Die Angriffe der türkischen Armee und ihren dschihadistischen Milizen gegen die Völker von Efrîn halten unvermindert an. Kurd*innen, Araber*innen, Tscherkess*innen und Armenier*innen, Angehörige der Glaubensrichtungen des Êzîdentums, des Christentums, Sunnit*innen und Alevit*innen lebten seit der im Jahre 2014 ausgerufenen, demokratischen Selbstverwaltung und ab 2016 innerhalb der Demokratischen Föderation Nordsyrien in Harmonie zusammen. Sie führten ein selbstbestimmtes, gemeinschaftliches Leben mit all den verschiedenen Sprachen und Kulturen, in dem jeder zu Wort kam. Zu den Menschen, die wir vergangenes Jahr zwischen August und Oktober in Efrîn beobachten und begleiten konnten, gehören auch die Alevit*innen von Mabeta.
Verfolgung durch das Osmanische Reich
In die Geschichte der Alevit*innen von Mabeta fallen unzählige Massaker des Osmanischen Reiches. Ihre Vorfahren sind im Zuge der Schlacht von Mercidabik (Mardsch Dabiq) aus den nordkurdischen Provinzen Meletî (Malatya) und Mereş (Maraş) nach Efrîn geflohen. Die Schlacht von Mardsch Dabiq in der Nähe von Aleppo fand am 24. August 1516 zwischen dem Osmanischen Reich unter Sultan Selim I., und den Mamluken unter dem Sultan der Burdschiyya-Dynastie Al-Aschraf Qansuh al-Ghuri statt. Doch auch nach der Besatzung der Region durch die Osmanen kam es zu Massakern an den Alevit*innen in Efrîn. Auch Alevit*innen aus Dersim flohen nach dem Genozid von 1938 nach Efrîn. Erst vergangene Woche kam eine ganze Familie, die den Genozid an der Bevölkerung von Dersim überlebt hatte, bei einem Angriff der türkischen Armee in Efrîn ums Leben.
Zwar war Mabeta während unseres Besuchs vor Ort auch im September türkischen Artillerieangriffen ausgesetzt, doch siegte damals die Aufregung über die Kommunalwahlen. Gemeinsam mit dem alevitischen Geistlichen der Gemeinde Mabeta, Pir Cömert, haben wir damals das 2015 gegründete alevitische Zentrum und den Geistlichen Dede Yağmur besucht. Doch heute ist Mabeta wie all die anderen Orte von Efrîn bedroht von Besatzung, Zerstörung und Tod.
„Aus friedvollen Völkern machten sie Feinde“
Bei unserem Besuch damals hat uns Pir Cömert darüber aufgeklärt, wie der Widerstand der alevitischen Bevölkerung gegenüber einer möglichen Besatzung aussehen werde. Pir Cömert erwähnte auch, dass es überall in Efrîn heilige Stätten der Alevit*innen gäbe: „Viele Alevit*innen sind vor den Gräueltaten der Osmanen geflohen und haben Schutz in diesen Ländern gesucht. In den jetzt sunnitischen Dörfern lebten alevitische Geistliche wie Sevrin Dede, Xelil Dede, Comert Dede, Ibrahim Dede und viele weitere. Wir Alevit*innen und unsere êzîdischen Geschwister mussten viele Massaker erleiden. Zu Zeiten des Osmanischen Reiches wurden im Zuge des politisierten Islam miteinander friedvoll lebende Völker und Glaubensgemeinschaften zu Feinden gemacht. Auch heute tun sie das. Um erneut unseren Glauben, unsere Philosophie und unsere Existenz vertreten zu können, haben wir in Mabeta ein alevitisches Zentrum gegründet. Jeden Donnerstag kommen unsere Menschen hierher und halten ihre Andacht ab. Zuerst hält sich der Geistliche bereit. Im Anschluss erscheinen die Zakir (Hymnensänger).
„In Efrîn erreichten wir gemeinsam das Schöne und Menschliche“
Pir Cömert erzählte uns auch, wie sich das Leben unter einer demokratischen Selbstverwaltung in der Demokratischen Föderation Nordsyrien gestaltet: „Die Alevit*innen praktizieren ihren Glauben nicht mehr wie in der Vergangenheit im Verborgenen. Sie geben ihre Identität, ihren Glauben und ihre Philosophie zu erkennen. Heute werden hier Sprachen, Kulturen und Glaubensrichtungen nicht unterdrückt. In Efrîn haben wir alle gemeinsam mit freien Gedanken und Liebe das Schöne und Menschliche erreicht.“
In Mabeta gibt es fünf Kommunen, die von Alevit*innen gegründet wurden. Eine dieser Kommunen ist die Şehîd-Şiyar-Kommune. Wir sprechen mit ihrer Ko-Vorsitzenden Mevlüde. Sie erzählt uns, dass viele Probleme durch die Kommunen gelöst werden: „Die Kommunen haben wir schon vor langer Zeit gegründet. Wir haben Wahlen durchgeführt, infolgedessen ich zu einer der Ko-Vorsitzenden gewählt wurde. Die Kommunen sind dafür da, Dienstleistungen für unsere Bevölkerung zu erbringen. Wir gehen den anliegenden Arbeiten nach und kümmern uns um die Lösung von Problemen. Unser Dorf ist ein alevitisches Dorf. Mit Seelenheil und Plauderei werden wir für unsere Bevölkerung da sein.“
Mein Kollege Tino Zagros, der damals auch die Alevit*innen von Mabeta besuchte, traf sich vor einigen Tagen mit dem Geistlichen Pir Cömert in Efrîn. Pir Cömert berichtete Tino, dass die Alevit*innen heute von den Enkeln der Osmanen mit denselben Absichten wie damals angegriffen werden. Der Geistliche betonte, dass die Alevit*innen bis zu ihrem letzten Tropfen Blut Widerstand leisten werden: „Insbesondere wir Alevit*innen sollten nicht vergessen, dass die türkische Regierung in Dersim 80.000 Alevit*innen massakriert und viele weitere deportiert hat. Wir dürfen nicht vergessen, was den Alevit*innen von der türkischen Regierung in Mereş und Sêwas angetan wurde. Denn jetzt greifen sie Efrîn an und bombardieren die Bevölkerung. Sie töten die Menschen und zwingen sie zur Flucht. Auch unsere Gebetshäuser werden zum Ziel ihrer Angriffe. Wir Alevit*innen müssen sowohl für unseren Glauben als auch für unser Volk eintreten. Wir sind bereit, Mabeta und Efrîn zu verteidigen. Wir werden uns bis zum letzten Tropfen Blut der Besatzung entgegenstellen und unser Volk schützen. Wir lassen nicht ab von unserem Weg. Unser Weg ist der Weg des Rechtes, der Weg der Menschlichkeit und der Weg der Aufrichtigkeit. Wir lassen nicht zu, dass sie die schmutzige Geschichte erneut über uns bringen. Gott möge unser Volk mit Erfolg segnen und der Bevölkerung und den Ländern von Efrîn die Kraft des Schwertes des Propheten Ali gewähren.“