„In Efrîn werden die Ideen Öcalans gewinnen“

Die HDP-Abgeordnete Dilek Öcalan sagte in einem Interview, dass die Befreiung der Völker in der Region Kurdistans in der Freiheit Abdullah Öcalans verankert ist.

Im Gespräch mit Dilek Öcalan, Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), sprachen wir über die Situation des kurdischen Volksrepräsentanten Abdullah Öcalan und den Angriffskrieg der türkischen Regierung gegen den nordsyrischen Kanton Efrîn.

Die erschwerte Isolationshaft gegen Abdullah Öcalan hält weiterhin an. Wie bewerten Sie diese Situation?

Gegen die Person Öcalan wird seit 19 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali eine erschwerte Isolationspolitik betrieben. Seit drei Jahren dürfen ihn seine Angehörigen nicht sehen. Seit bereits sieben Jahren besteht Besuchsverbot für seine Rechtsanwält*innen. Die aktuelle Regierung der Türkei ist dafür verantwortlich. Sie treten ihr eigenes Rechtssystem mit Füßen. Nach türkischem Rechtssystem hat jede Person, die sich in Gewahrsam befindet, das Recht auf den Besuch seiner Angehörigen und Rechtsanwält*innen. Die Rechte von Abdullah Öcalan werden nicht beachtet, da auf Imrali vordergründig die Politik steht, nicht die Gesetze. Die Gesetze werden gemäß der Politik angewandt. Sie sind sich im Klaren darüber, dass Abdullah Öcalan nicht nur eine einzelne Person ist, sondern ein Repräsentant aller Völker der Region. Aus diesem Grund kann man sagen, dass die Völker der Region isoliert werden.

2013 hat Öcalan einen Prozess in Gang gesetzt. Mit diesem Prozess waren alle Völker sehr zufrieden. Bei jedem keimte die Erwartung, dass die kurdische Frage durch Dialog und Verhandlungen gelöst wird. Doch dieser Prozess wurde während der Verhandlungsphase beendet. Das ist ein Zeichen dafür, das kurdische Problem nicht lösen zu wollen. Das Streben, das Problem innerhalb kurzer Zeit zu lösen, ohne das Menschen sterben, bestand nicht. Nach Beendung des Prozesses begann erneut der Krieg gegen Kurdistan, besonders gegen Nordkurdistan und weitete sich auf den gesamten Mittleren Osten aus.

Öcalan sagte, dass die Freiheit der Völker Kurdistans die Lösung der Probleme der Türkei und der gesamten Region mit sich bringen würde. Den Kurd*innen ihr Recht auf Sprache, Kultur, Identität, also die sozialen Rechte einer Gesellschaft zu gewähren, würde das Problem lösen. Doch mit dem Beharren auf Krieg hat der türkische Staat gezeigt, dass er auf die Errungenschaften der Kurd*innen in allen vier Gebieten Kurdistans abzielt. Ins Visier ist nicht nur das Leben der Kurd*innen geraten, sondern auch ihre Vertreter*innen, die sie mit ihrem eigenen Willen gewählt haben. Unsere Ko-Vorsitzenden der Kommunen, unsere Abgeordneten und Parteivorsitzenden wurden ins Gefängnis gesteckt. All unsere Institutionen, die gemäß dem türkischen Recht gegründet wurden, hat man geschlossen. Erneut ist unsere Sprache verboten. Sie sagten uns, dass sie nicht zulassen werden, dass wir unsere Selbstverwaltung in die Hand nehmen und nicht erlauben werden, mit unserer eigenen Kultur, unserer Muttersprache und unseren traditionellen Trachten gekleidet zu leben.

Unsere Bevölkerung hat das nicht akzeptiert. Den Tod in Kauf nehmend haben sich unsere Menschen gewehrt und Widerstand geleistet. Deswegen wurden sie zum Ziel von großen Angriffen, denen sie sich nicht gebeugt haben. Sie sind vom richtigen Weg nicht abgekommen und gehen ihn weiter.

Ist die Isolation nur ein Problem der Kurd*innen?

Natürlich nicht. Es ist zu einem Problem aller Völker der Regionen geworden. Das internationale Komplott vor 19 Jahren fand statt, um den kurdischen Volksrepräsentanten sowohl physisch als auch ideell aus dem Weg zu räumen. Seine Ideen sollten vernichtet werden. Öcalan hat diese Pläne zum Scheitern gebracht. Seit 19 Jahren leistet er auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolation einen Widerstand gegen den Faschismus und kämpft für die Freiheit der Völker des Mittleren Ostens. Wir wissen, dass Freiheit und Stabilität in Kurdistan gewährleistet werden kann, sofern die Ansichten Öcalans die Völker der Region erreichen. Die Völker sind dafür, dass die Kurd*innen ihre Rechte erlangen. Sie sind sich darüber im Klaren, dass die Kurd*innen eine Nation bilden und akzeptieren dies auch. Sie wollen, dass die Kurd*innen frei sind. Nur die Diktatoren akzeptieren dies nicht.

