Der Kampf von Gurbetelli Ersöz

Gurbetelli Ersöz war Revolutionärin, Journalistin und Guerillakämpferin. Vor 22 Jahren kam sie in den Bergen Südkurdistans ums Leben. Ihr Weggefährte Cemal Amed schildert seine Erinnerungen.

Gurbetelli Ersöz, die vor 22 Jahren im Kampf gefallen ist, hinterließ ein wichtiges Erbe. Sie kam am 8. Oktober 1997 gemeinsam mit weiteren Guerillakämpferinnen ums Leben in einem Krieg, den der türkische Staat aufgrund der Kollaboration der PDK gegen die kurdische Freiheitsbewegung beginnen konnte. In den Bergen Kurdistans nannte sie sich Zeynep. Sie spielte sowohl bei der Entwicklung des Frauenbefreiungskampfes als auch im Kampf der freien Medien eine wichtige Rolle. Wie haben mit ihrem Kampfgefährten Cemal Amed über sie gesprochen.

Wo und wie haben Sie Gurbetelli Ersöz kennengelernt? Wie würden Sie ihre grundlegenden Eigenschaften beschreiben?

Zuallererst möchte ich in der Person von Zeynep allen im damaligen Süd-Krieg gefallenen Freundinnen und Freunden meinen Respekt ausdrücken. Ich habe Heval Zeynep zu Beginn des Jahres 1988 in Adana kennengelernt. Sie hatte gerade ihr Studium an der Universität Çukurova beendet und arbeitete dort als Chemische Assistentin. Später nahm sie auch als Hilfsdozentin an den Vorlesungen teil.

Beide empfanden wir zu der Zeit Sympathie für den Kampf. Es war noch in der Zeit vor unserem Anschluss an die Bewegung. Zeynep hatte 1987 an den Jugendarbeiten an der Universität teilgenommen, seit ihrem Schulabschluss hatte sie Verbindungen und war aktiv. Angeschlossen hat sie sich im Januar 1990.

Bevor ich Zeynep kennenlernte, hatte ich Orhan Ersöz (Doktor Agir), ihren später gefallenen jüngeren Bruder kennengelernt. Ein gemeinsamer Verwandter hatte uns in Adana einander vorgestellt. Er studierte zu der Zeit im ersten Semester Medizin. Auf dem Weg nach Hause wollten wir seine Schwester von der Fakultät abholen. Wir fuhren zu ihrem Arbeitsplatz, im Auto lief eine Kassette mit Gedichten von Ahmed Arif. Wir begrüßten uns nur kurz, und dann hörten wir die ‚Notizen der Burg von Diyarbekir‘ und das Gedicht ‚Adiloş Bebe‘, die sie begleitend mitsprach. So verlief unsere erste Begegnung.

Direkt im Anschluss an die Gedichte begann sie von ihrem Geburtsort Çewlîg (Bingöl) zu sprechen. Sie fragte, ob ich ihr Dorf Ziver kennen würde und zeigte, nachdem wir Zuhause angekommen waren, sofort die Fotos aus dem Dorf, die sie während des Sommerurlaubs dort gemacht hatte. Ihre große Sehnsucht nach Kurdistan, ihrem Geburtsort, dem Dorf, den Bergen und dem Wasser fiel einem sofort auf.

Sie erlebte die tiefen Widersprüche, in Kurdistan geboren zu sein, in jungen Jahren in die Türkei migriert zu sein und die von dem türkischen Staat verübten Massaker und die Assimilation erlebt zu haben. Unter dem Eindruck unseres sich entwickelnden Kampfes hinterließen die Erzählungen von Familienangehörigen über den Aufstand von Şêx Said bei ihr großen Eindruck. Als sie erwachsen war, studierte sie in der Türkei und zeigte eine ihr eigene, in der kurdischen Gesellschaft verbreitete aufständische und überzeugungsstarke Persönlichkeit. Ihre Wut auf den Feind und die Kollaboration war sehr groß.

Theorie war eine große Stärke von ihr. Ihre intellektuellen Eigenschaften waren ausgeprägt. Jedoch machte sie das nicht überheblich. Sie war eine bescheidene Kämpferin voller Selbstvertrauen. Sie war stark, hatte einen starken Willen. Sie verfolgte die Veröffentlichungen der Partei genau und gab sich viel Mühe mit ihrer eigenen Weiterbildung und der ihres Umfelds. Sie hatte sehr enge und warmherzige Beziehungen zu jungen Menschen und brachte großes Interesse sowohl den Studierenden als auch der Jugend in ihrem weitläufigen familiären Umfeld entgegen. Sie verhielt sich ausgesprochen sozial, pflegte starke soziale Beziehungen. Das beeindruckte viele und brachte ihr den Respekt auch von älteren Freundinnen und Freunden und Verwandten ein.

