Was passiert in Hewlêr?

Die Wahlergebnisse für Südkurdistan wurden statt nach 72 Stunden erst nach 22 Tagen bekanntgegeben. Die Wahlkommission hat ihre Unabhängigkeit verloren und eine Regierung konnte immer noch nicht gebildet werden. Gibt es einen Machtkampf im Barzanî-Clan?

Am 30. September fanden Parlamentswahlen in Südkurdistan statt. Gesetzlich hätten die Wahlergebnisse binnen 72 Stunden bekannt gegeben werden müssen. Allerdings wurden sie erst nach 22 Tagen verkündet.

Bereits am Wahltag legten die Gorran-Bewegung, die Bewegung Nifşê Nû, Komela Islamî, Islamî Yekgirtû, die YNK in Hewlêr und Duhok und die PDK in Silêmanî und Umgebung Widerspruch ein. Gorran und Nifşê Nû gingen soweit, mit einem Parlamentsboykott zu drohen. Aufgrund der Einsprüche der Parteien gingen die Wahllokale an mehreren Stellen zur Zählung über und präsentierten der Öffentlichkeit die Teilergebnisse als die eigentlichen Wahlergebnisse.

Die Beziehungen zwischen PDK und der YNK gerieten aufgrund der irakischen Präsidentschaftswahlen wenige Tage nach den kurdischen Regionalwahlen in eine schwere Krise, die teilweise immer noch andauert. Wenn wir uns jedoch die kurdischen Wahlergebnisse ansehen, können wir erkennen, dass sich beide Parteien gegen die anderen politischen Kräfte der Region verbündet haben. Das zeigte sich zwei Tage vor der Verkündigung der offiziellen Wahlergebnisse deutlich, als Vertreter beider Parteien, die zuvor behauptet hatten, dass ihre Beziehung vor dem Ende stehe, wesentlich moderatere Töne anschlugen und bekräftigten, dass keine Regierung ohne die Beteiligung ihrer Parteien gebildet werden könne. Zwei Tage nach diesen moderaten Äußerungen verkündete die sogenannte „unabhängige hohe Wahlkommission“ die offiziellen Ergebnisse der am 30. September in Südkurdistan abgehaltenen Wahlen. Es ist offensichtlich, dass beide Parteien – trotz aller Konfliktpunkte – bereit sind, diese bei Seite zu lassen und sich gegen die anderen Parteien in der Region zu vereinen.

Die gespaltene Wahlkommission

Trotz der Tatsache, dass die PDK und YNK ernsthafte Konflikte über die irakische Präsidentschaft und die Benennung des Gouverneurs von Kerkûk hatten, deuten diese moderaten Erklärungen darauf hin, dass sie bereits zuvor eine Einigung erzielt hatten. Die Art und Weise, wie die Wahlergebnisse angekündigt wurden, verstärken diese Annahme. Die hohe Wahlkommission zeigte sich bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse in zwei Fraktion gespalten. Vier ihrer neun Mitglieder lehnten die Art und Weise der Bekanntgabe der Wahlergebnisse ab, jedoch wurden sie von den anderen fünf Mitgliedern überstimmt. Die Gorran-Bewegung, Komela Islamî und Yekirtû Islamî stellten sich gegen die Bekanntgabe der offiziellen Wahlergebnisse. PDK und YNK hatten sich darauf geeinigt, die Ergebnisse, die im Sinne ihrer Parteien waren, zu verkünden.

Rechtsstaaten setzen ihre regionalen Wahlkommissionen aus Beamten und Bürokraten zusammen. Die Wahlkommission in Südkurdistan besteht aber aus Parteikadern, die von den jeweiligen Parteien selbst bestimmt werden. Obwohl es heißt, dass Gesetze in Südkurdistan herrschen, ist dieser jüngste Fall das offensichtlichste Beispiel dafür, wie diese Gesetze im Interesse der Parteien benutzt und angewendet werden.

Eine Regierung ohne die YNK war für die PDK nicht denkbar

Diese Entwicklungen haben auch Spekulationen über eine mögliche Regierungsbildung durch die PDK unter Ausschluss der YNK zerstreut. Der Vorsitzende der Liste der PDK und Mitglied im Präsidialrat Hêmin Hawramî war schnell dabei zu erklären, überhaupt nicht an eine Regierung ohne die YNK gedacht zu haben. Er sagte dennoch, dass die Türen „für alles offen“ stünden.

