Trotz langer Haftstrafe und schwerer Krankheit
Erneut steht einem jungen Kurden in Frankreich die Abschiebung in die Türkei vor – trotz zu erwartender Inhaftierung und schwerer Krankheit. Vor sieben Jahren war Serhat Gültekin aus seiner Heimat Amed (tr. Diyarbakır) geflüchtet und ins französische Exil gegangen, um politisches Asyl zu beantragen. Ein erster Antrag des inzwischen 28-Jährigen war abgelehnt worden. Nach dem zweiten Anlauf erhielt Gültekin im vergangenen November von den Behörden in Val-de-Marne seine Bescheinigung als Asylbewerber. Doch schon im Dezember, wenige Tage, nachdem Frankreich sein Zuwanderungsgesetz verschärft hat, stellte die Präfektin des Départements eine sogenannte Ausreiseverfügung (Obligation de quitter la France, OQTF) aus.
Zur Begründung hieß es, Gültekin habe nur Asyl, aber keinen Aufenthaltstitel beantragt. Er kam in ein Internierungslager und wurde unter Hausarrest gestellt, musste seither täglich bei der Polizei vorstellig werden – wie bereits seit Ende 2021. Seit Donnerstagfrüh befindet sich Serhat Gültekin nun in Abschiebehaft am Pariser Flughafen. Zuvor hatte ein Verwaltungsgericht die OQTF gegen ihn bestätigt und seine Beschwerde dagegen abgelehnt. Jeden Moment muss der Kurde damit rechnen, dass er mit einer Chartermaschine in die Türkei ausgeflogen wird. Nach der Landung wird er wohl direkt von der türkischen Polizei festgenommen und inhaftiert werden.
Der Demokratische Kurdische Rat in Frankreich (CDK-F) rechnet sogar damit, dass Gültekin in der Türkei gefoltert wird. Schon seit Monaten versucht der Dachverband, Unterstützung für den früheren Aktivisten des Jugendrats der HDP zu organisieren und die Abschiebung zu stoppen. In einer Petition schreibt der CDK-F, dass Gültekin in einem unfairen Prozess von der türkischen Justiz „wegen seiner politischen Ansichten“ in Abwesenheit zu rund 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Die Verfolgung des jungen Mannes habe zu dessen Studentenzeit begonnen. Nicht nur sei er immer wieder vorübergehend festgenommen worden. Auch soll Gültekin mehr als einmal von türkischen „Sicherheitskräften“ verschleppt und misshandelt worden sein. Offenbar wollte der türkische Staat ihn als Spitzel gewinnen. In den letzten Jahren ist diese Methode immer häufiger zu beobachten.
Politisch Aktive, die in der Regel aus dem Umfeld der HDP beziehungsweise ihrer Schwester- und Nachfolgeparteien sind, werden mitten auf der Straße in Autos gezerrt und an abgelegene Orte gebracht, wo sie von Polizisten oder anderen Staatsbediensteten Gewalt erfahren und unter Druck gesetzt werden, als Spitzel tätig zu sein. Laut dem Menschenrechtsverein IHD, der solche Fälle regelmäßig öffentlich macht, werde mit dieser Praxis verfolgt, die Betroffenen einzuschüchtern. Es gehe dabei weniger um die Informationsgewinnung, vielmehr sollen die Menschen dazu gebracht werden, ihr politisches und soziales Umfeld und damit ihre Persönlichkeit aufzugeben.
Darüber hinaus sei Serhat Gültekin schwer krank. Er leide unter dem Marfan-Syndrom, einer seltenen, angeborenen und oftmals lebensbedrohlich verlaufenden Bindegewebsschwäche, die zu Schäden an Skelett- und Herz-Kreislauf-System sowie an den inneren Organen führen kann und eine ständige medizinische Versorgung erfordert. Zweimal sei Gültekins Lunge bereits kollabiert, außerdem habe er massive Magenprobleme, so der CDK-F. Ihn dennoch in die Türkei abzuschieben, würde nicht nur gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und den Schutz vor Folter und anderer unmenschlicher Behandlung. Seine Ausweisung käme einer Aussetzung des Asylrechts gleich und würde am Fundament der Französischen Republik und ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten rütteln. „Drei Tage nach der Auslieferung von Mehmet Kopal an die Türkei will Frankreich dem türkischen Staat einen weiteren Kurden opfern“, erklärte der CDK-F. Das dürfe nicht passieren. „Serhat Gültekin muss freigelassen werden.“
Foto © Julien Jaulin/hanslucas via CDK-F