Wie war die Einstellung und Haltung von Gurbetelli Ersöz zur Revolution?

Es war eine in diesen Jahren natürliche, auf unserem revolutionären Verständnis von der Freiheit des Volkes Kurdistans und der Sicherung der Einheit des auf vier Teile verteilten Kurdistans aufgebaute Haltung. Sie hatte eine tiefe Überzeugung, dass unser Kampf unter der Führung von Abdullah Öcalan und der PKK ganz sicher Ergebnisse erzielen wird. Sie hatte auch bestimmte Teile der marxistischen und sozialistischen Theorie gelesen und bezeichnete sich selbst als Sozialistin. Sie beschäftigte sich zudem viel damit, diesbezügliche Widersprüche nationaler, gesellschaftlicher Art und auch Geschlechterwidersprüche zu lösen. Durch ihre systematischen Recherchen wurde ihr Kampf revolutionär.

1995 traf sie Abdullah Öcalan. Die eigene Geschichte, Gesellschaft, und das eigene Geschlecht zu entdecken, indem sie die gesellschaftliche Realität der kurdischen Frau und des kurdischen Mannes anhand ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrer eigenen Praxis hinterfragte, entsprach ihrem Verständnis von Revolution. Gegen den kulturellen Genozid des faschistischen, kolonialistischen und völkermordenden türkischen Staates vollzog sie eine Kulturrevolution in der eigenen Persönlichkeit. So entwickelte sie ein Bewusstsein, hatte Empfindungen und Entschlusskraft aufgrund einer neu wahrgenommenen historischen gesellschaftlichen Realität. Mit dem, was sie in Bezug auf die Haltung der Guerilla zum Land, die Frauenbefreiung und die revolutionäre Linie unserer Partei hervorgebracht und als eine revolutionäre Militante und Anführerin vertieft und verstetigt hat, hinterließ Heval Zeynep uns ein großes Erbe.

Zeyneps Haltung zur Revolution sowie die von ihr betonten Grundlagen eines revolutionären Lebens haben einen besonderen Stil geprägt. In den zehn Jahren ihres aktiven Kampfes war sie natürlich in unterschiedlichen Bereichen tätig. Zwei Jahre befand sie sich sowieso erstmal im Gefängnis von Malatya. Im Anschluss daran arbeitete sie im Pressebereich und danach schloss sie sich dem Guerillakampf an. Sie hat in jedem dieser Bereiche kritische Situationen erlebt. Jedoch hat sie niemals über Schwierigkeiten geklagt und niemals verzagt. Im Gegenteil ist sie aus schwierigen Situationen gestärkt hervorgegangen. Sie hat immer viel Kraft darauf verwandt, Lösungswege zu finden. Parallel zum Kampf gegen den Feind führte sie innerhalb der Organisation einen Kampf um Geschlechter- und Klassengerechtigkeit. Der ideologische Kampf war ein Schwerpunkt für sie, bei sich selbst beginnend führte sie ihn in jedem Umfeld, in dem sie sich befand. Aus diesem Grund wuchsen ihre Willensstärke, ihr Verständnis und ihre Motivation immer weiter. Sie versuchte ihre Fähigkeiten zur Entwicklung von revolutionären Lösungswegen stets mit ihren Genossinnen und Genossen zu teilen.

Wie ist die Rolle von Gurbetelli Ersöz bei der Entwicklung der kurdischen Pressearbeit zu verstehen?

