Kommunale Zwangsverwaltung: Waffe gegen die kurdische Bevölkerung

Seit Erdoğan 2002 an die Macht kam, hat er alles mobilisiert, um die kurdischen Provinzen für sich zu gewinnen. Da er bei den Wahlen erfolglos blieb, hat er mit einem politischen Putsch am 11. September 2016 die Kommunalverwaltungen okkupiert.

Nachdem der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan es nicht geschafft hatte, die Partei der Demokratischen Regionen (DBP) bei den Wahlen zu besiegen, ernannte er in zehn Provinzen – darunter die Großstädte Amed (Diyarbakir), Wan und Mêrdîn –, 72 Kreisstädten und zwölf Gemeinden, also an Stelle von insgesamt 94 Kommunalverwaltungen der DBP, Treuhänder.

Nach der Besetzung der Stadtverwaltungen wurden 93 mit Millionen von Stimmen gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister inhaftiert. Es wurden Zwangsverwalter ernannt und tausende Beschäftigte der Stadtverwaltungen wegen „Unterstützung der Organisation“ entlassen. Das erste Angriffsziel des patriarchalen Systems war das System der Ko-Vorsitzenden.

Fraueneinrichtungen an Verein von Erdoğans Tochter übergeben

Dutzende Frauenzentren, Fluchthäuser und Frauensporteinrichtungen wurden zum Ziel der Zwangsverwalter. Die meisten Frauen, die in diesen Einrichtungen arbeiteten, wurden entlassen, andere wurden kaltgestellt. Die Unterlagen der Frauen, die sich an Hilfseinrichtungen wandten, wurden sogar beschlagnahmt.

Die Zwangsverwalter nahmen den Frauen die Einrichtungen weg und übergaben sie an einen Verein der Erdoğan-Tochter Sümeyye. Der für Wan-Payîzava (Gürpınar) ernannte Zwangsverwalter Osman Doğramacı stoppte die Frauenarbeiten und schloss Gesundheitszentren und Frauenhäuser. Er übergab das Frauenzentrum, die Textilabteilung und das Lokal einer Frauenkooperative Sümeyyes Verein KADEM.

Von Zwangsverwaltern geschlossene Fraueneinrichtungen

* Amed: Untersuchungszentrum für die Probleme von Frauen (DIKASUM)

* Payas (Kayapınar): Frauenzentrum Ekin Ceren

* Sûr: Frauenberatungszentrum Amida

* Yenişehir: Frauenzentrum Roza

* Bismîl: Frauenzentrum Nûjin

* Lîce: Frauenzentrum Nûjiyan

* Farqîn (Silvan): Frauenzentrum Meya

* Henê (Hani): Frauenzentrum

* Pasûr (Kulp): Frauenzentrum Zozan

* Şirnex: Frauenzentrum Zahide, Silopiya: Frauenzentrum Viyan, Cizîr: Frauenzentrum Sitiya Zîn

* Êlih (Batman): Frauenzentrum Selis

* Bêdlis (Bitlis): Fraueninformationszentrum Dilan

* Mêrdîn: Frauenzentrum Arîn

* Qosêr (Kızıltepe): Frauenzentrum Nûda

* Nisêbîn (Nusaybin): Frauenzentrum Gulşîlav

+ Dêrik: Frauenzentrum Peljin, Dargeçit: Frauenzentrum Çiçek

* Şemrex (Mazıdağı): Frauenzentrum Rewşen

* Xelfet (Halfeti): Frauenzentrum Sara

* Wêranşar (Viranşehir): Frauenzentrum Berjin Amara

* Wan: Frauenlebenszentrum Rojin

* Rêîpeg (İpekyolu): Frauenlebenszentrum Maya

* Erdiş (Erçiş): Unterstützungshaus für Frauen

* Êrdmed (Edremit): Direktion für Frauenpolitik

* Bahçesaray: Frauenlebenszentrum Bahçesaray

* Colemêrg (Hakkari): Frauenzentrum Binevş

* Çelê (Çukurca): Frauenzentrum Bervar

* Şemzînan (Şemdinli): Frauenzentrum Nûjin

* Gimgim (Varto): Frauenzentrum Savuşka

* Dersim: Frauenlebenszentrum

* Bazit (Doğubayazıt): Frauenzentrum Sema Yüce

* Sêrt (Siirt): Frauenzentrum Berfîn

* Mersin Akdeniz: Frauenzentrum Îştar

Zwangsverwaltungen regieren durch Kurdenfeindschaft

Ein anderes Ziel nach der Besetzung der DBP-Kommunalverwaltungen durch Treuhänder waren die kurdische Sprache und Kultur. Schilder mit Aufschriften vor allem auf Kurdisch, aber auch auf Aramäisch, Armenisch und Arabisch wurden heruntergenommen und einsprachige Schilder sowie türkische Fahnen aufgehängt. Schließlich wurden die kurdischen Namen der Stadtviertel in türkische geändert. Institutionen für kurdischen Sprachunterricht wurden geschlossen. In Wan wurde ein Kurdisch-Kurs in einen Korankurs umgewandelt.

