Trotz aller Angriffe, dem Embargo und den Destabilisierungsversuchen gegen Nord- und Ostsyrien ist das von der Autonomen Administration (AANES) verwaltete Gebiet ein Zufluchtsort für mehr als eine Million Schutzsuchende aus der ganzen Region. Über 700.000 der Geflüchteten sind Binnenflüchtlinge, die vor der türkischen Besatzung in Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî geflohen sind. Die Selbstverwaltung versucht, die Schutzsuchenden mit ihren begrenzten Mitteln zu versorgen und zu schützen. Doch es kommt immer wieder zu Angriffen des türkische Staates auf die Camps. Şêxmûs Ehmed, der Vorsitzende des Büros für Flucht und Migration der AANES, hat sich gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA über die Situation der Schutzsuchenden geäußert.
Şêxmûs Ehmed ist Vorsitzender des Büros für Flucht und Migration
Ehmed berichtet, dass viele der Schutzsuchenden entweder vor dem Assad-Regime oder vor dschihadistischem Terror geflohen seien. Die Infrastruktur der Region habe sich noch nicht vom Krieg gegen den IS erholt. Eine weitere große Gruppe von Schutzsuchenden seien Binnenflüchtlinge aus den von der Türkei und ihren dschihadistischen Söldnertruppen besetzten Gebieten um Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî. Viele der Vertriebenen aus Efrîn befänden sich vor allem in Camps in der Şehba-Region, wo die Zahl der Schutzsuchenden die Zahl der ursprünglichen Einwohner:innen weit übersteigt. In Camp Hol bei Hesekê und im Roj-Camp befänden sich außerdem 30.000 Schutzsuchende aus dem Irak und 10.000 Angehörige von IS-Dschihadisten.
400.000 Schutzsuchende aus Efrîn
Ehmed erklärt, dass rund 400.000 Binnenflüchtlinge aus dem besetzten Efrîn in Einrichtungen im Kanton Şehba untergebracht seien. Der Kanton Şehba hatte vor der Besetzung von Efrîn im Jahr 2018 90.000 Einwohner:innen. Derzeit gibt es dort fünf Camps mit den Namen Şehba, Serdem, Berxwedan, Veger und Efrîn. Viele der Schutzsuchenden hätten sich aber auch in den selbstverwalteten Stadtvierteln Şêxmeqsûd und Eşrefîyê in Aleppo sowie in den Regionen Raqqa, Tabqa und Cizîrê angesiedelt.
Ehmed berichtet weiter, dass etwa 300.000 Binnenflüchtlinge aus Serêkaniyê und Girê Spî in Rojava versorgt werden. Sie sind in den Lagern Waşûkanî, Serêkaniyê und Newroz in der Nähe der besetzten Gebiete und in Til Semin nördlich von Raqqa untergebracht.
Die Gesamtzahl der Schutzsuchenden und Migrant:innen, wenn man die Zahl der Menschen aus dem Irak und die Angehörigen der IS-Dschihadisten einrechne, liege bei über einer Million. Es befänden sich in Raqqa, Minbic und Deir ez-Zor mehr als hundert inoffizielle Unterbringungseinrichtungen und in Dörfern bei Raqqa 58 weitere. Die Mehrheit dort sei aus den Gebieten unter Regimekontrolle und den Gebieten unter der Kontrolle des Al-Qaida-Ablegers HTS bei Idlib und Aleppo geflohen.
„Die Menschen sollen in Sicherheit und Würde zurückkehren können“
„Wir setzen uns für die freiwillige Rückkehr von Geflüchteten an ihre Herkunftsorte ein. Leider interessieren sich weder die Regierung in Damaskus noch die internationalen Organisationen für diese Frage und unterstützen keine Rückkehr in Sicherheit und Würde“, sagt Ehmed. Das bringe die Selbstverwaltung in einer schwierige Lage.
„Die UN haben bisher nur fünf Lager anerkannt“
Ehmed führt aus: „AANES hat nur begrenzte Möglichkeiten, die Schutzsuchenden zu versorgen. Die UN und andere Organisationen leisten keine Unterstützung. Wenn die AANES ihre Türen öffnet, werden viele Menschen kommen, die hier leben wollen. Die Anzahl der Lager, die die autonome Verwaltung für die Versorgung dieser Menschen zur Verfügung stellt, liegt bei 16. Sechs dieser Lager befinden sich in der Region Cizîrê, eines in Raqqa, eines in Tabqa, zwei in Minbic, eines in Deir ez-Zor und fünf in Şehba. Die UN haben aber nur fünf Lager anerkannt.“
„Türkische Angriffe und Embargo machen Schutzsuchenden das Leben schwer“
Im Jahr 2018 wurde der Grenzübergang bei Til Koçer (al-Yarubiyah) auf Beschluss des UN-Sicherheitsrats auf russisches Drängen hin geschlossen. 2020 wurde die Schließung nochmals bestätigt. Durch die Schließung dieses Grenzübergangs sind keine UN-Hilfslieferungen aus dem Irak mehr möglich und das Regime blockiert Hilfslieferungen über Damaskus. Ehmed unterstreicht, dass es bisher kein Anzeichen einer Öffnung gebe. Das verstärke die Schwierigkeiten, die Menschen zu versorgen, da praktisch keine internationale Unterstützung möglich sei. Nach Beginn des Ukraine-Kriegs sei die UN-Unterstützung vollständig eingebrochen und türkische Luft- und Bodenangriffe und IS-Zellen verhinderten, dass Hilfsorganisationen kommen und die Menschen unterstützen könnten.
„Die Staaten sollten zumindest ihre Bürger:innen zurücknehmen“
Ehmed fordert, dass zumindest der Irak und andere Staaten in Europa und weltweit ihre Bürger:innen zurücknehmen sollten. Der Irak verzögere dies jedoch immer wieder. Trotz der schwierigen Lage unterstreicht Ehmed, dass die AANES die notwendige Unterstützung für Migrant:innen und Flüchtlinge bereitstellen werde, und ruft die Vereinten Nationen und die internationale Koalition auf, die Selbstverwaltung dabei zu unterstützen.