Heval Zeynep ist 1992 nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis von Abdullah Öcalan mit der Pressearbeit betraut worden. Hier war sie bis Ende 1994 aktiv tätig. In dieser Zeit führte das Trio Çiller, Doğan, Ağar einen Vernichtungskrieg gegen das Volk in Kurdistan, um unseren Kampf zu zerstören. Sie erhielten dafür internationale Unterstützung und hatten eine ähnliche Positionierung wie die faschistischen Chefs Erdoğan-Bahçeli-Perinçek heute. Tausende unserer Dörfer wurden niedergebrannt und zerstört. Durch Kontra Hizbullah, Jitem, MIT, ‚Dorfschützer‘ wurden Tausende Menschen hingerichtet und Zehntausende zur Flucht gezwungen. In Kurdistan wurden jede Form der Spezialkriegsführung und Massaker durchgeführt, um den Genozid an den Kurden zu vollenden. Einer der durch diese Angriffe auf unser Volk, die Existenz unseres Volkes und den Freiheitskampf am meisten belasteten Arbeitsbereiche war die Pressearbeit und Heval Zeynep ist als Chefredakteurin der Zeitung „Özgür Gündem“ in dieser intensiven Phase der Angriffe die Stimme des heldenhaften Widerstandes gewesen. Sie hat einen großen Kampf geführt, mit dem sie Luft zum Atmen geschaffen hat. Es wurden tagtäglich Zeitungsverteiler, Autoren und Journalisten hingerichtet oder entführt und gefoltert, da war es wichtig, auf keinen Fall Zugeständnisse in Bezug auf die Werte unseres Kampfes und die Linie unserer Pressearbeit zu machen und es wurde kein Schritt zurückgewichen. Heval Zeynep war die Stimme des Kampfes, angesichts dieser feindlichen Angriffe und Massaker den Feind zu entlarven. Und sie war mehr als das, sie spielte auch eine große Rolle dabei, die beste Form und das beste Verständnis der Guerilla-Berichterstattung zu entwickeln.

Es war ein wichtiger Prozess des historischen Widerstandes, in dem unsere Medienarbeit sehr effektiv war und wir aus heutiger Sicht gleichzeitig große Schlussfolgerungen ziehen mussten. Medienarbeit sollte immer mehr sein als nur Berichterstattung. Sie ist eine wichtige Ebene des Existenz- und Freiheitskampfes unseres Volkes. Die Medienarbeit formt das Verständnis und die Linie innerhalb des Gesamtkampfes, auf dieser Grundlage haben große Kämpfe bis heute stattgefunden. In diesem Sinne ist die Medienarbeit eine Universität, eine Kommune. Eng verbunden mit der Bevölkerung ist sie ein Kampfbereich gegen den Feind nicht nur mit Wort und Schrift, sondern auch mit dem Leben und der Aktion. Aus diesen Gründen ist die Presse auch einer der wichtigsten Bereiche für den Anschluss an die Guerilla.

Dass sich die kurdischen Medien in den Jahren so widerständig und revolutionär entwickelt haben, liegt an der bezeichnenden Rolle von zahlreichen Gefallenen aus der Pressearbeit jener Zeit. Auch wenn großer Einsatz gezeigt wird, um diese Linie bis heute fortzusetzen, müssen wir gegenwärtig auftretende Schwächen analysieren und überwinden, um unserer Verantwortung gegenüber den Gefallenen gerecht zu werden.

Dem Feind ist es trotz aller Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen nicht gelungen, unsere Medienarbeit von der Realität unseres Volkes und der Freiheitslinie zu distanzieren. Weil er keine Kapitulation erwirken konnte, hat er 1994 einen Bombenanschlag auf die Tageszeitung „Özgür Gündem“ verübt und einen Generalangriff gegen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unternommen. Heval Zeynep wurde verfolgt und konnte ihre Arbeit im legalen Bereich nicht mehr fortsetzen. 1994 ging sie zu Abdullah Öcalan an die Akademie, um fortan als Guerillera weiterzukämpfen.

Wie haben Sie vom Tod von Gurbetelli Ersöz erfahren?

1997 hat der „Südkrieg“ gegen unsere Bewegung stattgefunden. Ich war damals im Gefängnis von Siirt. Wir haben zu der Zeit die Entwicklungen versucht zu verfolgen. An einem Tag Anfang 1998 hat mir der Direktor des Gefängnisses einen Umschlag gebracht. Er war von einem Absender aus Europa geschickt worden. Darin war das Tagebuch von Gurbetelli Ersöz. Am Anfang konnte ich es nicht begreifen. Es gab auch nicht den kürzesten Brief dabei. Ich habe sofort angefangen, das Tagebuch zu lesen. Immer noch nicht hatte ich verstanden, dass sie gefallen war. Dann las ich darin, dass der Freund Salih (Hasan Ağaç) in Hewlêr bei einem Angriff der PDK gefallen war. Da ich den Freund und seine Familie kannte, war ich sehr betroffen und in dem Moment habe ich begriffen, dass auch Heval Zeynep gefallen sein muss. Aber ich war mir noch nicht ganz sicher. Auch wenn ich mir vorstellte, dass das Tagebuch auf diesem Weg bis ins Gefängnis von Siirt gekommen ist, weil sie gefallen ist, war ich mir doch noch nicht sicher. Eine kurze Weile später war über die Presse von ihrem Tod zu erfahren, so hatte ich letztendlich die Gewissheit erhalten.

