Lichtblick im November
Die PKK feiert ihren 46. Gründungstag. Immer mehr Menschen sehen in der Theorie und Praxis der kurdischen Freiheitsbewegung eine Alternative zur dystopischen Stimmung, die sich allenthalben breit macht.
Die PKK feiert ihren 46. Gründungstag. Immer mehr Menschen sehen in der Theorie und Praxis der kurdischen Freiheitsbewegung eine Alternative zur dystopischen Stimmung, die sich allenthalben breit macht.
„Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation [im ‚auslandsbezogenen Extremismus‘] in Deutschland bleibt weiterhin die ‚Arbeiterpartei Kurdistans‘ (PKK) mit 15.000 Anhängern.“ Das schrieb der deutsche Verfassungsschutz in seinem Bericht für das Jahr 2023 und bezifferte eine Steigerung von 500 Personen gegenüber dem Vorjahr. Wie er auf diese Zahlen kommt, bleibt das Geheimnis des Geheimdienstes. Man darf es getrost ignorieren. Mit der Realität hat das nichts zu tun.
Fakt ist, die PKK feiert ihren 46. Gründungstag und ist längst zu einer Massenorganisation geworden. Dies herauszufinden, braucht es keinen Verfassungsschutz. Die PKK ist eine transnationale Freiheitsbewegung, deren Fahne auf allen Kontinenten weht. Ihre Wirkmacht hat sich längst über Kurdistan hinaus verbreitet. Sie wird beachtet und kritisiert, bewundert und geliebt oder gefürchtet und verfolgt.
Unverkennbar sind die kurdischen Wurzeln der Bewegung. Aber den umfangreichen historischen Analysen des Gründungsmitglieds Abdullah Öcalan und den Konsequenzen, die der kurdische Vordenker daraus für ein gesellschaftliches Zusammenleben zieht, ist es zu verdanken, dass immer mehr Menschen – auch ohne direkten Bezug zu Kurdistan – in der Theorie und Praxis der PKK-Bewegung eine Alternative zur dystopischen Stimmung sehen, die sich allenthalben breit macht.
Wir erleben, wie reihenweise Nationalstaaten nach rechts driften und die Fratze des Faschismus immer sichtbarer wird. Wir spüren, wie die Gier des Kapitals die Ressourcen der Erde aufbraucht, uns der Natur entfremdet und unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir beobachten, wie Rassismus immer höhere Grenzzäune errichten lässt und uns einreden will, nicht alle Menschen seien gleich. Wir hören, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit Blick auf Russland „Kriegstüchtigkeit“ einfordert. Fassungslos blicken wir auf Gaza und verfolgen in den Medien die Erosion humanistischer Werte. Über die türkischen Bomben und das Giftgas, die Kurdistan verwüsten, werden wir hingegen kaum informiert; sie scheinen schon zur Normalität zu gehören.
Wir wollen das nicht. Wir sehnen uns nach einem anderen Leben in einer anderen Welt. Die Suche nach Mitstreitenden auf dem Weg dorthin gestaltet sich schwierig, auch angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen. Warum sollten wir „Repräsentanten“ wählen, die gemeinsame Sache mit Kriegsprofiteuren machen und mit ihren faulen Kompromissen Mitverantwortung tragen für kommende ökologische Katastrophen? Sie repräsentieren uns nicht.
Ein bekanntes Bonmot lautet: Würden Wahlen etwas ändern, wären sie längst verboten. So wie die Arbeiterpartei Kurdistans, die seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt ist und sich schon deshalb nicht zur Wahl für ein Parlament stellen kann – was sie aus guten Gründen auch nicht anstrebt.
Statt gebannt auf eine pseudo-demokratische Abstimmung zu blicken, wer als Nächstes unseren Willen nicht repräsentieren wird, fragen wir besser, wie unsere Sehnsucht gestillt werden kann nach selbstbestimmtem Leben, solidarisch und fröhlich und wieder eins mit der Natur. Klingt nach einem schönen Traum, weit weg von der Realität unseres Alltags? Dennoch wagen wir den ersten Schritt. Was soll schon schiefgehen? Machen wir uns auf die Suche. Vielleicht stoßen wir auf eine Bewegung, mit der wir uns verbünden können.
Wir finden sie nicht auf Wahlplakaten. Manchmal begegnen wir ihr auf Straßen und Plätzen, in Bücherregalen oder beim Gemüsehändler nebenan. Sie ist überall, agiert meist bescheiden im Hintergrund. Wer ernsthaft nach einer Alternative zum depressivem Leben in der kapitalistischen Moderne Ausschau hält, wird über kurz oder lang auf sie stoßen.
Es gibt ein schönes Sprichwort, das in PKK-Kreisen gerne zitiert wird: „Es ist nicht die Kraft des Wassers, die den Stein durchbohrt, sondern seine Beständigkeit.“ Trotz mannigfacher Anfeindungen verfolgt die PKK-Bewegung beharrlich und entschlossen ihren Weg. Mit Geduld und sich jeweils den Gegebenheiten anpassend bedeutet dies diplomatische Interaktion, gesellschaftliche Aufklärung, Bildung und – wahrscheinlich am wichtigsten – das Wirken vieler durch ihr Vorbild und einen dem Staat und seinen Institutionen abgetrotzten Gemeinsinn, der den propagierten Individualismus bricht.
Ein Credo der Freiheitsbewegung findet sich im Slogan „Widerstand ist Leben“. Es geht dabei um Selbstermächtigung. Jenen entgegentreten, die meinen, Macht ausüben zu dürfen. Entschlossen für ein selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit eintreten und dieses verteidigen. Trotz Erschöpfung und Niederlagen nicht ans Aufgeben denken … Das hört sich alles anstrengend an. Aber schon der kleinste Erfolg kann unendliche Kraft verleihen. Wer nicht bereit ist, sich mit Brotkrumen abzufinden, spürt nach der Übernahme der Bäckerei das berauschende Gefühl des Gelingens, das im gemeinsamen Singen und Tanzen seinen Ausdruck findet. Befreiung.
Ein Hoffnung spendendes Versprechen der PKK-Bewegung ist das Erscheinen des Lichts am Ende der Dunkelheit. Es zeugt von dem unerschütterlichen Glauben an eine Wendung zum Guten und erinnert an den Text von Rio Reiser der Gruppe „Ton Steine Scherben“: „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten … und ich weiß, wir werden die Sonne seh’n“.
Lassen wir uns in diesem dunklen November anstecken von der Hoffnung auf die Wiederkehr der Sonne. Es ist dieselbe Hoffnung, die vor 46 Jahren zur Gründung der PKK führte. Lassen wir uns inspirieren vom Mut und der Entschlossenheit, mit der sich damals eine Handvoll Menschen aufmachte, ein Leben in Freiheit und Würde zu suchen, zu erkämpfen. Der Weg ist weit, mühsam und dauert an. Aber er lohnt sich.
Sagen wir heute Danke zu Abdullah Öcalan, der mit seinen Schriften zum Wegbereiter für eine andere Welt wurde, in der hegemoniale Gewalt der Nationalstaaten Geschichte ist, die ohne Grenzen auskommt und durch die Kraft der Gemeinschaft ein freies Leben aller ermöglicht. Vergessen wir auch nicht die vielen, die auf dem Weg zur Freiheit gefallen sind. Ihr Vermächtnis gibt Ansporn und Mut.