Vater vom IS getötet, Ehemann vom türkischen Staat
Beim Angriff des „Islamischen Staat“ auf Kobanê wurde Zozan Mihyeddins Vater getötet. Der türkische Staat tötete vor zehn Tagen ihren Mann Murat Kaya in einem Dorf in Nordkurdistan.
Beim Angriff des „Islamischen Staat“ auf Kobanê wurde Zozan Mihyeddins Vater getötet. Der türkische Staat tötete vor zehn Tagen ihren Mann Murat Kaya in einem Dorf in Nordkurdistan.
Am 6. Dezember ist Murat Kaya (28) von türkischen Militärs im Dorf Mûşîyan (Soğukpınar) in der nordkurdischen Provinz Agirî (Ağrı) erschossen worden. Seine Witwe Zozan Mihyeddin (22) hat sich gegenüber MA zu den Geschehnissen geäußert. Sie selbst wurde festgenommen und sieben Tage festgehalten. In dieser Zeit wurde ihr mit Abschiebung nach Syrien gedroht. „Mein Vater wurde vom IS in Kobanê getötet und mein Mann jetzt vom türkischen Staat“, sagt die junge Mutter von drei Kindern.
Zozan Mihyeddin ist in der nordsyrischen Stadt Hesekê geboren. Ihre Familie zog nach Kobanê um, wo Zozan bis zum 15. Lebensjahr aufwuchs. Als der „Islamische Staat“ (IS) 2014 die Stadt angriff, musste sie mit ihrer Mutter und zwei kleineren Geschwistern in die Türkei fliehen. Dort arbeitete sie in Adana und Hatay auf Obst- und Olivenplantagen, um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern. 2016 lernte sie Murat Kaya in Hatay kennen und heiratete ihn. Sie zog zu ihrem Mann nach Mûşîyan und bekam drei Kinder. Mahkum ist jetzt drei Jahre alt, Yusuf zwei und Miran sechs Monate.
Zozans Mann Murat Kaya arbeitete auf dem Bau in Antakya und kam erst vor drei Wochen ins Dorf zurück. Was dann passierte, schildert Zozan so: „Meine Schwiegermutter kam morgens zu uns und rief nach Murat. Sie sagte: ‚Murat, steh auf, die Jandarma [Militärpolizei] ist gekommen. Geh doch mal gucken, was los ist.‘ Murat zog sich Hose und Jacke an und ging hinaus. Ich sagte zu ihm, er solle lieber nicht gehen, aber er hörte nicht auf mich und sagte, ich solle wieder hinein gehen, er werde bald nachkommen. Ich sah ihm vom Fenster aus nach. Er ging zu den Soldaten. Einer der Soldaten schoss. Ein anderer Soldat kam zu Murat und warf ihn auf den Boden. Er durchsuchte ihn mit dem Fuß. Dann zogen sie Murat hoch und brachten ihn ins Haus unserer Nachbarn. Es waren Schüsse zu hören und ich hatte Angst, deshalb ging ich nicht hinaus. Nach den Schüssen habe ich Murat nicht wiedergesehen.“
Nachdem die Schießerei vorbei war, wurden Dutzende Menschen aus dem Dorf in die Schule gebracht. Zu diesem Zeitpunkt wusste Zozan noch nicht, dass ihr Mann tot ist. Sie wurde mit acht weiteren Personen festgenommen und sieben Tage bei der Militärpolizei festgehalten: „Sie kamen gegen 16 Uhr und durchsuchten das Haus. Dabei warfen sie alles durcheinander, aber sie fanden nicht, was sie suchten. Ich wurde festgenommen und nach Dutax gebracht. Die Soldaten sagten, dass mein Mann tot ist, aber ich glaubte ihnen nicht. Erst als zwei Tage später mein Schwager kam und das gleiche sagte, musste ich es glauben. Ich sagte den Soldaten, dass mein Mann kein Terrorist ist, sondern Zivilist. Mit mir zusammen waren noch vier weitere Frauen aus dem Dorf festgenommen worden. Wir wurden beschimpft und bekamen nichts zu essen. Wir weinten 24 Stunden am Tag. Wir haben kleine Kinder, die unsere Milch brauchten, aber es wurde uns nicht erlaubt. Im Verhör wurde ich gefragt, warum ich in die Türkei gekommen bin. Ich sagte, dass es wegen dem Krieg war. Als ich zum Verhör gebracht wurde, konnte ich die anderen Leute aus dem Dorf sehen. Alle hatten Wunden im Gesicht, die meisten konnten kaum laufen.“
Als Zozan den Soldaten vorwarf, ihren Mann getötet zu haben, antworteten diese: „Wir haben deinen Mann nicht umgebracht. Mach uns jetzt keine Schwierigkeiten, sonst verhaften wir dich und du siehst deine Kinder nie wieder. Wir schicken dich zurück nach Syrien.“
Zozan wurde schließlich gestattet, an der Beerdigung ihres Mannes teilzunehmen. „Ich wurde zunächst ins Krankenhaus gebracht, wo ich zwei Spritzen bekam. Zwei Polizisten hielten mich an den Armen fest und sagten, dass ich weder schreien noch mit anderen Kontakt aufnehmen darf. Ansonsten würde ich verhaftet und abgeschoben werden.“
Seitdem Zozan 2014 mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern Kobanê verlassen hat, hat sie nie wieder etwas von ihrem Vater gehört. Die Familie geht davon aus, dass er tot ist. Zozan sagt: „Der IS hat in Kobanê meinen unschuldigen Vater ermordet. Wir wissen nicht einmal, wo sein Leichnam ist. Jetzt hat der türkische Staat meinen Mann getötet. Mein Mann war auch unschuldig. Meine Kinder haben ihren Vater verloren. Was soll ich jetzt tun, wo soll ich mich beschweren? Mein Mann hatte überhaupt keine verbotenen Kontakte, für ihn war das wichtigste, seine Familie zu ernähren. Ich werde die Mörder meines Mannes niemals in Ruhe lassen.“