1525-2025: Der vergessene Aufstand der Vielen

Zum 500. Jubiläum des Deutschen Bauernkriegs – und was er uns heute noch bedeutet.

Deutscher Bauernkrieg

„Darum ergibt es sich, dass wir frei sind und wir frei sein wollen.“

So heißt es in Artikel 3 der sogenannten „Zwölf Artikel“, die auf dem Höhepunkt des Bauernkriegs 1525 niedergeschrieben wurden – ein radikales Manifest für Gerechtigkeit, formuliert von Bäuer:innen in Süddeutschland. 500 Jahre später wirken ihre Forderungen überraschend aktuell: Das Recht, gehört zu werden. Die Ablehnung von Willkürherrschaft. Die Sehnsucht nach Teilhabe.

Und doch: In der deutschen Erinnerungskultur spielt dieser größte Aufstand des „einfachen Volkes“ eine erstaunlich kleine Rolle. Während Revolutionen anderswo sehr präsent sind – etwa 1789 in Frankreich oder 1917 in Russland – bleibt der Bauernkrieg meist ein Kapitel für Fachhistoriker:innen.

Dabei war der Deutsche Bauernkrieg mehr als eine Revolte: Er war der erste großflächige Versuch in Mitteleuropa, eine egalitäre, selbstverwaltete Gesellschaft zu erstreiten – mit radikaler Forderung nach Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Mitbestimmung von unten. Und ein Beweis für den immerwährenden Kampf um eine demokratische Gesellschaft.

Die Geschichte eines Aufstands

Im Frühjahr 1525 erhob sich ein großer Teil der Landbevölkerung im Süden des Heiligen Römischen Reiches. Vom Bodensee bis in den Thüringer Wald, von Franken bis ins Elsass formierten sich sogenannte Bauernhaufen. Die Bauernhaufen orientierten sich an der taktischen Struktur der damaligen Landsknechtheere – viele Beteiligte hatten dort bereits gekämpft und brachten militärische Erfahrung mit.

Anders jedoch als bei den Landsknechten wählten die Bäuer:innen oftmals ihre eigenen militärischen Vorgesetzten. Durch Knochenfunde ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass auch Frauen in diesen Haufen mitkämpften. Ein Haufen konnte aus mehreren Hundert bis Tausenden Menschen bestehen – getragen von einer neuen Idee: Dass Gott alle Menschen gleich geschaffen habe – und dass weltliche Herren, die unterdrückten, nicht im Sinne Gottes handelten.

Ein zusätzlicher Motor war die soziale und wirtschaftliche Notlage: steigende Abgaben, Willkürjustiz und der Verlust gemeinschaftlicher Rechte. Dazu gehörten willkürliche Abgaben an Kirche oder Lehnsherren, die Verweigerung, bei Todesfällen Höfe und Felder an Hinterbliebene zu übergeben, sowie das neu eingeführte römische Recht, das die traditionellen Dorfgerichte ersetzen sollte.

Begünstigt durch die Reformation und den Buchdruck bekamen immer mehr Menschen Zugang zur Bibel – und begannen, die Autorität der Kirche, aber auch die Macht des Adels zu hinterfragen. Die Bäuer:innen organisierten sich – koordiniert über Flugblätter, Predigten und heimliche Treffen.

Dabei ist es wichtig, den Begriff „Bäuer:innen“ differenziert zu betrachten. Denn tatsächlich umfasste die Bewegung den gesamten 3. Stand der feudalen Gesellschaft – dazu zählten nicht nur Kleinbäuer:innen, sondern auch Großbäuer:innen, Handwerker:innen, Arbeiter:innen, Vagabund:innen oder religiöse Außenseiter:innen (sogenannte Häretiker:innen).

Besonderheiten der „Bauernbewegung“

Erstens wurden die aktiven Haufen oft von Arbeiter:innen der Reichsstädte mit Proviant, Waffen und sogar Kanonen unterstützt. Zweitens schlossen sich einzelne Landsknechte der Bewegung an – viele von ihnen waren selbst Bäuer:innen oder stammten aus dem dritten Stand. Drittens: Bei den Vagabund:innen – einer libertären, mobilen Bewegung – und den Häretiker:innen, die häufig religiöse Gruppen außerhalb kirchlicher Dogmen bildeten, waren Frauen vielfach in zentralen Rollen aktiv.

Wenn wir also über die Bauernbewegung sprechen, dürfen wir sie nicht als homogene Gruppe verstehen. Unterschiedliche soziale Hintergründe, verschiedene Geschlechter, divergierende Zielsetzungen. Während viele lediglich eine Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse abwenden und Abgaben senken wollten, stellten andere die gesamte gesellschaftliche Ordnung infrage. Ihre gemeinsamen Forderungen, festgehalten in den „Zwölf Artikeln“, gelten heute als eine der frühesten programmatischen Menschenrechtserklärungen Europas.

Weißenauer Chronik des Bauernkrieges von 1525. Fürstlich Waldburg-Zeil'sches Gesamtarchiv, Schoss Zeil, ZA Ms 54. Seiten 14–15: Flucht des Abtes und der Mönche aus dem von aufständischen Bauern bedrohten Kloster Weißenau | gemeinfrei

Doch der Aufstand wurde – nach wenigen Monaten und einigen Scheinverhandlungen – brutal niedergeschlagen. Zwischen 70.000 und 100.000 Menschen wurden getötet, viele davon ohne bewaffneten Widerstand. Die repressiven Strukturen blieben nicht nur bestehen – sie wurden vielerorts sogar verschärft.