Aber das Ende aller Diktatoren ist das Verderben. Es gibt Dinge, die den Diktatoren der jüngsten Geschichte widerfahren sind. Saddam zum Beispiel hat in Helebce (Halabdscha) bei einem Giftgasangriff unsere Menschen getötet und viele weitere Massaker angerichtet. Wie ist er geendet?

In Nordkurdistan versucht das Regime von Erdoğan, die Kurd*innen zu vernichten. Ihnen werden alle Rechte entzogen. All diese Dinge werden für den eigenen Vorteil der Regierung getan. Mit diesen Praktiken zeigt der Staat, dass ihn die Zukunft und die Interessen der Menschen nicht interessieren und versucht, seine eigene Diktatur hochzuziehen. Er macht dies, indem er gegen alle Gesetze verstößt. Der Staat sieht die Demokratie, demokratische Rechte und zivilgesellschaftliche Organisationen als Gefahr für sich selbst. Die durch Erdoğan verursachten Probleme sind nicht mehr lediglich die Probleme der Kurd*innen. Der Umgang mit der Demokratie, der Rechte, der Gesetze und der Gerechtigkeit ist zu einem Problem aller Völker geworden.

Es scheint nicht nur auf die Völker der Region beschränkt zu sein, da Menschen von Argentinien bis Brasilien die Ideen Öcalans aufgreifen.

Das Problem hat die Grenzen der Türkei längst überschritten und ist ein internationales Problem geworden. In Sotschi finden Treffen statt. Es ist Erdoğan, der eine Lösung des Problems ohne die Anwesenheit der Kurd*innen verlangt. Jeder ist sich darüber bewusst, dass es eine Lösung der kurdischen Frage ohne die Kurd*innen nicht geben kann. Es kam auch zu anderen Treffen außer Sotschi. Weil die Kurd*innen zu diesen Treffen nicht einbezogen wurden, konnte das syrische Problem auch nicht gelöst werden. Ganz im Gegenteil: Damit die Idee des Nationalstaates dominiert, damit die Völker unterdrückt und ausgebeutet werden können, wenden sie das System der schweren Isolation an. Somit versuchen sie, ein von Männern dominiertes Ein-Staaten-Gebilde einzuführen. Weder in Başûr (Südkurdistan), noch in Bakur (Nordkurdistan) oder in Rojava oder Rojhilat (Ostkurdistan) stellt man die Richtigkeit der Ideen des kurdischen Volksrepräsentanten (Öcalan) in Frage. Dinge, die er vor einem Jahrzehnt gesagt hat, all seine Feststellungen bewahrheiten sich nun. Er sagte zum Beispiel, dass die Gefahr für einen Putsch bestehe, sollten die Verhandlungen abgebrochen werden. Kurz nach dem Ende der Gespräche gab es einen Putschversuch. Die AKP wollte den Normalisierungsprozess in der Türkei nicht vorantreiben, deshalb wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Seit zwei Jahren wird die Türkei im Ausnahmezustand regiert.

Warum schweigen internationale Organisationen hinsichtlich der Isolationshaft Öcalans und dem Angriffskrieg gegen Efrîn?

Das Antifolterkomitee CPT befindet sich in einem großen Irrtum in Bezug auf die Isolation. Die Türkei tritt mit der Anwendung der Isolationshaft ihr eigenes Rechtssystem mit Füßen. Das CPT muss Stellung dazu beziehen, warum schweigt es?

Die Ideen und die Philosophie Öcalans reifen jetzt im Mittleren Osten. Das beste Beispiel dafür ist Rojava und Nordsyrien. Dort entsteht das Modell des Lebens der demokratischen Nation. Öcalans Projekt des demokratischen Konföderalismus fasst im gesamten Mittleren Osten Fuß. All die Angriffe zielen darauf ab, die Ideen, die hinter diesem Projekt stehen, zu vernichten. In der Philosophie Öcalans steckt das Leben eines jeden Volkes, jeden Glaubens, allen Geschlechtern, jeder Gedanke und jede Identität. In diesem Sinne kämpft nun die kurdische Frau für ihre Freiheit. Die Angriffe richten sich gegen den Freiheitskampf der kurdischen Frau. Insbesondere in Nordsyrien sind die kurdischen Frauen Vorreiterinnen für den Kampf um Freiheit. Deshalb sagen wir, dass die Freiheit von uns Frauen mit der Freiheit Öcalans zusammenhängt. Wir sind heute wir, weil wir unseren Widerstand im Sinne der Perspektiven Öcalans geleistet haben. Deshalb hängt unsere Freiheit von seiner Freiheit ab.

