Die südkurdische PDK gehört zu den Hauptverantwortlichen für die Ermöglichung des IS-Genozids am ezidischen Volk in Şengal. Durch den Rückzug der Peschmerga über Nacht wurde die Bevölkerung den Mördern des „Islamischen Staats” (IS) überlassen. Statt ihre historische Verantwortung für den Genozid wahrzunehmen, setzt die PDK ihre feindselige Politik fort und unterstützt das türkische AKP/MHP-Regime bei Angriffen auf die Region und hetzt gegen die Selbstverwaltung des Gebiets. Die PDK setzt alles daran, die Region wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen. Am 9. Oktober wurde ein Abkommen zwischen der Regierung der südkurdischen Autonomieregion und der irakischen Zentralregierung über die Region Şengal unterzeichnet.
In dem Abkommen geht es unter anderem um verwaltungstechnische und sicherheitspolitische Fragen sowie die Bereitstellung von staatlicher Infrastruktur. Demnach obliegt die Verwaltung der Region nun Hewlêr, für die Sicherheit ist die irakische Zentralregierung zuständig. Die Kampfverbände in der Region sollen aufgelöst werden. Was das konkret für die ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ (Yekîneyên Berxwedana Şengalê) bedeutet, ist noch unklar.
PDK soll mit deutscher Hilfe erneut die Region kontrollieren
Die Menschen aus der Region und der Autonomierat Şengal sind an den Vorgesprächen für das ihre Zukunft bestimmende Abkommen nicht beteiligt worden. Stattdessen gab es internationale Vermittler. So bedankte sich Felah Mustafa, Mitglied des PDK-Politbüros, bei den Vereinten Nationen, den USA, Deutschland und Frankreich für die Vermittlung des Abkommens.
Als der IS am 3. August 2014 in der Şengal-Region einfiel, verließen die mit schweren Waffen ausgestatteten Peschmerga der PDK sowie die irakische Zentralregierung Şengal und überließen die Menschen sehenden Auges dem Genozid. Der IS ermordete tausende Männer und verschleppte Frauen und Kinder, um sie als Sklavinnen zu verkaufen bzw. zu indoktrinieren und zu Kindersoldaten zu machen. Noch heute sind tausende Frauen und Kinder „verschwunden“.
Die Verteidigung des Şengal übernahm anstelle der geflohenen Peschmerga zunächst ein Dutzend PKK-Kämpfer, die schließlich auch Unterstützung von der Guerilla und aus Rojava bekamen und so einen Fluchtkorridor freikämpfen konnten. Zusammen mit den neu aufgebauten YBŞ und YJŞ konnte die Region vom IS befreit werden. Im November 2015 gelang die Befreiung des Zentrums der Stadt Şengal. Kurz vor der Befreiung der Stadt marschierte die PDK erneut ein und besetzte einen Teil des wichtigen Ortes. Um neue Konflikte unter den kurdischen Kräften zu verhindern, schwiegen HPG und YBŞ zu dem erneuten Einzug der PDK-Peschmerga.
Im März 2017 stationierte die PDK ihre Kontra-Miliz „Roj-Peschmerga“ in Sinûnê und Xanesor. Die mit modernsten deutschen Waffen wie Fahrzeugen vom Typ Dingo ausgestattete Miliz griff die YBŞ an. Die Provokation scheiterte jedoch am massiven Protest der ezidischen Bevölkerung.
PDK ergreift zum zweiten Mal die Flucht
Im Oktober 2017 scheitert das Unabhängigkeitsreferendum der PDK an der Haltung der irakischen Regierung. Die PDK zog sich erneut zurück und überließ das Şengal-Gebiet den Volksmobilisierungseinheiten der irakischen Regierung (Hashd al-Shaabi). Anschließend kam es zu einem Übereinkommen zwischen der autonomen Selbstverwaltung der Region Şengal und der irakischen Zentralregierung und die YBŞ wurden offiziell als Teil des irakischen Militärs anerkannt.
Schmutziger Deal
Obwohl sich die HPG nach der Befreiung der Region Şengal im April 2018 aus dem Gebiet zurückzogen, behauptete die PDK, die PKK sei weiterhin in der Region präsent, und unterstützte den türkischen Staat bei Angriffen auf die Region. Das neue Abkommen ist ausgerechnet am 9. Oktober geschlossen worden, dem Jahrestag des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan. In der mittelöstlichen Politik haben Daten einen hohen Symbolwert und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Datum nicht zufällig gewählt wurde.
