Der Geist von Efrîn und die südkurdische Politik

Die südkurdischen Parteien und die Regionalregierung stehen unter dem hohem Druck der Bevölkerung, Position zu den Angriffen auf Efrîn zu beziehen.

Seit dem 16. Oktober 2017 standen die Konflikte zwischen der südkurdischen Regionalregierung und der irakischen Zentralregierung ganz oben auf der Tagesordnung. Insbesondere die Fragen, wie die Probleme gelöst werden können, ob und wie die Beamten bezahlt werden, die Grenzproblematik und die umstrittenen Gebiete bestimmten die Tagesordnung. Mit den Angriffen des türkischen Staates auf Efrîn änderte sich die Tagesordnung der Parteien und insbesondere der Bevölkerung grundlegend.

Jeder Ort in Südkurdistan wurde zu einem Efrîn

Nun dauern die Angriffe des Erdoğan-Regimes auf Efrîn schon 16 Tage an. Seit dem Beginn der Angriffe bis heute bestimmen trotz der großen eigenen Probleme in Südkurdistan die Angriffe auf Efrîn die Tagesordnung. Viele Menschen fragen sich, wie man Efrîn unterstützen kann, was man für Efrîn tun kann und wie man zeigen kann, das Efrîn nicht allein ist. Die Bevölkerung ist seit dem Beginn der Angriffe überall auf den Beinen. Von Pencwin bis Selehaddin, von Raperin bis Zaxo oder Germiyan, von Helepçe bis Hewlêr, überall finden in den Städten, Dörfern und Siedlungen Unterstützungsaktionen für Efrîn statt. Seit Beginn der Angriffe hat die Bevölkerung durch sehr viele verschiedene Aktionen gezeigt, dass sie mit Efrîn zusammensteht. Die Jugend von Seyid Sadiq ist mit einer 12 Meter langen grün-gelb-roten Fahne, dem Symbol von Rojava, bis nach Silêmanî gelaufen und hat gezeigt, dass Efrîn nicht allein ist. In Silêmanî und in Hewlêr fanden zwei große Demonstrationen statt. Neben den Demonstrationen und Kundgebungen finden täglich sehr viele verschiedene Aktionen zur Unterstützung Efrîns statt. In Helepçe haben die Dozentinnen und Dozenten der Raperin-Universität erklärt, dass sie für Efrîn stehen und sie, wenn nötig, bereit seien, in den Widerstand nach Efrîn zu gehen.

Der Widerstand von Efrîn hat ein Gefühl nationaler Einheit geschaffen

Die Bevölkerung Südkurdistans hat den Geist des Widerstands von Efrîn für sich angenommen und in Hewlêr und Silêmanî Efrîn-Unterstützungskomitees gegründet, an denen sich auch Intellektuelle, Schriftsteller*innen und Vertreter*innen politischer Parteien beteiligen. Diese Komitees haben Aktionspläne für Efrîn vorbereitet. Auf diese Weise bemüht man sich zu zeigen, dass Efrîn nicht allein steht. Die Gedichte und Erzählungen, die die Schriftsteller*innen und Intellektuellen und Poeten für Efrîn geschrieben haben, werden auf den Plätzen von Silêmanî und Hewler vorgetragen. Sie rufen die Jugendlichen, die sich um sie versammeln, auf: „Worauf wartet ihr, der Rosengarten unseres Landes wird angegriffen, sie wollen ihn besetzen, warum geht ihr nicht hin und beteiligt euch am Widerstand.“

Die Bevölkerung versammelte sich vor dem kurdischen Parlament in Hewlêr und forderte, sich zu Efrîn zu verhalten und einen Nationalkongress durchzuführen. Deshalb war das Parlament vor vier Tagen dazu gezwungen, Entscheidungen in dieser Hinsicht zu treffen. Aufgrund der Entscheidungen des Parlaments hat die Botschaft der Türkei in Hewlêr die PDK und einige Personen aus dem Parlament bedroht. Der Parlamentspräsident nahm gegenüber den Drohungen des türkischen Staates Stellung, indem er sich entschuldigte: „Wir waren gezwungen, diese Entscheidungen zu treffen. Hätten wir diese Entscheidungen nicht getroffen, hätte das Volk von Südkurdistan uns gesteinigt und uns nicht mehr ins Parlamentsgebäude gelassen.“ Auf diese Weise brachte er die Realität des Widerstands der Bevölkerung von Südkurdistan deutlich zum Ausdruck.

