Der Widerstand von Yağız dauert seit drei Monaten an

Um die Aufhebung der Isolationsbedingungen Abdullah Öcalans einzufordern, befindet sich Nasır Yağız seit drei Monaten im Hungerstreik. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich.

Nasır Yağız war der erste, der dem Hungerstreik von Leyla Güven folgte. Seit nun 90 Tagen befindet er sich in der südkurdischen Hauptstadt Hewlêr (Erbil) im Hungerstreik. Der Gesundheitszustand von Yağız, der ebenso wie Leyla Güven Mitglied der HDP ist, verschlechtert sich täglich. Abid Ike von der HDP-Vertretung in Südkurdistan erklärt gegenüber ANF, dass Yağız mittlerweile starke Schwierigkeiten hat, sich zu bewegen. „Er leidet unter Kopf- und Magenschmerzen und kann bis in die späte Nacht deshalb nicht einschlafen. Am Tag hält es nur noch vier bis fünf Stunden auf den Beinen aus. Er hat sehr viel Gewicht verloren und hat Schwierigkeiten beim Wasser trinken. Jeden Tag wird er schwächer“, so Ike über den Gesundheitszustand von Yağız.

Trotz der gesundheitlichen Schwierigkeiten habe Yağız allerdings nichts an seinem Willen verloren, für die Aufhebung der Isolationsbedingungen des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan zu kämpfen. „Selbst seinen Hungerstreik erachtet er für zu wenig. Deshalb zerbricht er sich den Kopf, wie er diesen Kampf noch effektiver führen kann“, berichtet Ike.

Ein Brief von Yağız an die europäischen Institutionen

Bereits am 39. Tag seines Hungerstreiks hatte Nasır Yağız einen Brief an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, das Antifolterkomitee CPT und den Europarat gerichtet, in welchem er die Beweggründe für seinen Hungerstreik schildert und die Institutionen zum Einschreiten auf Imrali aufruft.

In dem Brief von Yağız heißt es:

„Ich heiße Nasır Yağız und bin 1992 in der nordkurdischen Stadt Êlih (Batman) auf die Welt gekommen. Noch in meiner Kindheit ist mir wegen der Assimilationspolitik gegen meine Identität, meine Sprache und die kurdische Kultur großes Leid widerfahren. In meiner Jugend hat der türkische Besatzerstaat mich wegen meiner kurdischen Identität immer wieder angegriffen. Aufgrund meiner politischen Arbeiten musste ich ins Gefängnis. Kurz nachdem ich aus dem Gefängnis entlassen worden bin, ist meine Haftstrafe durch ein Berufungsgericht bestätigt worden. Daraufhin habe ich erfahren müssen, wie das Leben eines Geflüchteten aussieht.

Seit neun Monaten setze ich mein Leben im südkurdischen Hewlêr fort. Laut internationalen Menschenrechtsvereinbarungen verfügen Menschen über natürliche Rechte. Doch Millionen Kurdinnen und Kurden werden von Seiten des türkischen Staates dieser Rechte beraubt. Ebenso wie Abdullah Öcalan, der seit 20 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali als Geisel gehalten wird, muss jede Kurdin und jeder Kurde alltäglich diese bittere Erfahrung machen.

Seit 2011 können seine Anwält*innen und seit 2016 seine Angehörigen Herrn Öcalan nicht mehr besuchen. In der Person Öcalans wird gegen die gesamte kurdische Bevölkerung eine unrechtmäßige und kolonialistische Praxis aufrechtgehalten. Er wird einer gnadenlosen Isolation ausgesetzt.

Im Hungerstreik, weil die europäischen Institutionen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden‘

Ich möchte betonen, dass auch Sie [die europäischen Institutionen] für diese unmenschliche Isolation mitverantwortlich sind, weil Sie ihren Verantwortungen nicht gerecht werden. Sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, während eine gesamte Volksgruppe ihrer Grundrechte beraubt wird, Aktivist*innen, die für die Demokratie und Freiheit eintreten, gnadenlos kriminalisiert werden und Herr Abdullah Öcalan schweren Isolationsbedingungen ausgesetzt ist. Und weil Sie dieser Verantwortung nicht gerecht werden, musste ich die Initiative ergreifen und zu der Protestform des Hungerstreiks greifen, bei der ich wissentlich mein Leben einer Gefahr aussetze.

Heute befinde ich mich seit 39 Tagen im Hungerstreik. Sollte die Isolation von Herrn Abdullah Öcalan nicht aufgehoben und unter Ihrer Vermittlung kein Lebenszeichen von ihm an die Öffentlichkeit gelangen, werde ich meinen Hungerstreik mit meinem freien Willen fortsetzen und in ein Todesfasten umwandeln. Der Umgang mit Herrn Öcalan, der auf Imrali isoliert wird, kann im Mittleren Osten sowohl der Grund für einen Krieg als auch für den Frieden sein. Aus diesem Grund ist eine Nachricht von ihm für die Völker von lebensnotwendiger Bedeutung.

Heute befinden sich überall auf der Welt unzählige Menschen im Hungerstreik. Diese Zahl wird auch noch weiter steigen. Ich hoffe, dass in Europa die Mechanismen der Gerechtigkeit ihrer historischen Verantwortung gerecht werden. Sie sollten wissen, dass Ihre Haltung, die der Isolation und der Folter die Unterstützung erweist, mit zu meiner Entscheidung zum Hungerstreik beigetragen hat. Ich rufe Sie dazu auf, Ihren Beitrag für eine Beendigung der Hungerstreiks zu leisten, bevor uns die ersten Todesmeldungen erreichen. Werden Sie ihrer Verantwortung gerecht!"

(Anm. d. Red.: Mehmet Öcalan konnte am 12. Januar seinen Bruder Abdullah Öcalan erstmalig nach zweieinhalb Jahren kurz auf Imrali besuchen. Dass damit die Isolation gegen ihn nicht aufgehoben wurde, zeigen auch die darauf gestellten Besuchsanträge sowohl der Rechtsanwälte wie auch der Familienangehörigen, die allesamt abgelehnt wurden. Die Hungerstreikenden erklärten daraufhin, dass ihre Forderung damit nicht erfüllt sei. Das Ziel des Hungerstreiks ist die Gewähr regelmäßiger Kontakte zu Öcalan.)