Krankenhaus in Mexmûr: „Gesundheit darf keine Ware sein“

Das Gesundheitspersonal im selbstverwalteten Flüchtlingscamp Mexmûr kämpft trotz Embargo und Angriffen unter größter Aufopferung für die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung.

Trotz Embargo und türkischen Drohnenangriffen versuchen die Selbstverwaltungsstrukturen im Flüchtlingslager „Şehîd Rustem Cûdî“ in Mexmûr die Gesundheitsversorgung dort in jeder Hinsicht zu garantieren. Das ärztliche Personal und alle anderen Gesundheitsbediensteten vertreten einen ganzheitlichen sowie demokratischen Ansatz und haben damit großen Erfolg sowie das Vertrauen der Menschen. Daher kommen auch Kranke außerhalb des Lagers zur Behandlung in das Camp.

Das Rückgrat der medizinischen Versorgung stellt das Şehîd-Hogir-Krankenhaus dar. Es arbeitet seit seiner Gründung 2018 unter dem Dach des Komitees des Volksrats von Mexmûr. Die Einrichtung hat seit Beginn an nur beschränkte Möglichkeiten, da das Camp von der südkurdischen Regierungspartei PDK belagert wird und praktisch keine medizinischen Versorgungsgüter ins Lager kommen. In dem Krankenhaus sind 22 Gesundheitsbedienstete tätig. Einer von ihnen ist Dr. Mihemed Unver.

„Es ist keine Arbeit, sondern ein Dienst am Menschen“

Dr. Unver beschreibt das Krankenhaus und die Gesundheitsarbeit in Mexmûr mit den Worten: „Das Gesundheitskomitee ist Teil der Selbstverwaltung. Unser Krankenhaus ist mehr als 19 Stunden am Tag für Bedürftige zugänglich. Menschen aus Mexmûr, den umliegenden Dörfern und Städten wie Kerkûk, Tikrit und Bagdad kommen zu uns, um medizinische Versorgung zu erhalten. Das Krankenhaus wurde vor vier Jahren in Betrieb genommen. Wie jedoch bekannt ist, besteht ein Embargo gegen Mexmûr. Wegen der Straßensperrung können wir unsere Patienten nicht zur Behandlung in andere Krankenhäuser verlegen. Es gibt viele Probleme bei der Versorgung mit Arzneimitteln.


Trotz der bestehenden Probleme sind wir dank der Organisierung hier in der Lage, unsere Patienten zu behandeln, und die Menschen sind mit dieser Behandlung zufrieden. Auch wenn wir einigen Krankheiten aufgrund des Mangels an Fachpersonal nicht begegnen können, behandeln wir allgemeine und chronische Krankheiten. Wir überweisen unsere Patienten manchmal an Krankenhäuser in andere Städte, aber viele beschweren sich über die Behandlung dort. Hier ist es ganz anders. Wir sind immer für Menschen da, die Hilfe suchen, auch wenn das Krankenhaus gerade nicht geöffnet ist. Für uns ist das ein Dienst am Menschen. Wir kümmern uns um die Patienten, was auch bedeutet, dass wir uns um die Menschen hier sorgen – indem wir sie aufklären, beraten und Krankheitsprävention betreiben. Deshalb kommen die Menschen vor allem hierher. Diejenigen, die aus anderen Städten kommen, sagen, dass sie die Aufmerksamkeit, die Behandlung und die Dienstleistungen, die hier geboten werden, woanders nicht finden können.

