HPG: Kommandant Orhan Cihat Bingöl ist gefallen

Der HPG-Kommandant Orhan Cihat Bingöl ist bei einem türkischen Angriff auf die Medya-Verteidigungsgebiete gefallen. Der kurdische Revolutionär hatte sich vor über 30 Jahren der PKK angeschlossen.

Drei Jahrzehnte Kampf für Kurdistan

Die Volksverteidigungskräfte (HPG) haben den Tod von Orhan Cihat Bingöl bekannt gegeben. Der langjährige Guerillakommandant, der auch Mitglied des Kommandorats der HPG war, kam Anfang Juni bei einem Angriff des türkischen Staates in den Medya-Verteidigungsgebieten ums Leben, erklärte die Organisation am Freitag in einem Nachruf:

„Hevalê Orhan, der sein ganzes Leben dem Kampf für die Freiheit unseres Volkes widmete und fast 33 Jahre lang ununterbrochen auf jedem Fußbreit Kurdistans Widerstand leistete, war ein einzigartiger Revolutionär. Er kämpfte unermüdlich, mit einem unerschütterlichen Glauben, aufrichtig, entschlossen, mit hoher Disziplin, einer unendlichen Begeisterung und Leidenschaft. Er liebte die Geographie Kurdistans und seine majestätischen rebellischen Berge, die er Schritt für Schritt erkundete und wie ein Derwisch in eine Loge des Widerstands verwandelte. Er war ein Werteschaffer, ein großer revolutionärer Kommandant, dessen Verbundenheit einzig der Freiheit unseres Volkes galt.

Vom Kämpfer der ARGK zum Kommandanten kleiner Einheiten und ganzer Kompanien in Gebieten und Regionen; Hevalê Orhan war innerhalb unserer Guerillaarmee auf allen Ebenen tätig. Er erreichte Unglaubliches, bildete tausende Freundinnen und Freunde mit Liebe aus und gab seine revolutionären Erfahrungen weiter. Er war ein Derwisch, dem es gelang, Weggefährte seiner Genossinnen und Genossen zu sein. Er verstand es, überall dort zu sein, wo es unser Kampf erforderte, und die revolutionären Aufgaben der Zeit zu übernehmen. In den 33 Jahren seines revolutionären Lebens kämpfte Genosse Orhan bis zu dem Tag, an dem er die Karawane der Gefallenen erreichte, mit dem jugendlichen Geist der PKK, ohne zu zögern und ohne zu ermüden.

Das Andenken an diesen unersetzlichen Revolutionär, der sich mit seiner Teilnahme, seiner Haltung, seinem Engagement, seiner Führungsstärke und seiner Freundschaft in die Geschichte unseres Widerstands eingeschrieben hat, wird immer in unserem Kampf weiterleben. Wir versprechen, alle unsere Gefallenen in der Person des Genossen Orhan zu rächen, ihre Träume zu verwirklichen und unseren Marsch für einen freien Vorsitzenden und ein freies Kurdistan mit dem Sieg zu krönen.“ Zu den persönlichen Daten von Orhan Cihat Bingöl machten die HPG folgende Angaben:

                                          

Codename: Orhan Cihat Bingöl

Vor- und Nachname: Ali Dinçer

Geburtsort: Çewlîg

Namen von Mutter und Vater: Kibar – Keke

Todestag und -ort: 6. Juni 2024 / Medya-Verteidigungsgebiete

 

Orhan Cihat Bingöl wurde 1960 in Hop, einem Dorf im Kreis Xorxol (tr. Yayladere) in der Provinz Çewlîg (Bingöl), geboren. Die Region grenzt an Dersim und ist von der Tradition und Kultur der Widerstandshochburg geprägt. Die Nähe dieser Geografie, die durch ein unwegsames Gebirge abgeschottet vom türkischen Staat ist und für einen moralischen wie auch politischen Gemeinschaftscharakter ohne seinesgleichen steht, wirkte sich auch auf Hop und andere Orte in der Nachbarschaft zu Dersim aus. Orhan Cihat Bingöl wuchs in einem gesellschaftlichen Umfeld auf, das sich jenseits der Einflüsse und Manipulationen der kapitalistischen Moderne befand. Diese Realität wirkte sich prägend auf seine Persönlichkeit und die spätere Entwicklung seines sozialen Verhaltens aus.


„Genosse Orhan wuchs mit einem ausgeprägten kulturellen und historischen Bewusstsein auf, fühlte den Schmerz seines Volkes in seinem Herzen, war sensibel für soziale Probleme, hatte großes Einfühlungsvermögen und dachte über die Lösung dieser Probleme nach. Er war ein Mensch, der sich auf die gesellschaftlichen Widersprüche und Probleme konzentrierte, ständig forschte und nach Lösungen suchte“, schreiben die HPG in ihrem Nachruf. Er sei ein erfolgreicher Schüler gewesen, der an der Universität auf eine revolutionäre intellektuelle Jugend traf. Hier interessierte er sich für linke Bewegungen in der Türkei und setzte sich intensiv mit ihren Ideologien auseinander. Auf seiner Suche nach Lösungen für bestehende Probleme kam er zu dem Schluss, dass die Rettung der Völker in der Ideologie des Sozialismus liegt. Auf dieser Grundlage beteiligte er sich an Aktivitäten der revolutionären Studierenden.


