700 Wochen Samstagsmütter: Wo sind die Verschwundenen?

Seit 23 Jahren fordern die „Samstagsmütter“ in Istanbul Aufklärung über ihre in der Türkei verschwundenen Angehörigen. Am kommenden Samstag ist es das 700. Mal. Auch in Deutschland und weiteren Ländern finden Solidaritätskundgebungen statt.

„Wir fordern unsere gewaltsam verschleppten Angehörigen zurück!“ - So lautet die Forderung, mit der die Samstagsmütter seit nunmehr 700 Wochen ihren friedlichen Widerstand durchführen. Seit 1995 fordern vor allem Mütter, Schwestern und Ehefrauen von in Gewahrsam genommenen Menschen, die nach der Festnahme spurlos verschwanden, Aufklärung über den Verbleib ihrer Angehörigen.

Jeden Samstag um 12.00 Uhr kommen seitdem die Samstagsmütter, Menschenrechtler und Unterstützer mit Fotografien von Hunderten Verschwundenen und Verschleppten zum Platz vor dem Galatasaray-Gymnasium im Zentrum Istanbuls, um mit diesem friedlichen Protest Wahrheit und Gerechtigkeit zu fordern.

Am 25. August 2018 findet der Protest der Samstagsmütter zum 700. Mal statt. In vielen Städten und vielen Ländern werden Solidaritätskundgebungen stattfinden.

Die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei

Die am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams in der Türkei begann am 27. Mai 1995 mit der Sitzaktion der Familie und der Rechtsvertreter des durch Folter ermordeten Lehrers Hasan Ocak auf dem Galatasaray-Platz. Der Familie von Hasan Ocak schloss sich dann die Familie von Rıdvan Karakoç an, dessen Leichnam die Familie erhielt, nachdem er für einige Zeit verschwunden gewesen und zu Tode gefoltert worden war. Die beim ersten Zusammentreffen dreißig Menschen zählende Gruppe wuchs mit jeder folgenden Woche. Später sollten sich Tausende am Galatasaray-Platz versammeln. Die Presse gab der Gruppe, die jeden Samstag auf dem Platz eine Sitzaktion durchführte, den Namen „Samstagsmütter“. Die Gruppe nahm den Namen an und begann sich selbst Samstagsmütter zu nennen.

Für ein kollektives historisches Gedächtnis

Wie die „Mütter des Platzes der Mairevolution“ in Argentinien haben auch die Samstagsmütter mehrere Forderungen: Sie wollen wissen, was dem Opfer widerfahren ist, und sie wollen ihre Angehörigen zurück – tot oder lebendig. Mit dieser Forderung wird versucht, diese Menschenrechtsverletzungen im kollektiven Gedächtnis lebendig zu halten. Die zweite Forderung betrifft die Feststellung der Täter und die strafrechtliche Ahndung des Verbrechens.

Die Verweigerung des Vergessens durch die Samstagsmütter ist nicht auf Istanbul begrenzt geblieben, sondern hat sich auch auf kurdische Städte mit den höchsten „Verschwundenen-Raten“ wie Amed (Diyarbakır) und Şirnex (Şırnak) ausgebreitet.

Die zweite Generation der Samstagsmütter

Besna Tosuns Vater Fehmi Tosun ist verschwunden, als sie selbst zwölf Jahre alt war. Seitdem verbringt sie ihre Samstage mit den Samstagsmüttern. Gegenüber ANF erklärte sie: „Wir sind inzwischen die zweite Generation und haben den Kampf unserer Mütter übernommen. Sie haben uns beigebracht, nicht nur auf dem Galatasaray-Platz und nicht nur für die Verschwundenen, sondern in allen Bereichen des Lebens gegen das Unrecht zu kämpfen. Auf dem Platz fühle ich mich stark. Dieser Platz ist das Erbe unserer Mütter. Bis es Gerechtigkeit gibt, wird dieser Kampf von Generation zu Generation weitergegeben werden.“

Am kommenden Samstag werden an folgenden Orten Menschen dem Aufruf der Samstagsmütter folgen und auf die Straße gehen.

Deutschland:

Berlin: 11.30 Uhr, Kottbusser Tor

Köln: 12.00 Uhr, Heumarkt

Hamburg: 12.00 Uhr, Altona, vor Mercado

Frankfurt: 11.00 Uhr, Brockhaus Brunnen

Stuttgart: 12.00 Uhr, Bad Cannstadt - Marktstraße

Rüsselsheim: 12.00 Uhr, Rüsselsheimer Bahnhof

Nürnberg: 12.00 Uhr, Kartäusergasse, 90402 Nürnberg

Mainz: 12.00 Uhr, Neu Brunnen Platz

Kiel: 12.00 Uhr, Rathausplatz

Braunschweig: 12.00 Uhr, Sack 15, 38100 Braunschweig, Vor der Buchhandlung Graff,

Hannover: 12.00 Uhr, vor dem Hauptbahnhof

Frankreich:

Paris: 12.00 Uhr, Place, Joachim du Bellay

Bordaux: 12.00 uhr, Place, de la victorie

Strasbourg: 11.00 Uhr, Place Kleber

Schweiz:

Basel: 12.00 Uhr, Bahnhof SBB

Genf: 11.00 Uhr, Palais des Nations, 1211 Geneve

Österreich:

Wien: 11.00 Uhr, Stephanplatz

Innsbruck: 13.30 Uhr, Franziskanerplatz

Belgien:

Brüssel: 10.00–14.00 Uhr, Place de la Monnai

Holland:

Amsterdam: 15.00 Uhr, Dam Plein

England:

London: 12.00 Uhr, Trafalgar

Schweden:

Stockholm: 11.00 Uhr, Raoul Wallenbergs torg

Göteborg: 13.00 Uhr, Brunnsparken

Dänemark:

Kopenhagen: 11.00 Uhr, Oktober Bogklub Vesterfaelledvej

Kanada:

Toronto: 12.00 Uhr, Lower Spadina Ave ONM5V 272

Australien:

Melbourne: 14.00 Uhr, State Library

Darüber hinaus werden Aktionen in Spanien, Argentinien, Schottland, Mexiko, Italien, Griechenland und Zypern stattfinden.