Friedensaktivistin Perihan Pulat ist tot

Die pensionierte Richterin, Sozialistin und Friedensaktivistin Perihan Pulat ist tot. Die „Feenschwester”, wie sie liebevoll genannt wurde, starb im Alter von 78 Jahren in einem Krankenhaus in Ankara an Lungenversagen.

Perihan Pulat war mehr als eine Friedensaktivistin – sie war ein lebendes Mahnmal gegen die staatliche Unterdrückung in der Türkei. Ob bei der „78er Stiftung“, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Militärdiktatur ab 1980 und die Rehabilitation aller damals Verfolgten fordert, oder beim „Friedensblock”, einem HDP-nahen Zusammenschluss linker Parteien, Gewerkschaften und anderer Organisationen, der sich gegen die türkische Militärbelagerung in kurdischen Städten einsetze, im Kampf um Gerechtigkeit für die Opfer des verheerenden Anschlags auf die Kundgebung des Friedensblocks am 10. Oktober 2015 in Ankara, oder dem Aufbegehren gegen die türkische Staudammpolitik: Perihan Pulat, die in der türkischen Hauptstadt ganze Generationen kannten, beteiligte sich jahrzehntelang in den vordersten Reihen des Widerstands für Freiheit und Demokratie. Nun ist die „Feenschwester”, wie sie von allen liebevoll genannt wurde, am Montag im Alter von 78 Jahren an Lungenversagen gestorben.

Perihan Pulat im April 2014 bei einem Anti-Atomkraft-Protest

Richterin beim Staatsrat, Sozialistin, TİP-Aktivistin

Perihan Pulat hatte Jura studiert und war Richterin beim Staatsrat (tr. Danıştay), einem der obersten Gerichte der Türkei, das in seiner Funktion mit dem deutschen Bundesverwaltungsgericht vergleichbar ist. Sie bezeichnete sich selbst als „Sozialistin”, mit ihrer Freundin Behice Boran, der ersten türkischen Soziologin und Mitgründerin der Arbeiterpartei (TİP), reiste sie in den sechziger Jahren quer durchs Land und besuchte auch entlegendste Dörfer – mit dem Ziel, die TİP innerhalb der arbeitenden Massen zu organisieren, um den Sozialismus zu einer politischen Bewegung zu formieren. Nach ihrer Pensionierung widmete Perihan Pulat sich voll und ganz dem Aktivismus. Wenn sie demonstrieren ging, verließ sie ihre Wohnung nie ohne eines ihrer liebevoll gestalteten Plakate. Auch ihre Halskette mit dem Friedenssymbol und die vielen Buttons an ihre Jacke – auf einem blickte das Konterfei Behice Borans auf den Betrachter, fehlten nie. In den letzten Jahren beteiligte sich Pulat in Ankara vor allem an der Aktion „Wir wollen unsere Arbeit zurück“. Von der Literaturdozentin Nuriye Gülmen und dem Grundschullehrer Semih Özakça ins Leben gerufen, setzte sich die Initiative ab dem 9. November 2016 vor dem Menschenrechtsmonument in der Yüksel Caddesi für die Wiedereinstellung zehntausender Akademikerinnen und Akademiker ein, die unter dem Ausnahmezustand nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli aus dem Staatsdienst entlassen worden waren.

Oktober 2014: Die Feenschwester wird bei den Kobanê-Protesten festgenommen

„Ich habe mich entschieden, hundert Jahre alt zu werden”

Am Abend des 1. Mai 2018, es hatte gerade die 539. Aktion der Yüksel-Aktiven stattgefunden, gleichzeitig war internationaler Tag der arbeitenden Klasse, gegen deren Protest die Polizei ganz in der Nähe des Platzes mit Tränengas und Wasserwerfern vorgegangen war, sorgte ein Foto von einem schwer misshandelten Gesicht, das sich wie ein Lauffeuer im Netz verbreitete, über die Türkei hinaus für Wut und Empörung. Es war das Gesicht von Perihan Pulat. Wie später auch Bilder aus einer Überwachungskamera zeigten, hatte ein Polizist die damals 75-Jährige von hinten gestoßen. Pulat prallte mit voller Wucht mit dem Gesicht auf den harten Steinboden. Passanten, die das Geschehen beobachtet hatten, eilten ihr zur Hilfe. Wenig später wurde sie festgenommen, aber auch auf dem Polizeirevier setzte sich die Misshandlung fort. Der Polizist, der sie dort schlug, fragte während der Tortur: „Bist du immer noch nicht tot?” Ihre Antwort lautete: „Nein. Ich habe mich entschieden, hundert Jahre alt zu werden”.

Die Szenen zeigen den Stoß gegen Perihan Pulat (mit rotem Kopftuch)

Zwar setzte Perihan Pulat sich gegen die Polizeigewalt zur Wehr und zeigte den Beamten an. Die türkische Justiz, die aus dem Präsidentenpalast kontrolliert wird, verurteilte den Täter nur zu einer lächerlichen Geldstrafe in Höhe von 3000 Lira, die er dann auch noch in 15 Raten abzahlen durfte. Von den Folgen der Misshandlung hat sich Perihan Pulat nie erholt. Seitdem ging es mit ihrer Gesundheit rapide bergab. Ruhe in Frieden, Feenschwester.