Zu Beginn der 1990er Jahre – das kurdische Volk hatte mit der Aufnahme des Beginns des bewaffneten Widerstands am 15. August 1984 die tote Erde von sich weggedrückt und war unter dem Leitspruch „Die Auferstehung ist vollendet – Zeit für die Befreiung“ zu den revolutionären Volksaufständen, den sogenannten Serhildan übergegangen – begann sich Orhan Cihat Bingöl näher mit der kurdischen Bewegung auseinanderzusetzen. Der große Existenz- und Freiheitskampf des kurdischen Volkes, der nicht mehr nur in den Bergen Kurdistans zu finden war, wirkte sich auf die gesamte Türkei und auch auf die linken Bewegungen aus. In einem solchen Umfeld und Prozess empfand er mehr und mehr Sympathie für die Freiheitsbewegung Kurdistans. Umfangreiche Recherchen und intensive Diskussionen festigten bei ihm die Idee, dass in der PKK die Befreiung Kurdistans und der Türkei, der Aufbau eines echten Sozialismus und der gesellschaftlichen Freiheit erreicht werden konnte. „Hevalê Orhan hatte die apoistische Ideologie erkannt und verstanden und vollzog den Bruch mit dem bestehenden System. Er schloss sich den Apoisten an, da er nun selbst ein Apoist war. Er ließ Studium, Ehe und Kinder hinter sich und ging zur Guerilla, weil er bereit war für den Kampf um die Freiheit seines Volkes und seiner Heimat.“


Als Orhan Cihat Bingöl 1992 in Çewlîg zur Guerilla ging, nannte die PKK-Guerilla sich noch Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK). Kaum in den Bergen, ging er nach Behdînan, wo ein heißer Krieg wütete. Er bekam eine kurze Ausbildung und nahm die Waffe in die Hand. Es war die Zeit, als der türkische Staat mit der Devise „Entweder zerschlagen oder zerschlagen“ und der Unterstützung des Westens einen blutigen und schmutzigen Krieg gegen das kurdische Volk führte. Tausende Dörfer fielen in Nordkurdistan unter dem Deckmantel der „PKK-Bekämpfung“ einer Politik der verbrannten Erde zum Opfer, etwa 17.000 Menschen wurden von staatlichen Konterkräften ermordet. Die Zahl der Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ging in die Millionen. „Der türkische Besatzungsstaat, der glaubte, der Guerilla durch die Entvölkerung Kurdistans ein Ende bereiten zu können, führte umfangreiche Angriffe in den Bergen durch. In dieser Periode, die zu den gewalttätigsten Jahren der Geschichte unseres Kampfes gehört, leistete die Freiheitsguerilla Kurdistans einen unerbittlichen und atemlosen Widerstand. Sie verstand es, allen Angriffen selbstlos zu begegnen. Genosse Orhan kämpfte in diesen Jahren, als der Krieg am heftigsten war, in Botan und Behdînan und nahm seinen Platz an der vordersten Front ein. Ohne Unterbrechung nahm er an einer Aktion nach der anderen teil und versetzte dem Feind schwere Schläge.“


1995 ging Orhan Cihat Bingöl nach Damaskus und nahm an der zentralen Parteischule der PKK am Unterricht ihres Begründers Abdullah Öcalan teil. Etwa ein Jahr später kehrte er als Teamkommandant nach Nordkurdistan zurück, wo er die nächsten Jahre in der Provinz Erzîrom im Einsatz war. Ab 2000 war er wieder in den Medya-Verteidigungsgebieten. Es waren turbulente Zeiten, die die PKK damals im Zuge der völkerrechtswidrigen Verschleppung Abdullah Öcalans aus Kenia in die Türkei, vielfältigen ideologischen und organisatorischen Angriffe von innen und außen und den bald darauf angestoßenen Paradigmenwechsel durchlebte. „Orhan Cihat Bingöl, der seine Überzeugungen und Prinzipien verteidigte und nicht zögerte, für sie zu kämpfen, übernahm in dieser schwierigen Zeit wichtige Aufgaben in den Medya-Verteidigungsgebieten. ‚Wie gut ein Mensch auch gesinnt sein mag, wenn er unbewusst und unorganisiert ist, kann er weder die Partei noch die Werte richtig schützen‘, war sein Motto, das ihn antrieb. Er durchlief eine Spezialausbildung bei der PKK, durch die er eine neue Ebene der apoistischen Ideologie, der Kriegskunst, des professionellen Guerillakampfes und der Opferbereitschaft erreichte. Anschließend wurde er Kommandant an der Apollo-Akademie für die Ausbildung von Kämpferinnen und Kämpfern. In seine Zuständigkeit innerhalb der Akademie fielen auch verantwortliche Positionen in den Bereichen der Regional- und Gebietskommandanturen, außerdem war er Teil des Komitees für legitime Selbstverteidigung. Angesichts seines Todes sprechen die HPG den Angehörigen von Orhan Cihat Bingöl und dem kurdischen Volk ihr Mitgefühl aus.