Orte, an denen Zwangsverwalter kurdische Beschilderung entfernt haben

* Die kurdische Beschriftung der Stadtverwaltung von Agirî- Giyadîn (Diyadin) wurde entfernt

* Die dreisprachige Tafel der Stadtverwaltung von Dêrik wurde entfernt und an deren Stelle eine türkische Fahne gehisst.

* Der Zwangsverwalter von Sûr hat die armenischen und aramäischen Beschriftungen der Stadtverwaltung entfernen lassen.

* Amed: Eine der ersten Amtshandlungen des Zwangsverwalters und AKP-Kandidaten für die Kommunalwahlen am kommenden 31. März, Cumali Atilla, war die Entfernung einer Tafel mit dem kurdischen Namen Amed von der Stadtverwaltung

* Dersim: Der Zwangsverwalter Tuncay Sonel hat den Namen „Dersim“ von der Stadtverwaltung entfernen lassen und durch den türkischen Namen Tunceli ersetzt

Kurdische Schulen in Polizeistützpunkte umgewandelt

Die Zwangsverwalter richteten sich auch direkt gegen kurdische Schulen:

* Die erste kurdische Schule in der Türkei und Nordkurdistan war die Ferzad-Kemanger-Grundschule. Sie wurde geschlossen.

* Payas (Kayapınar): Die kurdische Schule Ali Erel wurde geschlossen und versiegelt.

* Cizîr (Cizre): Die im Jahr 2014 eröffnete Bêrîwan-Schule musste auf Anordnung des Zwangsverwalters den Unterricht in kurdischer Sprache einstellen.

* Gever (Yüksekova): Die seit 2014 in kurdischer Sprache unterrichtende Üveyş-Ana-Grundschule musste nach Angriffen des Staates verlassen werden. Der Unterricht ging im Apê-Musa-Park weiter. Nach den Ausgangssperren wurde die Schule im Apê-Musa-Park in einen Polizeistützpunkt umgewandelt.

Denkmäler abgerissen

Die Zwangsverwalter rissen Denkmäler nieder, die an Massaker des türkischen Staates erinnerten. So versuchten sie, die gesellschaftliche Erinnerung an diese Massaker auszulöschen. Anstelle der Denkmäler der Ermordeten wurden Denkmäler für getötete Soldaten und Polizisten gestellt.

* Payas: Das Denkmal an das Massaker von Roboskî, bei dem 34 Zivilisten von türkischen Bombern getötet worden sind, wurde vom Zwangsverwalter abgerissen.

* Cizîr: Das Denkmal für den kurdischen Politiker Orhan Doğan wurde abgerissen.

* Qoser: Das Denkmal für den am 12. November 2004 von Sicherheitskräften hingerichteten zwölfjährigen Uğur Kaymaz und seinen Vater Ahmet wurde auf Befehl des Zwangsverwalters eingerissen und stattdessen ein Uhrenturm errichtet.

* Sûr: Auf Befehl des Zwangsverwalters Bilal Özkan wurde auch hier das Denkmal für Uğur Kaymaz sowie die Büste des berühmten kurdischen Dichters Ahmet Arif abgerissen.

* Bazid: Der Zwangsverwalter ließ die Statue des kurdischen Literaten Ehmedê Xanî niederreißen.

* Nisebîn: Der Zwangsverwalter Ergün Baysal hat das Denkmal für die 16 an Newroz 1992 von Sicherheitskräften ermordeten Zivilist*innen niederreißen lassen.

* Ertoqî (Artuklu): Die 2005 errichtete Statue einer Friedenstaube wurde auf Befehl des Zwangsverwalters mit dem Bagger abgetragen.

* Cizîr: Das Cûdî-Trauerhaus wurde vom Zwangsverwalter abgerissen. Der Name Ceylan Önkol wurde aus einem Park auf Anordnung des Zwangsverwalters gestrichen. Das Mädchen Ceylan Önkol war in Licê von einer aus einem Armeestützpunkt abgefeuerten Artilleriegranate zerfetzt worden.

