„Nachtigall von Amed“ Seyidxanê Boyaxcî gestorben

Der kurdische Bardensänger Seyidxanê Boyaxcî ist im Alter von 87 Jahren in Amed gestorben. Die „Nachtigall von Amed“ litt zuletzt an Lähmungen infolge einer Infektion.

Die „Nachtigall von Amed“ Seyidxanê Boyaxcî ist im Alter von 87 Jahren in seiner Wohnung in Amed (türk. Diyarbakir) gestorben. Der kurdische Dengbêj litt zuletzt an Lähmungen, die durch Entzündungen der Nerven und Muskeln infolge einer Infektion verursacht wurden. Die Beisetzung soll auf dem Yeniköy-Friedhof im Bezirk Rezik (Bağlar) stattfinden.

Seyidxanê Boyaxcî, der bürgerlich Seydo Şimşek hieß, kam 1933 im Dorf Lexerî in Erxenî (Ergani) auf die Welt. Als er zwei war, starb seine Mutter. Mit vier Jahren wurde er infolge des Todes seines Vaters Vollwaise und wuchs bei einem Onkel auf. Seine Kindheit verbrachte er als Hirte, statt in der Schule. Mit 15 zog er ins Zentrum von Amed und verdiente seinen Lebensunterhalt als Schuhputzer im Altstadtbezirk Sûr. In seinen 25 Jahren als Schuhputzer arbeitete er auch eine Weile für die Stadtreinigung.

Seyidxanê Boyaxcî hätte fast keine Nachkommen gehabt: Sieben seiner Kinder starben kurz nach ihrer Geburt an Krankheiten. In einem Interview sagte er: „Andere wären an diesem Leid zerbrochen. Ich hatte das Glück, Trost in meinen Liedern zu finden. Denn die Dengbêj-Kultur ist nichts anderes als eine große Liebe.“ Lange Jahre verbrachte er seine Tage im Dengbêj-Haus in Sûr und besang in seinen Liedern das Freud und Leid der Kurden – und überlieferte jüngeren Generationen die kurdische Geschichte. 2016 musste das Gebäude geräumt werden, als die Stadt erstmals unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt wurde. Zuvor war es infolge der türkischen Militärbelagerung beschädigt worden. 2017 wurde das Dengbêj-Haus wiedereröffnet.

Seyidxanê Boyaxcî im Dengbêj-Haus in Amed, Datum der Aufnahme unbekannt

Was sind Dengbêj?

Dengbêj (Barden) werden im Kurdischen die Sängerinnen und Sänger genannt, die historische Begebenheiten und Mythen in einem für die Dengbêj-Kunst spezifischen Sprechgesangsstil vortragen. Die Erzählkunst der Dengbêj hat einen wichtigen Platz in der kurdischen Geschichte und Kultur, denn die Tradition der Barden ermöglicht die Übertragung des kurdischen Kulturerbes von Generation zu Generation. Die Gesangskunst der Dengbêj ist immer noch so lebendig, dass auch heute persönliche und politische Ereignisse in Lieder gefasst werden.

Das aus deng (Stimme) und bêj (sagen, sprechen) zusammengesetzte Wort Dengbêj definiert eine Person, die es ermöglicht, das geschriebene Wort auf eine harmonische Art und Weise auszusprechen. Gewöhnlich wandern diese kurdischen Barden durch das Land und verdienen ihren Lebensunterhalt durch das Singen von märchenhaften Erzählungen, historischen Epen, Klageliedern, Gebetshymnen oder auch Volksliedern, die bei den Dengbêj Klam genannt werden. In gewisser Weise sind sie auch Historiker und bedeutende Vertreterinnen und Vertreter der oralen Kultur, die dazu beigetragen haben, dass die mündliche Literatur der Kurden trotz Unterdrückung der kurdischen Sprache weitergegeben werden konnte.