Aldar Xelîl: Gemeinsame Verwaltung Nordsyriens notwendig

Der ehemalige Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM), Aldar Xelîl, berichtet von der Entscheidung, alle unter dem Dach von TEV-DEM organisierten Bereiche an die Selbstverwaltung anzuschließen.

Der ehemalige Exekutivratsvorsitzende von TEV-DEM, Aldar Xelîl, beantwortete Fragen der Nachrichtenagentur ANHA zu den Entwicklungen auf dem dritten TEV-DEM-Kongress und in der Region.

Was war das Gründungsziel von TEV-DEM und was sind die Hindernisse bei Ihrer Arbeit gewesen?

Die Kurd*innen von Rojava verfügen über das Erbe einer ausdauernden Kampftradition. Die kurdische Bevölkerung von Rojava hat seit Jahren einen Kampf für die Organisierung der Gesellschaft, für eine demokratische Kultur und die Geschwisterlichkeit der Völker geführt. Der Wegweiser des kurdischen Volkes, Abdullah Öcalan, hat Newroz 2005 aufgerufen, eine Form der konföderalen Selbstverwaltung aufzubauen. Öcalans Aufruf war eine historische Botschaft an das kurdische Volk. Wir haben deshalb zu dieser Zeit zusammen mit der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), Kongreya Star und den Jugendorganisationen mit geheimen Organisierungstreffen begonnen.

Wir entschlossen uns, die Organisierung zu erweitern, um alle Komponenten der Gesellschaft einzubeziehen. Dafür sahen wir insbesondere in der Bevölkerung einen Bedarf an Bildung. Aber aufgrund der Repression durch das Regime, die Festnahmen und die Angriffe standen uns viele Hindernisse im Weg. Mit dem Ziel, eine Dachorganisation für die Völker Rojavas aufzubauen, wurde im Jahr 2007 die KCK-Rojava-Bewegung offiziell bekannt gegeben.

Das Regime steigerte in Folge dessen seine Repression und seine Angriffe gegen die Bewegung. Mitglieder der Bewegung wurden inhaftiert und schwer gefoltert. Aus diesem Grund konnten keine Räte aufgebaut werden. Wir hatten in dieser Zeit viele Gefallene. Als der Frühling der Völker, der in Ägypten, Tunesien und Jemen begann, 2011 Syrien erreichte, erweiterten sich unsere Möglichkeiten für ein intensiveres Engagement deutlich.

Wie schätzen Sie den Einfluss der ersten Schritte der syrischen Revolution auf TEV-DEM ein?

Mit dem Beginn der syrischen Revolution haben wir gemeinsam mit dem Volksrat von Rojava die Gründung von TEV-DEM vorbereitet. Wir zielten darauf ab, der demokratische Revolution und der Geschwisterlichkeit der Völker zum Sieg zu verhelfen. Wir wollten die Aufhebung des Monismus und die Schaffung einer freien Gesellschaft, in der sich die Bevölkerung selbst verwaltet.

Durch die Revolution von Rojava setzten TEV-DEM und der Volksrat von Rojava die Forderungen und Ziele des kurdischen Volkes um. Damit sich die Bevölkerung selbst organisieren und verwalten kann, wurden unter dem Dach von TEV-DEM Komitees, Institutionen und Einrichtungen geschaffen. Es wurden Verteidigungs-, Bildungs- und Dienstleistungskomitees gegründet und TEV-DEM begann, trotz ihrer beschränkten Möglichkeiten, große Schritte zu machen.

In Rojava wurden im Jahr 2014 die Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltungen gegründet und die Komitees, die unter dem Dach von TEV-DEM arbeiteten, begannen zusammen mit den autonomen Selbstverwaltungen zu arbeiten. Die Bewegung versammelte alle Völker Syriens und alle Parteien, die an Demokratie glauben, unter demselben Dach. Für die Entwicklung des Projekts wurden alle Möglichkeiten genutzt und es wurde mit ganzer Kraft gearbeitet.

Was war das Hauptziel des dritten TEV-DEM-Kongresses?

Es wäre notwendig gewesen, diesen Kongress zu Beginn des Jahres 2018 durchzuführen, aber aufgrund der Angriffe der Türkei auf Efrîn musste er verschoben werden. Wir haben den Kongress dann am 27. August durchgeführt. Das Grundziel des Kongresses war es, alle Institutionen und Komitees von TEV-DEM in die autonome Selbstverwaltung übergehen zu lassen.

Bis zu welchem Niveau konnte die gesellschaftliche Organisierung, auf die TEV-DEM abzielt, realisiert werden?

