfte eine IS-Zelle ausheben und am 23. Januar Abdul Aziz al-Shaji wegen des Verdachts der Hilfe bei der Vorbereitung des Anschlags festnehmen. Im Rahmen der Ermittlungen legte al-Shaji ein Geständnis ab.