Das AKP/MHP-Regime zielt darauf ab, die kurdische Weidewirtschaft praktisch zum Erliegen zu bringen. Hirten werden verdächtigt, die Guerilla zu unterstützen. Durch Weideverbote und massive Repression sollen sie davon abgehalten werden, ihrer Tätigkeit weiter nachzukommen. Hirtennomadismus entzieht sich weitgehend staatlicher Kontrolle, daher werden die Eingriffe in das Leben der Berghirten immer drastischer. Sie kennen die Berge wie ihre Westentasche und bewegten sich seit Jahrtausenden frei durch die kurdische Gebirgslandschaft. Einer von ihnen ist Ridvan Koyun. Koyun ist erst 30 Jahre alt, arbeitet aber schon seit 20 Jahren als Hirte. Seine Familie lebt in Misirc (türk. Kurtalan). Seine Kinder vermisse er sehr, sagt Koyun und fährt fort: „Seit vier Monaten habe ich sie nicht gesehen, aber so ist das eben.“
In den ersten Tagen des Frühlings ist er aufgebrochen und hütete seine Tiere in den Gebieten Şirnex (Şırnak) und Faraşin. Jetzt ist er seit zwanzig Tagen zu Fuß unterwegs. In eineinhalb Monaten wird er Nisêbîn (Nusaybin) erreicht haben. „Es ist schön, ein solches Leben in der Natur zu führen”, schwärmt er, „wir gehen auf die Weiden, sorgen für unsere Schafe und ziehen sie auf. Monatelang laufen wir über die Weiden. Meine Eltern leben seit 50 Jahre so. In den ersten Frühlingstagen brechen wir zu den Hochalmen auf. Drei Monate sind wir auf den Weiden, eineinhalb Monate auf dem Weg dorthin. Das ist das Nomadenleben. Wir verbringen die Zeit auf dem Weg.“
Repression auf dem Weg zu den Weideflächen
Dann beginnt er über die Repression zu sprechen: „Der Staat unterdrückt uns schrecklich auf dem Weg zu den Weiden. Diesmal sind unsere Schafe in einen Abgrund getrieben worden. Bis in den Morgen waren wir als Geiseln der Sicherheitskräfte. Sie nahmen unsere Personalien auf und sagten schlimme Worte zu uns. Am Morgen haben sie uns freigelassen. Sie haben uns kein Dokument gegeben. Ich denke, sie haben uns eine Geldstrafe auferlegt. Sie haben unsere Namen aufgeschrieben. Manche unserer Kollegen haben 20-30.000 TL zahlen müssen.
Offizier hielt Koyun Waffe an die Schläfe
Diese Wege sind seit Jahrhunderten Wege der Hirten. Uns wird gesagt, diese Wege seien verboten. Der Kommandant sei neu eingesetzt worden und daher seien sie jetzt gesperrt. Dieser neu ernannte Unteroffizier hielt mir eine Waffe an die Schläfe und beleidigte mich. Sie behandelten uns besonders brutal. Ich sagte ihnen, dass sie kein Recht haben, die Hirten zu misshandeln.“
Hirten befinden sich am Rand des ökonomischen Zusammenbruchs
Koyun geht davon aus, dass es sich hier um gezielte Repression gegen Hirten handelt: „Ein neu ernannter Unteroffizier erklärt, es sei verboten, dieses Gebiet zu betreten. Wenn wir kommen würden, dann würden wir eine Strafe erhalten. Die Tiere müssten Dokumente haben, ohne diese Dokumente könnten wir nicht passieren. Im Herbst hat kein Hirte Dokumente, die gibt es nur im Frühling. Wir geben diese Dokumente an den Militärstützpunkten ab. Der Staat unterdrückt uns auf verschiedenste Art und Weise, so ist es sehr schwer, über die Runden zu kommen. Das Nomadenleben ist nicht mehr so wie früher. Dieses Jahr gibt es auch kein Großvieh mehr. Wir Hirten sind im Vergleich zu früher deutlich verarmt. Wir mussten die Hälfte der Tiere verkaufen, um zu überleben. Es gibt keinen Platz mehr, um sie zu versorgen."