„Mein ganzes Leben war ein Kampf“ in Hildesheim vorgestellt

Auf dem Literaturfestival Prosanova in Hildesheim ist die Biographie „Mein ganzes Leben war ein Kampf“ von Sakine Cansız vor einem großen und sehr interessierten Publikum vorgestellt worden.

Auf dem Prosanova Festival für junge Literatur in Hildesheim wurde am Samstag aus der Biographie von Sakine Cansız gelesen. Damit verbundene Fragen zur politischen Zensur und Solidarität wurden mit einem großen und sehr interessierten Publikum diskutiert. Als Referentinnen eingeladen waren Leyla Kaya vom Frauenrat Rojbîn in Hamburg, die Internationalistin und Autorin Anja Flach und Esther Winkelmann, die eine Initiative gegen das Verbot des Mezopotamien-Verlags in Deutschland gestartet hat.

Zu Beginn der Veranstaltung wurde Sakine Cansız dem Publikum als „Symbol für Widerstand und für die Frauenbewegung“ vorgestellt und auch der besondere Bezug der Referentinnen zu ihr hervorgehoben. Sowohl Anja Flach als auch Leyla Kaya haben Sakine Cansız persönlich gekannt.

Sakine Cansız war Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der kurdischen Frauenbewegung, sie habe ihr Leben lang gegen die Unterdrückung der Kurd:innen und für die Befreiung der Frau gekämpft, so die Referentinnen. In Hamburg sei sie an der Gründung des kurdischen Frauenrats beteiligt gewesen und habe den Frauen Mut gemacht, sich selbstständig zu organisieren. Am 9. Januar 2013 wurde Sakine Cansız gemeinsam mit Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris durch einen Agenten des türkischen Geheimdienstes erschossen. Die Referentinnen berichteten, dass bis heute niemand für das politische Attentat bestraft wurde.

Nach der kurzen Einführung in das kämpferische Leben von Sakine Cansız lasen die Referentinnen Ausschnitte aus ihren drei autobiographischen Büchern, die nach ihrem Tod unter dem Titel „Mein ganzes Leben war ein Kampf“ in mehreren Sprachen erschienen. Im ersten Teil der Lesung ging es um die ersten Berührungspunkte mit der kurdischen Bewegung und um die Versuche von Sakine Cansız, Frauen zu organisieren. Hierbei sei sie auf viele Hindernisse in der patriarchalen Gesellschaft, sowohl in der Partei als auch außerhalb, gestoßen. Trotzdem beschrieb sie ihre Aktivitäten als „schönste und notwendigste Arbeit“, die sie sich vorstellen konnte.

In dem zweiten Buch beschreibt Sakine Cansız ihre Zeit im Militärgefängnis in Amed (tr. Diyabakır) und über die Zeit nach dem Militärputsch in der Türkei. Es sei jedoch mehr ein Buch über Widerstand als über Folter, so Anja Flach. Vorgelesen wurden auch ihre Gedanken zu dem Verhältnis von Liebe und Revolution, hierbei wurde deutlich, wie groß ihre Liebe zu ihren Genoss:innen war.

Der dritte Band handelt von der Zeit nach ihrer Haftentlassung in Europa, der Parteischule und in den Bergen Kurdistans. Sakine Cansız habe sich dadurch ausgezeichnet, dass sie gegenüber der Bewegung als auch gegenüber sich selbst immer einen kritischen Blick bewahrte, sagten die Referentinnen. In den gelesenen Ausschnitten wurde deutlich, wie sie gegen als falsch empfundene Tendenzen innerhalb der Bewegung kämpfte und sich für Liebe und Achtung unter den Genoss:innen einsetzte. Anja Flach resümierte: „Ihr Leben war wirklich ein ständiger Kampf“.

Im Anschluss an die Lesung fand ein Gespräch über Sakine Cansız und die politische Zensur, welche ihre Bücher betraf, statt. 2018 wurde der Mezopotamien-Verlag in Neuss, in dem auch ihre Bücher erschienen sind, zeitgleich mit dem kurdischen Musikverlag MIR durchsucht. Mit Verfügung vom 1. Februar 2019 verbot das Bundesinnenministerium die auf die Verlegung und den Vertrieb von kurdischer Literatur und Musik spezialisierten Verlagshäuser als angebliche Teilorganisationen der PKK. Das wohl weltweit größte kurdische Musikarchiv sowie die Verlagsbestände, etwa 50.000 Werke, wurden beschlagnahmt. Esther Winkelmann berichtete von der Solidaritätskampagne gegen diese Zensur, die auch zu einer erneuten Veröffentlichung der Bücher führte.

Leyla Kaya schilderte daran anschließend von ihren persönlichen Begegnungen mit Sakine Cansız. Sie sei sehr beeindruckt gewesen von ihrer radikalen Kritik, aber auch von ihrer ständig spürbaren Liebe zu ihren Mitkämpfer:innen. Sie sei sehr liebevoll, aber gleichzeitig diszipliniert und auch manchmal hart gewesen. Anja Flach, die an der deutschen Übersetzung der Bücher mitgearbeitet hat, betonte: „Sakines Tod war eine der schlimmsten Momente in der kurdischen Bewegung.“

In der Diskussion mit dem Publikum wurde über die Bedeutung der Zensur in Deutschland gesprochen. Hierbei wurde nochmal auf die enge und historisch gewachsene Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland hingewiesen. Besonders betont wurde, dass die Philosophie der kurdischen Bewegung, die auf einem frauenbefreienden, ökologischen und basisdemokratischen Ansatz beruht, eine wirkliche Alternative zum System sei und damit auch eine Gefahr für die Herrschenden.