Der Xizir-Monat fängt Mitte Januar an und geht bis Mitte Februar. In dieser Zeit begehen Alevitinnen und Aleviten ihr dreitägiges Xizir-Fasten, meist in der zweiten Februarwoche. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nichts verzehrt oder getrunken. Abends wird gemeinsam mit der Familie oder innerhalb der Gemeinde das Fasten gebrochen. Anders als beim Muharrem-Fasten wird hier nicht auf Wasser und tierische Produkte nach Sonnenuntergang verzichtet.
Am Abend des letzten Tages wird das Fasten zusammen in der Gemeinde gebrochen. Alle kommen zusammen, die Loqma, also Gaben (tr. „Lokma“), werden gesammelt, es werden Geschichten über Xizir erzählt und meditative Lieder gesungen, meist begleitet von der Tembûr (Saz). Es ist Brauch, am Vorabend eine Speise aus Weizenmehl und Wasser anzurühren, wie das Brot Niyaz, und diese über Nacht offen stehen zu lassen. Auch wird Kavut zubereitet, eine Speise aus geröstetem Weizen, die je nach Region auch Honig und Walnuss enthält. Wünsche werden ausgesprochen und man hofft, dass Xizir über Nacht von der Gabe kostet oder ein Zeichen des Segens darauf hinterlässt.
Fasten für einen Schutzpatron
Hinterlässt Xizir ein Zeichen, erwarten die Familie Segen und Glück und die Erfüllung ihrer Wünsche. Die Gaben werden dann zum Fastenbrechen in der Gemeinschaft geteilt. Dabei versucht man von so vielen Speisen wie möglich zu kosten, um vielleicht von einer zu essen, die auch wirklich von Xizir gesegnet wurde. Der soziale Gedanke ist bei diesem Fest besonders wichtig.
Xizir und sein Bruder Ilyas sind im Alevitentum Schutzpatronen und Boten von Glück und Wohlstand. Sie symbolisieren die eilende Hilfe in Notsituationen und erlangten das ewige Leben, nachdem sie das „Wasser der Unsterblichkeit“ tranken. Xizir kommt dem Glauben zufolge den Hilfsbedürftigen zu Lande zur Hilfe, Ilyas hingegen denen zur See.
Über ihre mythologische Persönlichkeit gibt es viele Erzählungen und Legenden, die weit verbreitet sind. Nach einer dieser Erzählungen eilte Xizir das erste Mal niemanden geringerem als Noah zur Hilfe herbei. Nachdem die Arche einem dreitägigen Sturm standhielt, fasteten die Geretteten als Zeichen der Dankbarkeit drei Tage lang. In dieser und weiteren Überlieferungen kam Xizir stets in wechselnder Menschengestalt zum Fastenbrechen und bat um Essen.
Gedenken an Erdbebenopfer
In Wien wurde das Xizir-Fastenbrechen im alevitischen Kulturzentrum gefeiert. Die Zeremonie begann mit einer Rede des Vorstands, in der den tausenden Opfern der verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet gedacht wurde. Anschließend ergriff der Pîr, der religiöse Würdenträger, dessen Kernaufgabe das Leiten der Cem-Zeremonie ist, das Wort. Alevitinnen und Aleviten glauben, dass in jedem Menschen göttliche Kraft steckt. Daher spielt die Gleichberechtigung aller Menschen für sie eine sehr große Rolle. Das gilt auch für alle Teilnehmenden und alle Teile des Cem. Cem bedeutet wörtlich „Zusammenkommen“.
Deshalb holt der Pîr zu Beginn des Cem das Einvernehmen der Anwesenden ein. Anschließend fragt er die Gemeinschaft nach ihren Anliegen, Konflikten und Problemen. In solchen Aussprachen wird der Cem fast zu einem Gericht, denn dort bekennen sich Teilnehmende auch zu schlechten Taten. Die Gemeindemitglieder sitzen im Halbkreis um den Pîr, in einer gleichberechtigten Sitzordnung. So können sich alle gleich gut sehen und beteiligen und es gibt weder ein Anfang noch ein Ende.
Im Anschluss folgte das Semah, ein wichtiger Teil des Cem. Bei diesem Gebet drehen sich die Alevitinnen und Aleviten zu den Klängen der Tembûr, das kurdische Wort für Langhalslaute, im Kreis. Auch verschiedene Rituale und religiöse Gesänge gehören zum Cem. Die Themen sind dabei immer wieder Nächstenliebe, Gleichberechtigung und Einheit. Sie sollen alle Teilnehmenden daran erinnern, sich im Alltag fair und hilfsbereit zu verhalten.