„Gesundheit darf keine Ware sein“

Das derzeitige System, das kapitalistische System, behandelt die Gesundheit wie ein kommerzielles Gut. Meistens werden Kranken gegen zusätzliche Zahlungen sogar nicht notwendige Behandlungen angeboten. Da es hier keine solche Logik gibt, wenden sich die Menschen natürlich an uns. Hier gibt es keine Kapitallogik, sondern eine Logik des Dienstes am Menschen. Wir verordnen keine Medikamente, die nicht benötigt werden. Wir versuchen, den Patienten zu helfen, indem wir sie aufklären, beraten und ihnen zeigen, wie sie sich und die Gesellschaft vor Krankheiten schützen können.“

„PDK und irakische Regierung verhindern Zugang zu Medikamenten“

Dr. Unver berichtet auch über das Embargo gegen Mexmûr und seine Folgen für Kranke und andere Menschen, die auf medizinische Hilfe angewiesen sind: „Bei vielen Problemen haben wir nicht die Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Wenn zum Beispiel ein Kaiserschnitt notwendig ist, können wir ihn nicht durchführen. Unsere Krebspatienten müssen ebenfalls in andere Kliniken überwiesen werden. Es ist eine humanitäre Pflicht, diese Patienten durch die Checkpoints zu lassen. Doch die PDK sieht diese Verpflichtung nicht. Es gibt Mütter, die deshalb ihre Kinder verloren haben, und auch Krebspatienten werden nicht durchgelassen. Andere von uns überwiesene Patienten werden in staatlichen Krankenhäusern oftmals beleidigt. Viele Menschen hier haben chronische Krankheiten. Sie müssen kontinuierlich mit Medikamenten versorgt werden. Wir versuchen, die entsprechenden Arzneimittel zu besorgen. Selbst wenn wir sie liefern lassen, werden sie weder von der PDK noch von den irakischen Regierungstruppen ins Lager gelassen.

 „Kaputte Geräte reparieren wir selbst“

Das nach Şehîd Viyan benannte Zentrum für Physiotherapie wurde 2003 errichtet. Obwohl es dort nur zwei Ärzt:innen gibt, versorgt es die Menschen in Mexmûr. Eine der Ärzt:innen ist Dr. Tîrêj Demir. Demir unterstreicht die Einschränkungen, unter denen das Krankenhaus gegründet wurde: „Das Gesundheitszentrum wurde mit Hilfe unserer Freunde und Spenden eingerichtet. Besucher und einige unserer Patienten, deren Behandlung abgeschlossen war, brachten uns die benötigten Geräte als Geschenke mit. Im Vergleich zu den Vorjahren hat es Fortschritte gegeben, und wir haben unsere Räume ein wenig erweitert. Vor dem Embargo konnten unsere Patienten zu Ärzten in verschiedenen Städten gehen, ein Bericht wurde erstellt und der Patient wurde dann entsprechend behandelt. Aber seit dem Embargo haben unsere Patienten große Schwierigkeiten, weil sie nicht in andere Städte dürfen. Außerdem gibt es Probleme bei der Versorgung mit den für das Krankenhaus benötigten Materialien. Denn weder dürfen wir sie einkaufen noch ins Camp liefern lassen. Wenn unsere Geräte mal ausfallen, gibt es keine Fachpersonen, die sie reparieren. In solchen Fällen helfen wir uns selbst aus.“

Qumrî Yaman wird seit drei Monaten im Zentrum für Physiotherapie behandelt. Sie sagt, sie habe sehr von der Behandlung profitiert und obwohl die Zahl der Kranken groß und die Möglichkeiten gering seien, bemühten sich die Mitarbeiter:innen sehr um die Patient:innen.

Camp Mexmûr: 12.000 Menschen aus Botan organisieren ihr Leben selbst

Das Camp Mexmûr liegt etwa 60 Kilometer südwestlich von Hewlêr, der Hauptstadt der Kurdistan-Region Irak. In dem Lager leben mehr als 12.000 Menschen. Die meisten von ihnen waren in den 1990er Jahren aufgrund der Repression des türkischen Staates und der Politik der verbrannten Erde gezwungen, ihre Dörfer in der Botan-Region in Nordkurdistan zu verlassen. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben sie 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Campbevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit. Offiziell steht Mexmûr unter dem Schutz des UNHCR, praktisch sind die Vereinten Nationen allerdings nur noch nominell präsent. Die Organisation verließ das Lager bei den Angriffen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 und kehrte danach nicht mehr zurück.