„Gurbet’s Diary” im Lausanner Kunstmuseum

Das Kantonale Kunstmuseum Lausanne zeigt im Rahmen einer Gruppenausstellung mit dem Titel „Widerstand leisten, noch und noch“ die Installation „Gurbet’s Diary” der Künstlerin Banu Cennetoğlu. Das Werk ist eine Hommage an Gurbetelli Ersöz.

Das Kantonale Kunstmuseum Lausanne in der Schweiz zeigt seit einigen Tagen die Gruppenausstellung „Widerstand leisten, noch und noch“. Die Kunstausstellung – die letzte, die Museumsdirektor Bernard Fibicher vor seinem Ruhestand kuratiert, veranschaulicht individuelle und kollektive Strategien des Widerstands, die von Kunstschaffenden angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit als Strategien des Überlebens entwickelt wurden. Dazu gehörten Rückzug, Schweigen, Resilienz, Zetermordio, Empörung, Protest, Aktion, Reflexion, Satire und Humor. Weil Kunstschaffende im Bereich des „Überflüssigen“ arbeiten und sich nicht in irgendeine „Ordnung der Dinge“ einfügen müssen, könnten sie es sich leisten, alle grundlegenden Fragen zu stellen, ohne sich einem politischen, religiösen, wirtschaftlichen, moralischen oder gar ästhetischen Kontext zu beugen. Gezeigt wird in Lausanne auch „Gurbet’s Diary” der türkischen Konzept- und Installationskünstlerin Banu Cennetoğlu.

Hommage an Gurbetelli Ersöz

„Gurbet’s Diary“ ist eine Hommage an Gurbetelli Ersöz, Chemikerin, Journalistin und erste weibliche Chefredakteurin einer Zeitung in der Türkei. Nachdem sie Ende 1993 aufgrund ihrer Tätigkeit für die Özgür Gündem verhaftet, ins Gefängnis geworfen und gefoltert worden war, entschied sich Ersöz, zu den Waffen zu greifen und sich der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzuschließen. Von ihrem ersten Tag in den Bergen an einem Sommertag im Jahr 1995 bis zu ihrem Tod am 8. Oktober 1997 im Südkrieg führte sie ein Tagebuch. 1998 wurde dieses Buch erstmals in Deutschland veröffentlicht und 2014 auch in der Originalsprache Türkisch publiziert. In der Türkei ist es jedoch verboten. Die lithografischen Kalksteinplatten im stählernen Regal von Banu Cennetoğlus „Gurbet’s Diary“ (2016-2017) enthalten sämtliche Passagen des Tagebuchs in ihrer griechischen Übersetzung. Entstanden ist dieses Werk anlässlich der documenta 14 (2017) in Athen, wo es im Park der Gennadius-Bibliothek präsentiert wurde. Der druckfertige Text des Tagebuchs bildet zugleich eine schwere Skulptur, eine Wand und ein Mahnmal.

Fibicher: Kultur durch Aufbau alternativer Welt schon immer Kraft des Widerstands

Laut Bernard Fibicher ist Kunst und die Kultur ganz allgemein durch den Aufbau einer alternativen Welt schon immer eine Kraft des Widerstands gewesen. Nachdenken und einen Weg finden, um anders zu handeln, bedeute, sich nicht mit dem Bestehenden zufrieden zu geben. Ihn in der Idee bestärkt, die exemplarische Rolle der Kunst als Übungsfeld für die Konzeption und Gestaltung von Widerstand in den Fokus zu rücken, hätten alle Formen des Widerstands, die in den letzten zehn Jahren weltweit beobachten werden konnten. Die Gelbwesten in Frankreich etwa, die #MeeToo-Bewegung gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe gegen Frauen, Black Lives Matter gegen Gewalt gegen Schwarze beziehungsweise People of Color oder auch die Regenschirm-Revolution in Hongkong. Eine wichtige Rolle spielte laut Fibicher auch die wachsende Zahl von Menschen, die sich mit Worten und Taten gegen alle möglichen „Systeme“ auflehnten – von Tierversuchen über Massenabholzung bis zu Globalisierung, weißer Vorherrschaft oder sexistischer Werbung.

Bloß keine Agitprop-Ausstellung, sondern ausdrucksstarke Werke

Bei der Auswahl der Werke achtete Bernard Fibicher darauf, dass es „auf keinen Fall“ eine „politische“ oder Agitprop-Ausstellung wird. Das Ziel sei gewesen, „ausdrucksstarke Werke zu finden, die nur ihre eigene Botschaft haben“ – und die für sich selbst funktionieren, ohne einen Gedanken, eine Theorie oder eine Bewegung zu verkörpern, die von außerhalb der Kunst kommt. Die insgesamt zwölf an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen und Künstler setzten auf ganz unterschiedliche Widerstandstechniken, die von einem „visuellen Schock“ (Margolles, Cahn) bis hin zu einer „extrem differenzierten Wahrnehmungserfahrung“ (Anwar, Kimsooja) reichten. „Die Ausstellung soll eher die vielfältigen Formen des Widerstands aufzeigen als die Vielfalt der möglichen Themen“, sagt Fibicher. Den Museen komme im Kontext des Widerstands gerade in einer Zeit, in der alles dazu tendiere, sich zu „entmaterialisieren und binär zu funktionieren“, eine äußerst wichtige Rolle zu. „Das Museum stellt unsere Gewissheiten in Frage und lehrt uns, die Welt auf eine andere, nuanciertere, offenere und partizipativere Weise wahrzunehmen. Es ist ein ideales Übungsfeld, um die positive Dynamik des Widerstands zu verstehen, aber auch um lähmende Widerstände, wie etwa die Angst vor zeitgenössischer Kunst, zu überwinden.“

„Widerstand leisten, noch und noch“ wird noch bis zum 15. Mai im Kantonalen Kunstmuseum von Lausanne. Weitere Informationen finden sich unter: https://www.mcba.ch/de/ausstellungen/widerstand-leisten-noch-und-noch/#description