Angehörige von Guerillakämpfern sollen Schadensersatz zahlen

Die Angehörigen von gefallenen Guerillakämpfer*innen werden vom türkischen Staat auf allen Ebenen angegriffen. Neben der Schändung von Leichen und der Zerstörung von Gräbern werden die Familien vom Staat auf Entschädigung verklagt.

Die Angriffe auf die Körper und Gräber gefallener Guerillakämpfer*innen stellen ein zentrales Mittel der psychologischen Kriegsführung des türkischen Staates dar. Der Wille der Angehörigen und der Bevölkerung soll so gebrochen werden. Eine neue, gegen die Angehörigen von Gefallenen gerichtete Praxis des Regimes ist der Weg der Zivilklage.

Familien sollen „Schadensersatz für die Beschädigung von Staatseigentum“ zahlen

Die Familien von gefallenen Guerillakämpfer*innen werden auf Schadensersatz für in Gefechten oder bei Aktionen, an denen ihre Söhne oder Töchter nach Geheimdienstinformationen beteiligt gewesen sein sollen, verklagt. Es geht um „Schadensersatz für Staatseigentum“. Auch für Verletzungen von Soldaten und Sicherheitskräften sollen die Familien zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Der Anwalt Muhittin Muğuç ist mit einem solchen Fall betraut und erklärt das Vorgehen des Regimes.

Präzedenzfälle eine neuen Repressionspraxis

Der Rechtsanwalt berichtet, dass die Familien eine Weile nach dem Tod ihrer Söhne oder Töchter vom Innenministerium oder der Kommandantur der Militärpolizei (Jandarma) verklagt werden. Bei den im Moment stattfindenden Verfahren handele es sich um Präzedenzfälle. Muğuç führt dazu aus: „Nachdem die Söhne oder Töchter dieser Familien gestorben sind, wird gegen sie wegen Gefechten, an denen sie teilgenommen haben sollen, wegen entstandenen Sachschäden geklagt. Denn gepanzerte Fahrzeuge oder ähnliches Gerät können bei einer Explosion oder einem Gefecht beschädigt worden sein. Die Angehörigen werden auch im Falle von Verletzungen, Todesfällen oder notwendigen Behandlungen von Militärpersonal, das an diesen Gefechten teilgenommen hat, verklagt. Dieses Verfahren ist ohne Vorankündigung eingeführt worden.”

Verfahren stützen sich auf Vermutungen und Spekulationen“

Muğuç erklärt, dass die Prozedur gegen die Verfahrensordnung verstößt: „Um ein Verfahren zu eröffnen, muss eine unrechtmäßige Tat dargelegt werden. Darüber hinaus ist es notwendig, das auf Grundlage harter und präziser Fakten zu stützen. In dem Fall, den ich bearbeite, gibt es nichts konkretes. Es ist eher eine Klage, die auf Vermutungen und Spekulationen basiert. Es handelt sich um eine sehr neue Praxis. Solche Verfahren wurden erst in den letzten drei bis vier Jahren eröffnet. Jetzt fragen sich eigentlich alle: ‚Wie kann es sein, dass von der Familie eines Verstorbenen nach dessen Tod eine Entschädigung verlangt wird?‘ So etwas gibt es zwar im türkischen Gesetzbuch, aber bis heute hat es das niemals in der Praxis gegeben, deshalb betrachten wir das Vorgehen als rechtsfremd.“

Wir werden weiterhin Einspruch erheben“

Über die Höhe der Forderungen sagt der Anwalt: „Es gibt in unserem Verfahren drei Familien und ich vertrete nur eine davon. Im Moment werden 13.000 Lira von ihnen (ca. 1370 Euro) verlangt. Diese Summe wird sich jedoch später erhöhen, wenn zusätzliche Kosten wie die Deckung von Anwaltskosten und so weiter anfallen. Die Akte wird im Moment geprüft. Die Einsprüche des Rechtsbeistands der anderen Familien werden ebenfalls geprüft. Von einer widerrechtlichen Handlung, einer konkreten Straftat oder einer Kausalität kann keine Rede sein. Wir werden weiterhin Einspruch erheben. Auf der Grundlage von Vermutungen und Kommentaren kann keine Entscheidung getroffen werden.“