Unerwartete Entwicklungen in Hewlêr

Auf der einen Seite gehen die Einsprüche gegen die Wahlergebnisse, die Spannungen zwischen den Parteien und die Probleme zwischen der PDK und der YNK weiter, auf der anderen Seite gab es unerwartete Entwicklungen in Hewlêr. Vor einiger Zeit waren in Hewlêr Erklärungen angekündigt worden, Maßnahmen gegen illegale Ölverkäufe zu ergreifen. Darauf folgten tatsächlich viele Festnahmen. Diese Operation ging so weit, dass der Gouverneur von Hewlêr, Nawzat Hadi, sowie sein Bruder, Chef der Sicherheitskräfte Asayish, vorübergehend festgenommen wurden.

Machtkampf in der Familie?

Es ist eindeutig nicht die Normalsituation, wenn der Gouverneur von Hewlêr und der Chef der Sicherheitskräfte festgenommen werden. Denn die Familie Bazanî bringt nicht irgendwen in diese Positionen. Mit anderen Worten: Wenn sie der PDK und der Familie Barzanî nicht sehr nahegestanden hätten, dann wären sie nicht auf diese Posten gesetzt worden.

Nach Informationen aus dem familiären Umfeld des Gouverneurs Nawzat Hadi scheint es, als habe dieser vor allem enge Verbindungen zu Nêçîrvan Barzanî. Die Entlassung oder Festnahme einer Person, die Nêçîrvan Barzanî nahesteht, kann daher darauf hindeuten, dass innerhalb der Familie Barzanî ein ernsthafter Machtkampf begonnen hat.

Ein solcher Machtkampf innerhalb der Familie Barzanî, oder besser gesagt zwischen Nêçîrvan und Mesûd Barzanî und seinem Sohn Mesrûr, ist eigentlich nichts Neues. Nêçîrvan Barzanîs enge Verbindungen zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, insbesondere in seiner Haltung zum Unabhängigkeits-Referendum, waren Brandbeschleuniger im innerfamiliären Konflikt. Nach dem Referendum trat Mesûd Barzanî von seinem Amt als Regionalpräsident zurück. Die Presse spekulierte darüber das Nêçîrvan Barzanî tatsächlich darauf abzielte, Mesûd Barzanî zu ersetzen. Dieser Machtkampf vertiefte sich noch weiter, als Mesûd statt Nêçîrvan Barzanî eine dreiköpfige Delegation, geleitet von Fazil Miranî, zum AKP-Kongress und der Vereidigung von Erdoğan zum Republikspräsidenten aussandte. Die Anhänger von Nêçîrvan Barzanî hatten zuvor Propaganda verbreitet, Nêçîrvan sei von Erdoğan zur Vereidigung eingeladen worden. Dieses Prozedere zeigte deutlich den Machtkampf zwischen Nêçîrvan, Mesûd und Mesrûr Barzanî.

Die Widersprüche im Barzanî-Clan

Die Widersprüche zwischen Mesûd und Nêçîrvan Barzanî zeigten sich sowohl in den irakischen Wahlen vom 12. Mai, als auch in den Regionalwahlen vom 30. September. Auch wenn es unter den Kandidaten für die irakischen Wahlen Anhänger von Nêçîrvan Barzanî gab, so standen doch alle bis auf einen Mesûd Barzanî nahe. Auch bei den Wahlen in Südkurdistan sind fast alle der 45 Abgeordneten, die für die PDK ins Parlament einzogen, Klienten von Mesûd Barzanî.

Dieser Machtkampf in der Familie scheint sich nun nach den Ergebnissen der Wahl ebenfalls unter dem Schlagwort des Ölschmuggels in der Ökonomie niederzuschlagen. Mesûd und sein Sohn Mesrûr Barzanî hatten bei den Parlamentswahlen wichtige Ergebnisse erzielt und es heißt, dass dieser Kampf nun auf dem von Nêçîrvan Barzanî kontrollierten wirtschaftlichen Bereich ausgetragen werde.

Operation gegen Nêçîrvan Barzanî und Aşti Hawramî?

Es gibt niemanden dem nicht bekannt ist, dass Nêçîrvan Barzanî und Aşti Hawramî das Öl Südkurdistans an die Türkei verkaufen. Sowohl der offizielle als auch der informelle Ölhandel läuft über die beiden. Ohne ihre Erlaubnis ist es unmöglich, irgendetwas in Südkurdistan im Ölgeschäft zu tun. Aşti Hawramî hat sich verdrückt. Wo er ist und was er macht, ist unbekannt. Es gibt viele Informationen darüber, dass die Operation gegen den Ölschmuggel von Mesrûr Barzanî eingeleitet wurde. Deshalb heißt es, dass sich diese Operation, bei der sowohl der Gouverneur von Hewlêr, als auch der Asayish-Chef festgenommen worden waren, gegen Nêçîrvan Barzanî und Aşti Hawrami richten würde. Es ist jetzt noch nicht abzusehen, wohin dieser Machtkampf in der Familie führen wird. Es besteht aber das Risiko, dass er eskaliert.