Korankurse statt Kunst und Kultur

Die Zwangsverwalter griffen auch in den Bereichen Kunst und Kultur an, insbesondere das Theater. In 14 Städten in Nordkurdistan wurden mehrsprachige Theaterschulen und dutzende Bühnen, Kunst- und Kulturzentren geschlossen oder sämtliche Mitarbeiter*innen entlassen, so dass die Zentren de facto still stehen. Hunderte Kulturarbeiter*innen und Lehrer*innen wurden entlassen. In vielen der geschlossenen Kunst- und Kulturzentren wurden religiöse Schulen oder Korankurse eingerichtet. Durch die Schließung der Zentren wurde tausenden Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit auf Unterricht genommen. Dutzende Festivals wurden storniert. Ausstellungen, Fortbildungen, Filmvorführungen und Theatervorstellungen wurden eingestellt.

* Êlih: Das 2006 von der Stadtverwaltung eingerichtete Yılmaz-Güney-Kino wurde am 11. September 2016 direkt nach der Ernennung des Zwangsverwalters geschlossen. Die Stadt-Theater und vier Volkshäuser, die über ein breites Kulturkursangebot verfügten, wurden ebenfalls vom Zwangsverwalter Ertuğ Şevket Aksoy geschlossen.

* Amed: Der Vertrag von 31 Schauspieler*innen am Theater der Stadt wurde nicht verlängert. Das seit 27 Jahren bestehende Stadttheater wurde ebenfalls vom Zwangsverwalter geschlossen.

* Silopiya: Das Kunst- und Kulturzentrum Laleş wurde der Jugendstiftung der Türkei (TÜGVA) übertragen. Die Leitung von TÜGVA entfernte den Namen Laleş und alle Bilder, die mit kurdischer Kultur zu tun haben oder Abbildungen von kurdischen Intellektuellen und Kulturschaffenden wie Ehmedê Xanî, Cegerxwîn, Dildar, Ayşe Şan und Meryemxan.

Stadtverwaltungen in Schulden gestürzt

Die Treuhänder begannen die Kommunalverwaltungen in einen Schuldensumpf zu manövrieren. Alle Verwaltungen waren von den Treuhändern schuldenfrei übernommen worden. Sie schafften es in kürzester Zeit, Millionenschulden anzuhäufen. Außerdem kam heraus, dass die Zwangsverwalter wertvolle Grundstücke der Stadtverwaltung weit unter Marktpreis an Führungskräfte der AKP oder ihre Verwandten verschleuderten. Auch beim Verkauf von Immobilien sind hunderte Fälle von Korruption aufgetaucht.

* Dersim: Der Treuhänder Tuncay Soner stürzte die Stadtverwaltung in eine Verschuldung in Höhe von 40 Millionen TL (6 Millionen 720 Tausend Euro). Er versteigerte außerdem Parkplätze, Gewerbeflächen und Wohnungen der Stadtverwaltung.

* Wan: Nach der Ernennung des Zwangsverwalters gab es hier die meiste Korruption. Die AKP bediente sich in großem Stil selbst und alle Immobilien der DBP-Stadtverwaltung wurden an Anhänger der AKP verschleudert. Es ist sogar damit begonnen worden, den Wansee zu verkaufen: Cafés und Restaurants am Seeufer wurden an AKP-Mitglieder veräußert.

* Erdîş: Der Zwangsverwalter Mehmet Şirin Yaşar versteigerte nach und nach das öffentliche Gelände der Stadtverwaltung und ihre Baumaschinen.

* Cizîr: Bei der Übernahme durch den Treuhänder befanden sich 30 Millionen TL (etwa 5 Millionen 40 Tausend Euro) in der Stadtkasse. In der Zeit der Zwangsverwaltung ist bis jetzt ein Schuldenberg von 200 Millionen TL (33 Millionen 600 Tausend Euro) angehäuft worden.

* Sûr: Der Zwangsverwalter von Sûr, Abdullah Çiftçi, hat 14 kommunale Grundstücke an die Universität verkauft.

* Mêrdîn: Der Zwangsverwalter Mustafa Yaman hat die Immobilien der Stadt erkauft. Während der DBP-Verwaltung gab es keine Schulden, in der Kasse waren über 120 Millionen TL (20 Millionen 150 Tausend Euro). Yaman hat bis jetzt einen Schuldenberg von 900 Millionen Lira (151 Millionen 204 Tausend Euro) angehäuft.