„Verräter haben nichts über die Region Şengal zu sagen“
Prominente Ezid*innen haben sich im ANF-Gespräch zu dem Abkommen geäußert. Riham Hiço, Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der demokratisch-autonomen Verwaltung von Şengal, kritisiert das Abkommen als Fortsetzung des „Massakers vom 3. August“. Sie erklärt: „Sie [die PDK und die irakische Armee] waren zwei Tage vor dem 3. August in Şengal. Aber als der IS kam, sind beide Kräfte geflohen und haben die Ezidinnen und Eziden dem Genozid überlassen. Deshalb sind beide Kräfte schuldig. Die irakische Regierung hat mit ihrem Rückzug aus der Şengal-Region ein Verbrechen begangen. Die PDK hat nicht nur das, sondern auch Verrat verübt. Sie haben rein gar nichts über die Region Şengal zu sagen.“
„UN und USA sind Komplizen“
Hiço kritisiert die Rolle der internationalen Mächte in diesem Abkommen und betont: „Dieses Abkommen wurde unter Beobachtung der USA und der UN geschlossen. Wir sehen diese Kräfte als Komplizen in diesem Komplott, das nichts weiter als eine Fortsetzung des Massakers vom 3. August darstellt.“ Hiço erinnert an die Angriffe der PDK im März 2017, den Versuch der PDK, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen und die Luftangriffe der Türkei auf die Region. Sie bezeichnet das aktuelle Abkommen als Fortsetzung dieser Politik.
„Wir werden dieses Abkommen um keinen Preis akzeptieren“
„Dieses Abkommen ist ein Abkommen zur Vernichtung der Eziden”, erklärt Riham Hiço. „Wir werden es nicht akzeptieren. Hewlêr und Bagdad schließen Deals auf unsere Kosten. Wir haben große Opfer für ein freies Leben erbracht und nicht dafür, dass sich Bagdad und Hewlêr die Eziden gegenseitig als Geschenk hin und herschieben. Wir werden keine Entscheidung akzeptieren, die nicht unserem Willen entspricht. Was es auch immer kosten mag, wir sind bereit, das Opfer zu bringen. Wir sind kein Happen, der sich so leicht herunterschlucken lässt. Wir haben unsere Haltung klargestellt und werden das auch weiterhin tun."
„Sie verlangen Rechenschaft, weil wir uns selbst verteidigt haben“
„Es wird keine Rückkehr zum Status quo vor dem 3. August geben. Die Regierungen in Hewlêr und Bagdad, die selbst vor Gericht gestellt werden müssten, verlangen von uns Rechenschaft. Sie sagen, warum habt ihr euch bewaffnet, warum habt ihr euch verteidigt. Sie wollen Rechenschaft dafür, dass wir uns nicht vernichten lassen haben. Sie selbst müssen Rechenschaft ablegen. In Şengal gibt es keinen Platz für Verräter. Şengal ist das Heim der Ezidinnen und Eziden und wird frei bleiben. Etwas anderes werden wir nicht hinnehmen“, so Riham Hiço.
„In keiner Hinsicht akzeptabel“
Hecî Çelik vom ezidischen Dachverband NAV-YEK weist auf das Datum des 9. Oktobers als den Jahrestag des Komplotts gegen Abdullah Öcalan und des Beginns der Besatzung von Nord- und Ostsyrien hin und sagt: „Wir glauben nicht, dass dies ein Zufall war. Wir sehen dieses Abkommen als Fortsetzung des Komplotts."
„Das Abkommen wird gravierende Konsequenzen haben“
Çelik warnt: „Der gesamten kurdischen Öffentlichkeit muss klar sein, dass die Konsequenzen dieses Abkommens, das den Willen der Eziden missachtet, gravierend sein werden. Dieses Abkommen birgt eine große Gefahr. Die internationale Öffentlichkeit muss diese Entscheidung genauestens verfolgen. Wir als ezidische Einrichtungen werden dagegen protestieren und das Abkommen nicht hinnehmen.“
Uca: „Es geht um die Vollendung der Ziele des IS“
Die ezidische HDP-Abgeordnete Feleknas Uca kommentiert das Abkommen so: „Eines der Ziele des IS-Angriffs war es, die Region Şengal zu entvölkern. Das, was der IS nicht geschafft hat, soll jetzt durch das Abkommen vollbracht werden. Es handelt sich um eine Entscheidung, die Şengal vollständig missachtet. Wenn man an die Ezidinnen und Eziden gedacht hätte, dann hätte man diejenigen, die seit Jahren in Şengal Widerstand leisten und unter großen Opfern ein System aufgebaut haben, nach ihrer Meinung gefragt. In Anbetracht der Bedrohung von Rojava wird deutlich, dass es hier um den Plan geht, die Verbindung dorthin zu kappen.“
Uca kritisierte die übrigen südkurdischen Parteien für ihr Schweigen. Die Politikerin warnt davor, dass ähnliche Abkommen über alle sogenannten „umstrittenen Gebiete“ geschlossen werden könnten, und fragt: „Wie kann die PDK eine solche Entscheidung alleine treffen?“