Veränderung, Entwicklung, Erneuerung
Îbrahim Spîndar, ein Rechtsexperte aus Südkurdistan, analysierte in einem Interview mit ANF Inhalte von Abdullah Öcalans Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft. Dieser markiere seiner Ansicht nach eine historische Wende für die kurdische Politik. Vorab brachte Spîndar seinen Respekt für alle Guerillakämpfer:innen und Peşmerga zum Ausdruck, die für die Freiheit des kurdischen Volkes kämpfen.
Eine neue Perspektive für alle kurdischen Parteien
Îbrahim Spîndar erklärte, dass die Botschaft Abdullah Öcalans nicht nur für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), sondern für alle kurdischen politischen Parteien in allen vier Teilen Kurdistans eine neue Perspektive darstelle. Er erläuterte, dass die meisten dieser Parteien in der Ära der bipolaren Weltordnung entstanden seien, in der das kurdische Volk – ähnlich wie andere unterdrückte Völker – politische Strukturen unter dem Einfluss des sozialistischen sowie des kapitalistischen Blocks aufgebaut habe. In dieser Zeit sei auch die PKK gegründet worden und habe ihren Kampf aufgenommen.
Der Rechtsexperte bezog sich darauf, dass Öcalan auf die laufende Transformation des globalen Systems hinweise: „Öcalan erklärt, dass die alte bipolare Weltordnung durch ein tripolares System unter der Führung von China, Russland und den Vereinigten Staaten ersetzt wurde. Innerhalb dieser neuen globalen Struktur müssen sich auch die kurdischen politischen Parteien verändern, entwickeln und erneuern.“
Die Verleugnung der kurdischen Existenz in der Türkei
Ein weiterer zentraler Punkt, den Spîndar ansprach, war die Politik der Verleugnung der kurdischen Existenz in der Türkei. Er kritisierte sowohl das säkulare als auch das islamistische System in der Türkei, die beide eine Politik betrieben, die das kurdische Volk und dessen Rechte leugne. „Es gibt in der Türkei keinen politischen Raum für die Anerkennung der Rechte der Kurd:innen“, erklärte Spîndar, „die PKK entstand in einem Klima der Unterdrückung, aber durch den Widerstand des kurdischen Volkes haben sich in der Türkei wichtige Veränderungen vollzogen. Der kurdische Kampf hat die öffentliche Wahrnehmung verändert und den türkischen Staat gezwungen, seine Politik anzupassen.“
Spîndar erklärte weiter, dass der türkische Staat heute nicht nur auf Repression setze, sondern auch wirtschaftliche Mittel instrumentalisiere, um die Assimilation der Kurd:innen voranzutreiben. „Früher versuchte der Staat, die Kurd:innen durch Aushungern zu disziplinieren, heute setzt er wirtschaftliche Instrumente ein, um das Nationalbewusstsein zu schwächen“, so Spîndar.
Kurd:innen werden für Demokratie die Waffen niederlegen
Spîndar betonte, dass die Kurd:innen ihre Waffen nur dann niederlegen würden, wenn ein wirklich demokratisches Umfeld geschaffen werde. Doch der bewaffnete Kampf müsse auch weiterhin eine Option bleiben. „In der Welt zählt heute Macht. Wer keine Macht hat, hat keine Stimme. Das beste Beispiel dafür ist die Revolution in Rojava“, sagte er. Durch die Revolution in Rojava seien die Kurd:innen zu bedeutenden politischen Akteur:innen in Syrien geworden. „Die Kurd:innen haben IS besiegt und dadurch nicht nur ihre eigene Position gestärkt, sondern auch die Anerkennung der internationalen Öffentlichkeit gewonnen.“
Die internationale Anerkennung der Kurd:innen
Spîndar erklärte weiter, dass der kurdische Kampf in Rojava die internationalen Mächte gezwungen habe, die Kurd:innen anzuerkennen. „Einst als terroristisch abgestempelt, werden die Kurd:innen heute als ein zukunftsorientiertes Volk mit demokratischen Werten gesehen. Dieser Wandel hat es globalen Akteuren wie den USA ermöglicht, mit den Kurd:innen zusammenzuarbeiten und ihren Kampf besser zu verstehen“, so Spîndar.