Zwischen Emanzipation und Verrat

Ein zentraler Impulsgeber der Bewegung war die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther. Seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und die nun auf Deutsch gehaltenen Predigten verbreiteten die Vorstellung, dass alle Menschen gleich seien.

Doch Luther meinte dies nur in spiritueller Hinsicht – nicht im Hinblick auf die weltliche Ordnung oder gar soziale Gleichheit.

So kam es zu einer bitteren Wendung: Zunächst äußerte Luther Verständnis für die Beschwerden der Bauern – doch als deren Bewegung eine eigene Dynamik entwickelte, wandte er sich mit scharfer Ablehnung gegen sie. In seiner berüchtigten Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ rechtfertigte er die brutale Niederschlagung des Aufstands.

Ein Beispiel dafür, wie schnell Bündnisse zwischen sozialen Bewegungen und kulturellen Eliten zerbrechen können – ein Thema, das bis heute aktuell ist.

Was bleibt?

In linken, liberalen und sozialdemokratischen Traditionen wurde der Bauernkrieg immer wieder als Vorläufer moderner Protestbewegungen gedeutet – etwa von Friedrich Engels, der ihn 1850 in seiner „Bauernkriegsanalyse“ als Frühform des Klassenkampfs beschrieb. In der DDR wurde Thomas Müntzer zur revolutionären Heldenfigur stilisiert. In Westdeutschland dagegen blieb der Bauernkrieg lange Zeit randständig – zu unbequem, zu „volksnah“, zu widerspenstig für ein konservatives Geschichtsbild.

Auch rechtsextreme und nationalistische Bewegungen versuchten, den Bauernkrieg ideologisch zu vereinnahmen – etwa durch die Umdeutung des Lieds ‚Greyers Schwarzer Haufen‘. Solche Rückgriffe zeigen, wie umkämpft historische Erinnerung ist – und wie wichtig eine kritische, emanzipatorische Deutung bleibt.

Der Bauernkrieg ist mehr als eine historische Fußnote. Er zeigt, dass gesellschaftlicher Wandel nicht von oben, sondern von unten kommt. Dass Menschen, wenn sie sich zusammenschließen, Geschichte schreiben können – auch wenn sie dabei scheitern.

Ein realistisches Erinnern aber bedeutet auch: Der Großteil der Beteiligten waren keine Revolutionär:innen im heutigen Sinn. Innerhalb der Bewegung gab es sehr unterschiedliche Weltanschauungen und Ziele. Ein Teil der Bewegung wollte lediglich die bestehende Ordnung abmildern – andere jedoch forderten eine tiefgreifende Neuordnung der Gesellschaft.

Lehren für die Gegenwart

In Zeiten wachsender sozialer Ungleichheit, des Vertrauensverlusts in politische Institutionen und einer neuen Protestkultur von unten – Klimabewegung, soziale Initiativen, Streiks im Care-Sektor – wirkt der Bauernkrieg wie ein fernes, aber erhellendes Echo:

Wie organisieren sich Menschen ohne politische Macht? Was passiert, wenn ihre Anliegen ignoriert werden? Wie reagieren Eliten – mit Dialog oder mit Repression?

Auch heute stellt sich die Frage, ob Demokratie mehr ist als ein Wahlsystem – ob sie nicht vielmehr tägliches Ringen um gerechte Teilhabe, soziale Sicherheit und ein Leben in Würde bedeutet.

Besonders bemerkenswert ist die Rolle von Frauen innerhalb der Bewegung – sowohl als Kämpferinnen in den Haufen als auch als tragende Akteurinnen in religiösen und sozialen Netzwerken. Ihre Beteiligung verweist auf frühe Ansätze einer Geschlechtergerechtigkeit, die in aktuellen progressiven Theorien, wie die des demokratischen Konföderalismus, eine zentrale Bedeutung hat.

In dieser Perspektive ist der Bauernkrieg nicht nur ein gescheiterter Aufstand – sondern ein früher, mutiger Versuch, für genau diese Werte zu kämpfen. Und es spielt keine Rolle, ob dies unter dem Begriff „Demokratie“ geschah – das Wort war damals in dieser Region kaum bekannt. Der Drang nach Freiheit, nach Befreiung von Unterdrückung und nach Selbstorganisation liegt im Menschen – und muss immer wieder neu erkämpft werden.

Ein Aufstand, der weiterwirkt

1525 war ein Revolutionsjahr, das wie ein Funke sozialer Gerechtigkeit aufleuchtete.

Vielleicht ist das 500. Jubiläum ein Anlass, sich daran zu erinnern – nicht nur als Geschichtsstunde, sondern als Einladung zur Auseinandersetzung: mit Macht und Ohnmacht, mit Rechten und Pflichten, mit dem Mut, sich einzumischen.

Die Idee einer dezentralen, solidarischen Gesellschaft – wie sie sowohl im deutschen Bauernkrieg aufschien als auch im demokratischen Konföderalismus Abdullah Öcalans praktiziert wird – könnte als Inspirationsquelle dienen. Nicht als Blaupause, sondern als lebendige Erinnerung daran, dass gesellschaftlicher Wandel oft von unten kommt – und dass echte Demokratie nicht am Wahltag beginnt, sondern im Alltag praktiziert wird.


Titelbild: Episode aus dem Deutschen Bauernkrieg – Graf Helfenstein am Fuße seiner brennenden Burg, von Bauern verhöhnt | Hermann Eichler (1842-1901) | gemeinfrei