Ein Bündnis aus politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Nordkurdistan warnt mit Blick auf den Angriff von Truppen der PDK gegen die Guerilla vor einer Neuauflage des Birakujî. „Wir mahnen die Verantwortlichen zur Zurückhaltung. Ein neuer ‚Bruderkrieg‘ hätte für alle Kurdinnen und Kurden existenzielle Folgen“, sagte Berdan Öztürk, Abgeordneter der Grünen Linkspartei (YSP) im türkischen Parlament und Ko-Vorsitzender des Graswurzelbündnisses „Demokratischer Gesellschaftskongress“ (KCD), am Freitag in Amed (tr. Diyarbakır). Explizit rief er die PDK zur Verantwortung und Parteinahme für ihr eigenes Volk anstelle des türkischen Staates auf.
Berdan Öztürk (MA)
Hintergrund des Appells ist die Sorge um einen erneuten Krieg zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK). Am Donnerstag hatten PDK-Truppen, die am Abend zuvor in die nordöstlich von Hewlêr liegende Gemeinde Sîdekan verlegt worden waren, Stellungen der Guerilla in Gewriya Zînê angegriffen. Nach dem Angriff brachen Gefechte aus, die Lage blieb angespannt. Der KCD und weitere Bündnismitglieder befürchten, dass sich der von Hewlêr ausgehende Konflikt mit der kurdischen Befreiungsbewegung wieder zuspitzen könnte.
„Mit aller Kraft gegen einen Krieg unter Geschwistern“
„Das kurdische Volk befindet sich in einem Prozess, der große Gefahren, aber auch historische Chancen für unsere Freiheit in sich birgt. Dieser Prozess und seine Bedingungen haben uns allen die Verantwortung auferlegt, unsere Errungenschaften und die Freiheit zu schützen. Alle, die den Willen unseres Volkes, seinen Platz auf der Bühne der Geschichte frei einzunehmen, als ihren eigenen begreifen und verwirklichen möchten, müssen mit dieser Sensibilität handeln“, erklärte Öztürk. Ein innerkurdischer Krieg und die damit einhergehende Aufhebung der kurdischen Errungenschaften seien nicht hinnehmbar. „Gerade in einer Zeit, in der Kurdinnen und Kurden von allen vier Seiten angegriffen werden und regionale und globale Akteure unsere Erfolge beseitigen möchten, werden wir uns mit aller Kraft gegen einen Krieg unter Geschwistern wenden. Wir, die wir uns seit vielen Jahren um eine nationale Einheit bemühen, fordern diejenigen, die zu verantworten haben, dass wir in einen gewalttätigen Konflikt getrieben werden, dazu auf, sich eindringlich für die Interessen ihres Volkes einzusetzen“, so der kurdische Politiker.
Traumatische Auswirkungen innerkurdischer Kriege in der Vergangenheit
Die Auswirkungen der Zerstörung, Verwüstung und Traumata, die innerkurdische Kriege in der Vergangenheit verursacht haben, seien bis heute zu spüren. „Heute wie damals wird sich dieser Konflikt in erster Linie für jene Kräfte vorteilhaft auswirken, die das kurdische Volk als Verlierer sehen, es unterjochen und in die Statuslosigkeit verdrängen wollen“, betonte Öztürk. Es bestehe kein Zweifel, dass es die Feinde der Kurdinnen und Kurden seien, die sich nun die Hände reiben würden und versuchten, die kurdischen Kräfte gegeneinander auszuspielen. „Wie schon in der Vergangenheit werden auch heute die einzigen Verlierer des Birakujî das kurdische Volk und all diejenigen sein, die in seinem Namen Politik machen. In diesem Zusammenhang appellieren wir an die PDK, die schon viel zu lange in Partnerschaft mit der Türkei agiert und eine Stütze der antikurdischen Politik der AKP ist, verantwortungsbewusst zu handeln und von der destruktiven Rolle, die sie in der Vergangenheit eingenommen hat, Abstand zu nehmen.“
„Das kurdische Volk hat ein Recht auf Frieden und Freiheit“
Weiter erklärte Berdan Öztürk: „Das kurdische Volk hat sowohl vor als auch nach der durch die von den Besatzungsmächten gezogenen künstlichen Grenzen erfolgte Vierteilung Kurdistans Widerstände geführt, die für die ganze Welt beispielhaft sind. Jeder dieser Kämpfe hat in seiner Zeit und in seiner Umgebung große Veränderungen hervorgerufen und stellt wichtige Erfahrungen auf dem Weg zur Freiheit dar. Nach all diesen Kämpfen, nach all diesen Kosten und zu einem Zeitpunkt, an dem das kurdische Volk so nahe dran ist, Frieden und Freiheit zu erlangen, die es verdient, werden diejenigen, die Instrumente der Politik der kolonialistischen Staaten sind, nichts weiter sein als ein unauslöschlicher schwarzer Fleck in der Geschichte. Unser Volk wird denjenigen, die versuchen, nach den Wünschen und Vorgaben der Regionalmächte, die Kurdistan seit hundert Jahren als eine Kolonie betrachten, einen weiteren Birakujî anzuzetteln, nicht verzeihen. Wir appellieren an die Verantwortlichen, mit moralischer, gewissenhafter und historischer Verantwortung zu handeln, um nicht erneut in einer solch unheilvollen und zerstörerischen Rolle vor unser Volk zu treten.“
Demonstration zur Grenze angekündigt
Aus Protest gegen die Provokation der PDK wollen der KCD, die Partei DBP, die Frauenbewegung TJA, der Rat der Friedensmütter, der Gefangenenhilfeverband MED-TUHAD FED und der Solidaritätsverein der Familien der Gefallenen (MEBYA-DER) am Samstag eine Demonstration in Şirnex (Şırnak) durchführen. Der Protestzug soll bis zum türkisch-irakischen Grenzübergang im Landkreis Silopiya gehen. Nach Angaben von Berdan Öztürk werden sich unter anderem die DBP-Vorsitzenden Saliha Aydeniz und Keskin Bayındır sowie mehrere YSP-Abgeordnete beteiligen. Auch aus benachbarten Provinzen wie Mêrdîn, Sêrt, Êlih und Amed erwartet das Bündnis Teilnehmende.