Der am Vortag in der westanatolischen Provinz Afyon erschossene kurdische Bauarbeiter Özkan Tokay ist beigesetzt worden. Die Beerdigung in Erdîş (türk. Erciş) bei Wan (Van) fand begleitet von intensiven polizeilichen und militärischen Maßnahmen statt. Auf Anordnung des Provinzgouverneurs Mehmet Emin Bilmez, der ebenfalls anwesend war, durften nur die engsten Familienmitglieder des Opfers an der Zeremonie teilnehmen. Vor dem Friedhof protestierten viele Menschen, darunter auch der HDP-Abgeordnete Murat Sarısaç sowie Mitglieder der HDP-Wan. Korrespondent*innen der Nachrichtenagenturen Mezopotamya (MA) und JinNews wurden ebenfalls daran gehindert, die Beisetzung zu begleiten.
Was war geschehen? Der mutmaßlich rassistisch motivierte Angriff ereignete sich am Sonntagabend um etwa 19.30 Uhr Ortszeit (18.30 Uhr MEZ), als sich der 25-jährige Özkan Tokay zusammen mit seinem Bruder Fırat (15) und fünf Kollegen auf einer Baustelle im Landkreis Dinar aufhielt. Wegen „Staubentwicklung durch die Bauarbeiten“ habe sich ein Anwohner, der inzwischen als Ömer A. identifiziert wurde, bei den Arbeitern beschwert. Es sei zu einer Diskussion gekommen, plötzlich habe der Mann seine Waffe gezogen und damit auf den Kopf des 15-jährigen Fırat T. eingeschlagen. Özkan Tokay ging dazwischen und wurde von Ömer A. mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Auch der 28 Jahre alte Emrah Ö. wurde angeschossen. Die vier weiteren Bauarbeiter, die Zeugen der Geschehnisse wurden, blieben unverletzt. Nach dem Täter wird mittlerweile gefahndet.
Eingang zum Friedhof in Erdîş
Den daraufhin verständigten Angehörigen der kurdischen Bauarbeiter, die sich am Abend aus Wan auf den Weg nach Afyon gemacht hatten, war am Ortseingang die Einfahrt verweigert worden. Nach Angaben des HDP-Politikers Murat Sarısaç wurde das Einreiseverbot vom Bürgermeister Afyons, dem Polizeipräsidenten sowie dem Generalstaatsanwalt angeordnet. Den Familienmitgliedern der Angriffsopfer sei nahegelegt worden, die zwei Verletzten mit der Überführung des Leichnams von Tokay zu beauftragen. „Personen mit Geburtsstadt Van werden ohnehin nicht durchgelassen“, habe es geheißen.
Murat Sarısaç: Özkan wurde ermordet, weil er Kurde war
Der nicht zur Beerdigung durchgelassene Murat Sarısaç erklärte, Özkan Tokay sei allein aufgrund seiner kurdischen Identität ermordet worden. Verantwortlich sei die Regierungskoalition aus AKP und MHP, die durch polarisierende und spaltende Diskurse die Spannung in der Gesellschaft mit dem Ziel zuspitze, einen kurdischen Genozid herbeizuführen. „Aber auch wir Kurden sollten uns für den Tod dieses Menschen verantwortlich fühlen. Sollte es Personen unter uns geben, die den Schmerz um den Verlust von Özkan nicht als ihren eigenen Schmerz sehen, sollten sie an sich selbst zweifeln und ihr Tun unablässig in Frage stellen.“
Tief sitzende Intoleranz Kurdinnen und Kurden gegenüber
Antikurdischer Rassismus prägt die Türkei seit jeher. Erst kürzlich war in der westtürkischen Provinz Sakarya eine 16-köpfige Gruppe von Saisonkräften aus Şemrex (türk. Mazıdağı) bei Mêrdîn (Mardin) von einem türkischen Landwirt und seinen Verwandten beinahe gelyncht worden. Der Mob bestand sowohl aus zwei Söhnen des Besitzers der Haselnuss-Plantage, auf der die Erntehelfer*innen seit mehr als zwei Wochen gearbeitet hatten, als auch aus weiteren Bewohnern des Ortes. Auf Videoaufnahmen war zu erkennen, wie die Saisonarbeiter*innen von mehreren männlichen Personen attackiert werden, eine 15-Jährige wird sogar geohrfeigt. Zwei dringend Tatverdächtige, die nach dem rassistischen Angriff erst infolge öffentlicher Profeste festgenommen worden waren, befinden sich inzwischen wieder auf freiem Fuß.