TEV-DEM hat bis heute die Arbeit an der Organisierung der Bevölkerungsgruppen ausgeweitet, und um eine Führungsrolle bei der Organisierung der Gesellschaft spielen zu können, die verschiedenen Völker und Glaubensrichtungen unterstützt. Wir können aber nicht sagen, dass unsere Arbeit mit der Organisierung eines Teils der Gesellschaft oder der Zusammenarbeit mit manchen Parteien beendet wäre. Es wäre ungenügend zu behaupten, dass die Zusammenarbeit mit manchen kurdischen Parteien alle Probleme lösen könne. Manche Teile der Gesellschaft haben keinerlei Beziehung zu gleich welchen Parteien. Deswegen ist es notwendig, für die Organisierung sämtlicher Komponenten der Gesellschaft zu sorgen.

Da TEV-DEM sich im Rahmen der Philosophie der Demokratischen Nation bewegt, hat sie in der Organisierung der Gesellschaft und der Leitung der Revolution eine Vorreiterrolle gespielt. Wenn TEV-DEM nur für das kurdische Volk gekämpft hätte, hätten die anderen religiösen und ethnischen Identitäten den Kampf des kurdischen Volkes mit anderen Augen betrachtet. Diese Situation hätte dann Probleme bei der Lösung der kurdischen Frage in einer fortgeschrittenen Phase mit sich gebracht. Unsere Arbeit und unsere Bemühungen richten sich an alle ethnischen und religiösen Identitäten Nordsyriens. Es entwickelt sich ein demokratisches System des Zusammenlebens. Wir sind stark durch unsere Einheit und unser Zusammenleben.

TEV-DEM hat auf dieser Grundlage auf dem dritten Kongress einige Änderungen in der Satzung vorgenommen. Es hat sich eine Kultur entwickelt die sich davor fürchtet, die Satzung und das Selbstverständnis anzugehen. Aber wir, die wir einen großen Glauben in die Demokratie haben, können ohne Furcht große Änderungen vornehmen.

Haben Sie Projekte für die in Nordsyrien neu befreiten Gebiete?

In vielen Regionen haben wir große Erfolge gehabt. In allen drei Kantonen wurden autonome Selbstverwaltungen und auch in den neu befreiten Gebieten zivile Verwaltungen geschaffen. Die Räte und Verwaltungen können keine Leitung nach ihrem Gusto aufstellen. Zuvor hatte jeder der drei Kantone eine gemeinsame Verwaltung. Sie beschäftigte sich mit jeder Entscheidung, welche die jeweiligen Kantone betraf. Aber jetzt ist es anders. Es muss eine gemeinsame Verwaltung für Raqqa, Cizîr, Kobanê und Tabqa aufgebaut werden. Die aktuelle politische Phase in Nordsyrien macht eine gemeinsame Leitung notwendig.

Was passiert mit den Parteien, die unter dem Dach von TEV-DEM arbeiten?

Unter dem Dach des Demokratischen Syrienrats (MSD) und der föderalen und autonomen Selbstverwaltungen gibt es viele politische Parteien. Diese Parteien haben große Erfolge errungen. Sie werden auch im gemeinsamen Selbstverwaltungssystem Nordsyriens präsent sein und unter dem Dach von TEV-DEM weiter als politisches Komitee arbeiten. Über die Rolle der Parteien unter dem Dach von TEV-DEM finden weiterhin Diskussionen statt.

Welchen Einfluss wird der Kongress auf die Treffen mit dem syrischen Regime haben?

Die Initiative zu Gesprächen mit den Kräften des Regimes über die Syrienkrise, Rojava und die Probleme in Nordsyrien liegt beim MSD. TEV-DEM reicht Vorschläge und Überlegungen beim MSD ein. Der Kongress fand nicht wegen des Dialogs mit den Regimekräften statt, allerdings haben die Entwicklungen das möglich gemacht. Wir können sagen, dass wir zu den genannten Entwicklungen Ergebnisse erzielen konnten.

Efrîn war das Hauptthema auf dem Kongress. Ist TEV-DEM bereit für eine Offensive zur Befreiung von Efrîn?

Efrîn war Hauptthema und ist Grund für tiefsten Schmerz. Wir werden Efrîn unter der Besatzung niemals allein lassen. Wir werden mit all unserer Kraft arbeiten, die Freiheit von Efrîn ist unser Hauptziel. Um diese Offensive mit Erfolg abschließen zu können, müssen wir unseren Organisierungsgrad stärken. Der Kongress war ein Schritt in der Vorbereitung der Offensive zur Befreiung von Efrîn.

Möchten Sie zum Schluss noch etwas hinzufügen?

Man muss die Gesellschaft organisieren, ohne Revolution lässt sich nichts erreichen oder verteidigen. Ich möchte zum dritten TEV-DEM-Kongress vor allem den Familien der Gefallenen und unseren Tag und Nacht arbeitenden Kämpfer*innen, aber auch den Völkern Nordsyriens gratulieren. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Wandel mit dem Sieg gekrönt werden wird.