Verlassene Dörfer in Südkurdistan

Dutzende Dörfer in Südkurdistan sind verlassen worden, weil die Parteien, die seit 1991 an der Macht sind, keine Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Infrastruktur erbringen.

Seit 1991 sind in Südkurdistan die Parteien PDK und YNK an der Macht. Seit 2003 hat sich ihr Machtbereich durch den Irak-Krieg territorial und wirtschaftlich erheblich erweitert. Anstatt diese Chance für die Produktion zu nutzen, führten die Parteien eine Gehaltszahlung an ihre Mitglieder ein, um sie an sich zu binden. Für die ländlichen Gebiete bedeutete diese Entwicklung das Ende. Die Menschen wanderten massenhaft aus den so genannten „umstrittenen Gebieten“ wie Behdinan, Soran und Qandil in die Städte aus, um ebenfalls Gehälter zu beziehen. Viele Dörfer sind seitdem verlassen oder nur noch von wenigen Familien bewohnt, die weiterhin Land- und Viehwirtschaft betreiben. In den Städten setzte ein unkontrollierter Boom in der Baubranche ein, der von türkischen Bauunternehmen genutzt wurde.

Die Landflucht hing jedoch nicht nur mit den in den Städten lockenden Gehältern zusammen. In vielen Dörfern wurden infrastrukturelle Dienstleistungen überhaupt nicht mehr erbracht. Dutzende Dörfer in den Gebieten Kelar, Kifri, Kerkûk, Çemçemal, Kadirkerem und Xurmatu sind inzwischen unbewohnt, weil es weder Strom, noch Straßen, Schulen oder eine Gesundheitsversorgung gibt.

Eines dieser Dörfer ist Kavale. Bis 2003 lebten dort ungefähr 50 Familien. Jetzt sind nur noch fünf Familien übrig geblieben. Bei der Enfal-Operation 1988 wurden 101 Personen aus dem Dorf verschleppt. Bis heute ist nichts über ihren Verbleib bekannt.

Einer der ehemaligen Dorfbewohner ist Abbas Kerim. „Ich wohne nicht mehr im Dorf“, erklärt er. „Wir leben jetzt in einem anderen Dorf, weil unsere Kinder zur Schule gehen sollen. In der Umgebung unseres Dorfes gibt es keine Schule. Ein Grund dafür, dass in unserem Dorf überhaupt keine Dienstleistungen erbracht werden, ist die Tatsache, dass wir keiner der Regierungsparteien angehören. Wir waren schon immer für die Kommunisten. Die fünf Familien, die noch im Dorf sind, denken auch heute noch so. Daher wurden während der Enfal-Operation so viele Menschen aus unserem Dorf verschleppt. Saddam war ein Schlächter, aber bis 2003 hat niemand das Dorf verlassen. Alle haben von der Land- und Viehwirtschaft gelebt.“

In zehn Kilometern Entfernung liegt das Dorf Köşk. Bis 2003 gab es hier 30 Haushalte. Jetzt leben noch drei Familien in dem Dorf. Auch im Jahr 2018 gibt es noch keinen Strom.

Das Dorf Dartû, das zehn Kilometer weiter liegt, hat das gleiche Schicksal. Von 30 Haushalten im Jahr 2003 ist die Bevölkerung auf zwei Familien geschrumpft. Acht Kilometer weiter liegt Avberik. Zur Zeit des Aufstands von Scheich Mahmut Berzenci fanden hier heftige Kämpfe statt, weil es als Hauptquartier genutzt wurde. Von über 50 Haushalten im Jahr 2003 sind noch sieben übrig. In der Gegend gibt es etliche weitere Dörfer dieser Art.

Das Schicksal dieser Dörfer steht symbolisch für die verfehlte Politik der machthabenden Parteien, die zu der aktuellen Krise in Südkurdistan geführt hat.