Meletî: Neun Oppositionelle aus U-Haft entlassen

Die Haftbefehle gegen neun kurdische Oppositionelle in Meletî, die sich auf Grundlage von Ermittlungen gegen den zivilgesellschaftlichen Dachverband KCD seit rund fünf Wochen im Gefängnis befinden, sind aufgehoben worden.

Die Haftbefehle gegen neun Oppositionelle aus der kurdischen Provinz Meletî (türk. Malatya), die sich seit rund fünf Wochen auf Grundlage von Ermittlungen gegen den zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD) im Gefängnis befinden, sind aufgehoben worden. Ein Gericht gab am Montag den Haftbeschwerden der Verteidigung statt und ordnete die Freilassung der Betroffenen an.

Der Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im Kreis Arxa (Akçadağ), Mahir Aslan, sowie Ali Dağdelen, Basri Aslan, Şeydi Pektaş, Ali Yılmaz, Aziz Doğan, Abuzer Adıyaman, Birgül Doğan und Nuh Naci Taşar waren am 12. Oktober verhaftet worden. Sie werden der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beschuldigt. Drei weitere Personen, die etwa zeitgleich verhaftet worden waren und bei denen es sich um Ali Piro, Azat İncesu und Basri Çıplak handelt, bleiben vorerst im Gefängnis. Ob und wann Anklage erhoben wird, ist allerdings unklar.

Regime eskaliert gegenüber der Zivilgesellschaft

In den letzten Monaten nahmen Razzien und Festnahmeoperationen gegen die kurdische Zivilgesellschaft deutlich zu. Insbesondere der KCD befindet sich im Visier der Justiz in der Erdoğan-Türkei. Der Demokratische Gesellschaftskongress fungiert als Dachverband politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen, religiöser Gemeinden sowie Frauen- und Jugendorganisationen. Er versteht sich als gesellschaftlicher Gegenentwurf zu staatlichen Strukturen, der – gestützt auf Räte- und Basisdemokratie – Konzepte zur Selbstorganisierung der Bevölkerung und Alternativen der kommunalen Selbstverwaltung erarbeitet.

Projekt von Öcalan

Bereits im Jahr 2005 von Abdullah Öcalan als Projekt für die demokratische Organisierung der Gesellschaft vorgeschlagen, wurden zunächst große Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, bis im Folgejahr die erste Vollversammlung organisiert wurde. Am 14. Juli 2011 fand in Amed ein Kongress mit über 800 Teilnehmenden aller ethnischen, politischen und religiösen Strukturen in Kurdistan statt. An die gemeinsame Erklärung der Versammlung anschließend wurde die Demokratische Autonomie ausgerufen. In dem veröffentlichten Modellentwurf werden acht Dimensionen aufgeführt: die politische, die juristische, die der Selbstverteidigung, die kulturelle, die soziale, die wirtschaftliche, die ökologische und die diplomatische. Die Satzung richtet sich nicht nach den Gesetzen der Türkei, sondern nimmt die demokratische Teilhabe der Bevölkerung als Grundlage.

Langjährige Zusammenarbeit der Regierung mit KCD beim Lösungsprozess

Obwohl der KCD als höchstes Gremium der Demokratischen Autonomie unmittelbar nach seinem Gründungskongress kriminalisiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen wurde, arbeitete die türkische Regierung zwischen 2005 und 2014 intensiv mit dem Dachverband zusammen, um gemeinsam den damals möglichen Friedensprozess zu verhandeln. Der KCD wurde von der AKP sogar gebeten, an einer neuen Verfassung für die Türkei mitzuarbeiten. Der damalige Ko-Vorsitzende Hatip Dicle gehörte zudem zur sogenannten „Imrali-Delegation“, die im Rahmen des Lösungsprozesses eine Vermittlerrolle zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung eingenommen hatte. Auch nachdem der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan im Sommer 2015 die Friedensverhandlungen einseitig abbrach, wurde der KCD nicht verboten. Dennoch wird der Zusammenschluss als „Terrororganisation” gehandelt.