Das Schweigen internationaler Mächte hinsichtlich der Angriffe gegen Efrîn ist unakzeptabel. Schweigen bedeutet, den Angriffen zuzustimmen. Die Kurd*innen fassen es in dieser Form auf. Über die Angriffe zu schweigen bedeutet, dass sie ihre Einwilligung für die Angriffe erteilt haben und den Gräueltaten zustimmen. Sie sollen gar nicht so viel machen, lediglich ihre eigenen, internationalen Gesetze anwenden. Ihre eigenen Gesetze anzuwenden wird ihnen zeigen, dass sie sich entgegen eines Völkermordes positionieren müssen. Heute wird dieses Massaker den Kurd*innen auferlegt, morgen wird ein anderes Volk an der Reihe sein. Die internationalen Mächte sind in der Pflicht, diese Gesetze anzuwenden. Deshalb fordern wir von ihnen, dass sie ihre Pflichten erfüllen sollen.

Wir wenden uns wegen der Isolationshaft, den Kriegsverbrechen und Massakern an Zivilist*innen an die internationalen Mächte. Diese Massaker werden heute überall durchgeführt, doch international bewahren sie Stillschweigen darüber. Sie geben auch keine Gründe für ihr Schweigen an oder darüber, warum die Bearbeitung unserer Anträge hinausgezögert wird. Keines ihrer Gesetze würde ihr Verhalten erklären können.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Komplott gegen Öcalan, seiner Isolation und den Angriffen auf Efrîn?

Das Komplott gegen die Kurd*innen wird heute auf andere Weise fortgeführt. Die AKP und Erdoğan haben dies bei den internationalen Mächten durchgesetzt. Die internationalen Mächte befürworten mit ihrem Schweigen, dass die AKP ihre Linie bewahren kann. Wenn Erdoğan die kurdische Frage lösen wollen würde, hätte er nicht all seine Truppen an die Grenze zu Nordsyrien verlagert, um Efrîn zu besetzen. Er hätte mit Öcalan verhandeln können, um die Probleme zu lösen. Durch diese Angriffe haben sie wieder einmal bewiesen, dass sie eine Problemlösung nicht bevorzugen, sondern den Krieg. Sie wollen den Völkern ihre Rechte nicht zusprechen. Weder respektieren sie die Rechte von Menschen, noch die Demokratie.

Die Bevölkerung von Efrîn leistet Widerstand gegen die Angriffe. Ich verbeuge mich mit Respekt vor ihrem Kampf. ‚Ihr habt kein Recht auf die Besetzung unserer Länder, deshalb stellen wir uns euren Besatzungsabsichten entgegen‘, sagen sie. Tagtäglich leisten sie Widerstand. Wir stehen dem Volk von Efrîn bei, denn die Angriffe gegen Efrîn sind auch Angriffe gegen uns. Sie zielen sowohl auf die Kurd*innen ab, als auch auf Araber*innen, die in Efrîn leben und auf die Alevit*innen und Êzîd*innen. Gemeinsam mit den Dschihadisten, die sie in der Vergangenheit bereits unterstützt haben, greifen sie nun Efrîn an. Nichts ist nun mehr im Verborgenen. Die internationalen Mächte sollen aufhören, sich scheinheilig zu verhalten. Ganz offensichtlich greift die Türkei mit Waffen der Nato Efrîn an. Kinder, Frauen und alte Menschen werden umgebracht. Dieses Volk wird das nicht akzeptieren. Auch wenn sie alle den Tod erleiden müssen, werden sie ihr Land nicht verlassen. Sollte ein Massaker an der Bevölkerung erfolgen, so sind die Nato-Mächte dafür mitverantwortlich. So wie in Kobanê mit dem Geist von Arîn gesiegt wurde, so wird der Geist von Avesta in Efrîn zum Sieg führen. Efrîn leistet Widerstand und wird siegen.

Das kurdische Volk sollte sich den Angriffen als Einheit entgegenstellen, denn diese Angriffe zeigen uns erneut, wie wichtig die nationale Einheit ist.

Das Interview mit Dilek Öcalan in kurdischer Sprache kann unter dieser Adresse aufgerufen werden: http://anfnews.tv/files/122-dilek-oecalan-tecrit-ve-efrine-saldrlar-halklarn-o.mp4