Die irakische Armee belagert seit dem 20. Mai Camp Mexmûr. Das von Geflüchteten aus Nordkurdistan selbstverwaltete Lager in der Nähe von Hewlêr (Erbil) soll eingezäunt und mit Wachtürmen in ein riesiges Freiluftgefängnis verwandelt werden. Die etwa 12.000 Bewohner:innen des Camps wehren sich dagegen und leisten Tag und Nacht Widerstand. Heute hat das irakische Militär weitere Einheiten an strategisch wichtigen Stellen in der Umgebung des Lagers positioniert.
Der Volksrat von Mexmûr ruft die Weltöffentlichkeit zur dringenden Unterstützung auf. Yusif Kara, Ko-Vorsitzender des Volksrats, erklärte gegenüber ANF zur aktuellen Lage: „Zwischen der irakischen Regierung und uns gibt es Unstimmigkeiten, die in den letzten Tagen eskaliert sind. Wir wollten vermeiden, dass es so weit kommt, und haben etliche Male mitgeteilt, dass wir kein Chaos und keine tätlichen Auseinandersetzungen wollen. Was uns hier aufgezwungen werden soll, ist weder legitim noch gesetzlich. Wir haben unsere Forderungen den involvierten Institutionen übermittelt.“
Die aktuelle Eskalation basiere auf einem „Konzept, das entsprechend des Plans des türkischen Staates entwickelt“ wurde, sagt Kara: „Das sagt der türkische Staat ja selbst ganz offen, auch die Barzanî-Familie sagt es. Dieses Konzept richtet sich gegen alle Kurdinnen und Kurden und ganz Kurdistan. An diesem Plan sind auch die Vereinten Nationen und auf gewisser Ebene die internationale Koalition gegen den IS beteiligt. Sie stellen sich blind, taub und stumm angesichts des Vorgangs. Alles weist darauf hin, dass es sich um ein breit angelegtes Konzept gegen unser System der Selbstverwaltung handelt.“
Kara weist darauf hin, dass die Belagerung von Mexmûr parallel zu der Isolation von Abdullah Öcalan in türkischer Gefangenschaft und den weiteren Entwicklungen in Kurdistan stattfindet. Die Menschen in Mexmûr seien vor dreißig Jahren durch die Politik der verbrannten Erde aus Nordkurdistan vertrieben und zu einem Leben in einem Flüchtlingslager gezwungen worden. Trotzdem hätten sich diese Menschen und die nachfolgenden Generationen niemals in die Knie zwingen lassen, so der Ko-Vorsitzende des Volksrats: „In den letzten Tagen ist die Situation eskaliert. Der Widerstand der Bevölkerung ist ein Zeichen der Würde und macht uns stolz. Solche Beispiele gibt es selten.“
Bisher sei die Belagerung bis zu einem gewissen Grad verhindert worden und niemand aus dem Camp ziehe einen Rückzug in Betracht, betont Kara. Das irakische Militär sei jedoch beharrlich und spreche von einer „Entscheidung des Staates und der Regierung“, die es durchzusetzen gelte. „Aus unserer Sicht gibt es keine Legitimität dafür“, so Yusif Kara. Zwar sei die Beziehung der UN zum Camp vor langer Zeit abgebrochen, trotzdem handele es sich um ein Flüchtlingslager mit UN-Status und die Bewohner:innen hätten Ausweise mit UN-Stempeln. Offiziell steht Mexmûr unter dem Schutz und der Kontrolle des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR), praktisch ist die Organisation nur nominell präsent. Sie verließ das Lager bei den Angriffen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 und kehrte danach nicht mehr zurück. Am Dienstag waren Vertreter:innen der UN zu Gesprächen über die aktuelle Eskalation in Mexmûr eingetroffen.
Kara weist darauf hin, dass nach dem Sturz des Baath-Regimes von der irakischen Regierung ein internationales Abkommen für die Rechte von Geflüchteten unterzeichnet wurde, das auch für Mexmûr gelte. Die Vereinten Nationen und insbesondere die UN-Vertreter:innen in der Region stünden jedoch unter dem Einfluss der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (PDK) und des Barzanî-Clans, der nur seine persönlichen wirtschaftlichen Interessen verfolge.
„Hier werden die Rechte von Geflüchteten verletzt, das gilt vor allem auch für die Rechte von Kindern. Das alles geschieht auf der Grundlage von falschen und haltlosen Berichten der Familie Barzanî und in Zusammenarbeit mit der Türkei. Auf diese Weise wird Druck auf uns ausgeübt. Die UN kommen ihren Verpflichtungen uns als Flüchtlingen gegenüber in keiner Form nach. Anstatt zu einer Lösung beizutragen, verhalten sie sich an vielen Stellen geradezu feindselig. Sie tun in vielerlei Hinsicht alles dafür, damit das Camp aufgelöst wird“, berichtet Kara.
Dass UN-Vertreter:innen jetzt wieder in Mexmûr aufgetaucht seien, sei nur dem beharrlichen Widerstand der Bevölkerung geschuldet. „Sie waren auch 2018 einmal da, aber das stand nur im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen. Nach einem Rundgang durch das Camp sind sie wieder weggefahren. 2022 gab es Gespräche in Bagdad und Mosul, aber es kam zu keiner einzigen Tätigkeit im positiven Sinne. Und heute versuchen sie nachzuvollziehen, was hier vor sich geht. Wir haben uns zusammengesetzt und miteinander gesprochen. Dabei haben wir das vom irakischen Staat begangene Unrecht sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie haben gesagt, dass sie sich nach einer Beratung wieder melden werden. Unsere Gespräche gehen weiter, damit sie sich an das von ihnen unterzeichnete Abkommen halten. Wir befinden uns in einer sehr ernsten Phase, die Situation ist außergewöhnlich. Nur mit Widerstand können wir Erfolg haben. Wir haben Selbstvertrauen. Wenn wir uns als kurdische Nation innerhalb und außerhalb Kurdistans für uns selbst einsetzen, gibt es nichts, was uns nicht gelingen könnte. In diesem Zusammenhang appellieren wir an unser Volk und an alle, deren Herzen für diese Bewegung, das kurdische Volk und die Revolution schlagen: Verstärkt die Solidarität in dieser schwierigen Zeit. Wir danken allen, die sich für uns einsetzen“, so der Ko-Vorsitzende des Volksrats von Mexmûr.