Zehrê Şemo: „Es geht um Sein oder Nichtsein“
Zehrê Şemo von der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ erklärt zum Abkommen zwischen PDK und irakischer Regierung: „Es geht um Sein oder Nichtsein.“ Sie warnt vor einem neuen Massenmord in der Şengal-Region.
Zehrê Şemo von der ezidischen Frauenbewegung TAJÊ erklärt zum Abkommen zwischen PDK und irakischer Regierung: „Es geht um Sein oder Nichtsein.“ Sie warnt vor einem neuen Massenmord in der Şengal-Region.
Die Drohungen der irakischen Zentralregierung, der südkurdischen PDK und des türkischen Staates gegen die selbstverwaltete ezidische Region Şengal gehen weiter. Zehrê Şemo von der Befreiungsbewegung ezidischer Frauen (Tevgera Azadiya Jinên Êzidî, TAJÊ) sagt, dass sich die Menschen in der Region dennoch nicht beugen werden. Sie erinnert an den im August 2014 verübten Genozid und Femizid durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und erklärt, dass das Massaker durch den Rückzug der PDK-Truppen möglich geworden ist. Im vergangenen Jahr haben PDK und irakische Regierung ein Abkommen über die Aufteilung der Region Şengal geschlossen. Dieses Abkommen, hinter dem unter anderem die Türkei steht, soll jetzt umgesetzt werden.
Ein erster Schritt soll die Auflösung der Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung (Asayîşa Êzîdxanê) sein. Şemo erklärt dazu: „Vor vier Monaten haben wir ein Widerstandszelt vor dem Asayîş Êzîdxanê aufgestellt. Die Türkei, die irakische Armee und die PDK bedrohen uns jeden Tag mit den Worten: ‚Wir werden euch erschießen.‘ Mit Unterstützung der Familie Barzanî greift der türkische Staat Şengal mit Panzern und Artillerie an, aber wir haben keine Angst vor ihnen. Erdoğan, die Familie Barzanî und sogar der Papst fordern uns auf, die Waffen niederzulegen.
Warum sollen wir die Waffen niederlegen? Wenn wir die Waffen niederlegen, werdet ihr uns dann wieder schlachten, uns zu islamisieren versuchen oder unsere Häuser niederbrennen? Ihr wollt, dass alles so läuft, wie es euch passt, und wir sollen Sklaven sein. Das werden wir niemals akzeptieren. 2014 waren irakische Truppen und PDK-Peschmerga hier, aber als die IS-Verbrecher angegriffen haben, haben sie uns verkauft. Es gab damals irakische Truppen, die PDK und Hashd al-Shaabi hier. Alle haben uns verlassen und sind geflohen. Alle konnten sehen, was mit den ezidischen Frauen beim Völkermord geschehen ist.“
„Der Papst, Erdoğan und Barzanî sollen sich bei den ezidischen Frauen entschuldigen“
Zum Abkommen zwischen dem Irak und der PDK über die Zukunft von Şengal sagt Şemo: „Seit vier Monaten suchen wir das Gespräch mit der irakischen Regierung, aber sie ignoriert unsere Forderungen. Wir werden uns dem Druck niemals beugen. Wir fürchten die mörderischen Drohungen nicht. Wir werden kein Abkommen akzeptieren, das nicht vom Volk und insbesondere von den Frauen in Şengal ratifiziert wurde. Der Papst, Erdoğan und Barzanî sollen sich bei den ezidischen Frauen entschuldigen. Die ezidischen Frauen werden keinen weiteren Genozid zulassen. Wir haben heute unsere Institutionen, wir haben unsere Verteidigungseinheiten, wir haben die YBŞ. Ezidische Frauen kämpfen mittlerweile in allen Bereichen.“
Şemo berichtet, die irakische Regierung habe den Aktivist*innen vor dem Asayîşa Êzîdxanê bis zum 1. April Zeit gegeben, den Platz zu räumen. Zu den Drohungen sagt sie: „Sie haben gesagt, am 1. April ist Schluss. So wollten sie uns einschüchtern. Sie wollen, dass wir unsere Waffen niederlegen und den Asayîş auflösen. Am 1. April hat sich die Bevölkerung erhoben und ist in die Berge gegangen. Sie konnten nichts gegen den Widerstand des Volkes und allen voran der Frauen tun. Sie versuchen gerade, neue Pläne zu schmieden. Nêçîrvan Barzanî und der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi haben vor wenigen Tagen erneut miteinander gesprochen. Jeden Tag werden irgendwelche Pläne für Şengal gemacht.
Im Moment herrscht Frieden in Şengal. Wir verteidigen und verwalten uns selbst. Die ezidischen Frauen hatten vor dem Massenmord Angst vor Waffen, aber heute haben wir die Kraft zu kämpfen, Widerstand zu leisten und uns selbst zu verteidigen. Wenn unser Asayîş die Waffen niedergelegt hätte, würden uns die Kräfte später sagen, dass wir unsere Religion aufgeben sollen, dass es nur eine Religion, eine Sprache und eine Flagge geben dürfe. Wir akzeptieren so etwas nicht und werden unsere Religion verteidigen.
„Sollen sie doch die Waffen niederlegen“
Die Straße nach Süden ist gesperrt worden. Die Menschen können nicht einmal zum Arzt gehen. Auf diese Weise wollen Hewlêr und Bagdad uns unter Druck setzen, die Region unter ihre Kontrolle bekommen und unsere Sicherheitskräfte auflösen. Aber wir unterstützen den Asayîş, und die Menschen in Şengal stehen heute allesamt an der Seite unserer Sicherheitskräfte und Institutionen. Soll doch die Gegenseite die Waffen niederlegen, wir werden es nicht tun. Warum sollen wir die Waffen niederlegen und hier Gäste sein? Wir stehen für diejenigen ein, die in schwierigen Zeiten für uns da waren.“
YBŞ und YJŞ sind unsere Verteidigungskraft
Şemo sagt, der türkische Staat mache die PKK zum Vorwand für einen Angriff auf Şengal: „Es gibt in Şengal jedoch keine PKK. Es gibt den Asayîş, die YBŞ und die YJŞ. Das sind unsere Kinder. Unsere Töchter und Söhne verteidigen ihr Volk und ihr Land. Wir haben eigene Verteidigungskräfte, wir brauchen niemanden von außen. Wir sollten unterstützt werden, damit wir nicht noch einmal in die Hände des IS fallen. Aber stattdessen vereinigen sich alle gegen uns und gefährden damit Şengal. Ich sage es noch einmal, wir fürchten uns vor niemandem.
„Es geht um Sein oder Nichtsein“
Ich appelliere an die Ezidinnen und Eziden in allen vier Teilen Kurdistans: Sie sollen ihren Glauben und ihre Würde bewahren. Sie sollen sich um das Leid der ezidischen Frauen kümmern, die immer noch in Lagern oder auf Märkten verkauft werden. Şengal kämpft im Moment um Sein oder Nichtsein. Wir werden jeder Herausforderung widerstehen und den Feind besiegen. Wir stehen bis zu unserem Tod in Rêber Apos [Abdullah Öcalans] Schuld. Er hat bei uns ein Bewusstsein erschaffen und uns aufgeklärt. Er und die PKK sind physisch im Moment nicht in Şengal, aber wir verteidigen uns mit ihrer Philosophie und Ideologie."