Şengal: Aufruf zum Zusammenhalt gegen türkische Bedrohung
Ezidische Stammesälteste und Glaubensvertreter haben in Şengal zum Zusammenhalt gegen die drohende Invasion der Türkei aufgerufen.
Ezidische Stammesälteste und Glaubensvertreter haben in Şengal zum Zusammenhalt gegen die drohende Invasion der Türkei aufgerufen.
In Şengal sind die ezidischen Parteien zum Zusammenhalt gegen die drohende Invasion der Türkei aufgerufen worden. Junge Menschen wurden aufgefordert, sich im Fall eines Besatzungsangriffs an der Verteidigung des ezidischen Siedlungsgebiets in Südkurdistan zu beteiligen.
Der Aufruf erfolgte im Namen der Stammes- und Glaubenskomitees im Beisein von Stammesältesten und ezidischen Scheichs vor dem Gefallenenfriedhof „Şehîd Dilgêş und Şehîd Berxwedan“ im Şengal-Gebirge. Verlesen wurde die gemeinsame Erklärung von Dexîl Mirad:
„Als Komitee der Stämme Şengals und Komitee des ezidischen Glaubens verurteilen wir die Drohungen des türkischen Staates. Die Türkei unterstützt Islamisten und will den Irak spalten. Sie will die Şengal-Berge erreichen und die Region besetzen. Mit unhaltbaren Begründungen will sie unseren heiligen Boden besetzen und hier eigene Stützpunkte errichten.
Die Geschichte des Osmanischen Reichs und die Massaker an den dortigen Völkern sind allgemein bekannt. Die Vergangenheit des türkischen Staates ist von Massakern an Minderheiten geprägt. Die Massaker an den Armeniern, den Eziden und den Aleviten sind nur einige davon. Jetzt will die Türkei ein neues Massaker begehen. Sie will Şengal besetzen und die Träume ihrer Vorväter wahr machen.
Als Stammesälteste und als ezidisches Glaubenskomitee fürchten wir uns weder vor den Angriffen des türkischen Besatzerstaates noch vor seinen Partnern. Wir werden den Spuren unserer Ahnen folgen und bis zum letzten Atemzug unseren Boden und das ezidische Volk verteidigen.
Wir appellieren an unser Volk und an unsere Freunde: Lasst uns eine Einheit bilden und unsere Heiligtümer und Şengal zusammen verteidigen. Die politischen Parteien und militärischen Kräften müssen ihrer nationalen Verantwortung nachkommen und sich den Besatzern entgegenstellen. Wir haben bis zuletzt Widerstand gegen die IS-Banden geleistet und das werden wir auch heute tun. Wir werden das ezidische Land nicht verlassen.“
Nach der gemeinsamen Erklärung ergriffen einzelne Persönlichkeiten das Wort und bekräftigten den Aufruf zum Widerstand.
Hintergrund: Türkei bereitet Invasion vor
Die Türkei bereitet eine Invasion in Şengal und wirbt dafür um internationale Unterstützung. Zur Begründung der geplanten Besatzung wird behauptet, dass die PKK in der Region präsent ist.
Als der IS 2014 in Şengal einrückte, zogen sich die rund 12.000 in der Region stationierten Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK und die irakische Armee ohne Vorwarnung zurück und überließen die ezidische Bevölkerung schutzlos dem IS. Für die ezidische Gemeinschaft begann ein systematisches Massaker begleitet von Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten. Wer fliehen konnte, zog sich ins Gebirge zurück. Dort schützten zunächst weniger als ein Dutzend Guerillakämpfer der HPG den Eingang zum Gebirge und verhinderten das Eindringen der Dschihadisten.
Die PKK hatte bereits am 28. Juni 2014 nach einem Aufruf des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan ein zwölfköpfiges Vorabkommando zur Verteidigung von Şengal entsandt. Zwanzig Tage vor dem Massaker nahmen die Peschmerga drei Mitglieder der Gruppe und einen ezidischen Unterstützer fest. Die übrigen Guerillakämpfer zogen auf den Şengal-Berg und begannen mit der Organisierungsarbeit der Jugend. Als am 3. August der IS-Angriff begann, verteidigte eine neunköpfige Guerillagruppe die auf den Şengal-Berg geflohene Bevölkerung.
Die Guerillakämpfer hielten die westlich von Şengal verlaufende Straße von Sinûnê nach Dugirê und verhinderten die Eroberung des Bergs durch den IS. Ezidische Jugendliche schlossen sich der Verteidigung des Berges an. Nachdem die neunköpfige Guerillagruppe mehrere Tage gegen die Angriffe des IS Widerstand geleistet hatte, kamen am 6. August zwei Bataillone der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava den HPG zu Hilfe. Anschließend richteten die YPG/YPJ und die HPG einen Sicherheitskorridor ein, um die zu Hunderttausenden auf den Şengal-Berg geflohenen Eziden nach Rojava zu evakuieren. Über diesen Korridor konnten mit der Zeit mehr als 200.000 Menschen nach Rojava gelangen. So konnte ein noch größeres Massaker verhindert werden. Die YPG/YPJ und HPG kämpften aufopferungsvoll und immer wieder auch unter Verlusten, um diesen „humanitären Korridor“ aufrechtzuerhalten. 100 Kämpferinnen und Kämpfer fielen beim Schutz der Evakuierung der Bevölkerung. Insgesamt wurden beim Şengal-Massaker fast 300 Kämpfer*innen von YPG/YPJ und HPG durch den IS getötet.
Die PKK hat die ezidische Bevölkerung gegen den IS verteidigt und vor dem Genozid gerettet. In den folgenden Jahren hat sie die Ezidinnen und Eziden in die Lage versetzt, sich selbst zu verteidigen und zu verwalten. Im August 2018 sind alle HPG-Einheiten aus Şengal abgezogen worden.