In Südkurdistan gingen in jeder Stadt und in jedem Dorf die alten Peşmerge auf die Straße und solidarisierten sich mit dem Widerstand von Efrîn. Sie riefen laut, „Schaut nicht auf unser Alter, schaut nicht auf unsere Köpfe, wir sind bereit, in die erste Reihe zu gehen, um Efrîn zu verteidigen.“ Der Geist der nationalen Einheit, der mit Kobanê begann, konkretisierte sich mit den Angriffen Erdoğans und seiner Söldner auf Efrîn. Sie sagen, wenn die Bevölkerung von Südkurdistan immer mit einer Stimme gesprochen hätte, dann wäre Kerkûk nicht verloren gegangen und es gäbe heute keinen Angriff auf Efrîn. Die Menschen in Südkurdistan sagen, hier ist keine Revolution, die Revolution ist in Rojava und Nordsyrien. Die Augen und Hoffnungen aller Kurdinnen und Kurden sind dorthin gerichtet, deswegen wird der Angriff auf Efrîn wie ein Angriff auf Silêmanî, Hewlêr, Zaxo, Duhok, Amed, Sine und Mahabad aufgefasst. Der Widerstand von Efrîn hat einen Geist der nationalen Einheit geschaffen.

Die politischen Parteien stehen unter Druck

Während die Bevölkerung Südkurdistans den Widerstand von Efrîn als den ihren annimmt, geraten die politischen Parteien immer weiter unter Druck und sind dazu gezwungen, sich zu verhalten. Während sie dies einerseits tun, versuchen sie andererseits die Probleme mit der irakischen Zentralregierung auf Versammlungen zu lösen. Bis jetzt haben diese Treffen zu keinen Ergebnissen geführt, die der Erwähnung wert seien. Die kurdischen Parlamentarier*innen, die zuvor ein Treffen mit dem irakischen Premierminister Abadi verlassen hatten, haben sich in den letzten Tagen wieder mit ihm zur Lösung der Probleme getroffen.

Die Zentralregierung von Bagdad hatte 261 Millionen Dollar an die südkurdische Regionalregierung gesendet, diese hatte allerdings erklärt, dass sie nicht wisse, wofür sie das Geld erhalten habe. Während also einerseits die Treffen weitergehen, bereitet man sich andererseits schon auf die Regionalwahlen vor.

Im Rahmen der Wahlvorbereitungen haben sich unter den kurdischen Parteien und Organisationen neue Allianzen gebildet und Listen werden erarbeitet, auf denen diese Parteien gemeinsam antreten. Vor einer Weile haben Gorran, Komelî Îslamî und Demokratie und Gerechtigkeit eine Allianz für die regionalen und die allgemeinen Wahlen gebildet. Vor etwa einer Woche unterzeichneten auch die „Bewegung der neuen Generation“, Tevgera Azadî und Bereya Demokrasiya Gel eine Allianz zwischen Parteien und Bewegungen. Die Haltung der YNK und der PDK hat sich noch nicht klar gezeigt. Zwar erklärt die PDK, dass sie nicht an den Wahlen in Kerkûk teilnehmen wird, es gibt jedoch gegenteilige Informationen. Die YNK hat ihre Haltung bezüglich der Wahlen aufgrund interner Konflikte noch nicht deutlich gemacht. Allerdings wurde in den letzten Tagen bekannt, dass sie mit der Arabischen Koalition der Region Selahaddin eine Allianz eingehen will. Mele Kerim Şükür, der YNK-Verantwortliche der Region Hemrin, hat erklärt, dass seine Partei mit der arabischen Koalition in der Umgebung von Xurmatu zur Wahl antreten wird. Die YNK, die in der Provinz Selahaddin eine Allianz mit der Liste der Arabischen Koalition eingegangen ist, hat für die allgemeinen Wahlen von Südkurdistan noch nicht entschieden, mit wem und wie sie antreten wird.

Vertreibung der kurdischen Bevölkerung und der Räumung von Dörfern dauern an

Während in Südkurdistan der Geist des Widerstands von Efrîn vorherrscht, kommt mit den Wahlallianzen allerdings auch das Andauern der Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus der Region Kerkûk durch Erdoğans turkmenische ITC-Milizen auf die Tagesordnung. Die ITC, die Häuser von Kurd*innen in Kerkûk markiert hat und die kurdische Bevölkerung unter Druck setzt, hat in Dörfern in der Gemeinde Sergaran, unter anderem in Palkane, damit begonnen, der kurdischen Bevölkerung Ultimaten zu setzen, damit sie die Region verlässt. ITC-Mitglieder drangen in Palkane ein, gaben sich als Beduinen aus und forderten von der kurdischen Bevölkerung, ihre Häuser binnen 72 Stunden zu verlassen. Die Kurd*innen von Palkane waren zuvor schon von Saddam vertrieben worden und hatten sich 2003 wieder dort angesiedelt. Dies zeigt deutlich, dass der türkische Staat parallel zur Besetzung Efrîns auch versucht, Kurd*innen aus bestimmten Bereichen in Südkurdistan zu vertreiben. Die Bevölkerung von Südkurdistan ist sich dieser Pläne bewusst und deshalb jetzt mehr denn je bereit, gegen die Besetzung durch den türkischen Staat Widerstand zu leisten. Sie ist sich der Notwendigkeit bewusst geworden, diese Besatzungspläne der Türkei scheitern zu lassen.