Ich habe sozusagen von ihrem Tod durch ihre eigenen Schriften erfahren. Wie alle unsere Gefallenen erleuchtet auch Heval Zeynep mit ihrem Leben und ihrem Kampf wie mit ihrem Tod fortan unseren Weg.

In eigenen Worten: Der Lebenslauf von Gurbetelli Ersöz

Mein Name ist Gurbetelli Ersöz (Zozan, Zekiye, Zeynep). Momentan verwende ich den Codenamen Zeynep. Ich wurde am 11. Juli 1965 in der Provinz Bingöl im Kreis Palu im Dorf Akbulut (Ziver[1]) geboren. Meine Familie lebt zurzeit in Adana.

Ich habe von 1970 bis 1975 die Grundschule in Ziver besucht. Von 1976 bis 1979 war ich auf der Atatürk-Mittelschule in Adana und von 1979 bis 1983 als Internatsschülerin auf der Laborfachschule in Adana. Von 1983 bis 1987 habe ich an der Fakultät für Natur- und Literaturwissenschaften der Çukurova-Universität Chemie studiert und das naturwissenschaftliche Institut 1990 im letzten Semester verlassen.

Meine schulischen Leistungen waren vor allem in den letzten Jahren gut bis sehr gut. Obwohl ich insbesondere die Sozialwissenschaften mochte, habe ich Naturwissenschaften studiert. Ich habe alle Prüfungen bestanden. Schwierigkeiten hatte ich in der Schule hingegen mit der Schulverwaltung und ihren Maßnahmen, aber meist ist es mir gelungen, diese zu meinem Vorteil auszulegen. Während meiner Schullaufbahn wurde ich aus politischen Gründen mehrmals an den Disziplinarausschuss verwiesen. Zu Sanktionen kam es jedoch nicht. Ich wollte Journalismus, Jura und Politikwissenschaften studieren, aber es blieb bei den Naturwissenschaften.

Ich spreche Türkisch, Kurdisch (Dimili kann ich gut, Kurmanci wenig) und Englisch, was ich an der Universität gelernt habe. Da ich seit einem Jahr kein Englisch mehr gesprochen habe, ist es schlechter geworden.

Bis ich Revolutionärin wurde, also bis zum dritten Studienjahr 1986, hat meine Familie meinen Lebensunterhalt finanziert. Im letzten Jahr habe ich nachts im Computerzentrum der Çukurova-Universität gearbeitet. Im Anschluss an die Universität war ich drei Jahre lang als Forschungsassistentin im Fachbereich Chemie tätig. Mein Gehalt lag etwas über dem Standard. Ich kann mit Computern umgehen. Die letzten beiden Jahre habe ich als Journalistin gearbeitet.

Ich bin Revolutionärin geworden, weil ich in der Region aufgewachsen bin, in der der Aufstand von Şêx Said stattgefunden hatte und ich viele Widersprüche in meinem Schul- und Arbeitsleben erlebte. Mein Umfeld und meine kurdische Realität beeinflussten mich und mir wurde bewusst, dass es für mein Volk keinen Nutzen bringt, wenn ich mich in staatlichen Strukturen bewege.

Mein revolutionäres Leben hat mit dem Kontakt zur Partei[2] begonnen. Zuvor hatte ich Diskussionen mit verschiedenen türkischen linken Gruppen geführt, mich jedoch keiner dieser Gruppen angeschlossen. In den Jahren 1983 bis 1984, bevor ich die Partei kennenlernte, habe ich gemeinsam mit anderen eine patriotische Gruppe gegründet. Wir haben vier Jahre lang die patriotische Jugend organisiert, ohne Kontakt zur Partei zu haben. Ende 1987 nahm die Partei in Adana Kontakt zu uns auf. Trotz Unterbrechungen riss der Kontakt nie ganz ab. Bis 1989 war ich in der patriotischen Jugend aktiv, anschließend habe ich halblegal und illegal gearbeitet. Anfang Januar 1990 habe ich mich der Partei angeschlossen. Die ersten Parteimitglieder, die ich kennenlernte, waren Pipo Şemsettin Kara, Seyfettin Rüzgar Mesut (Zaza Hasan) und Emel Çelebi, die später gefallen ist.

1990 war ich sechs Monate an der Parteiakademie[3] und wurde Ende September als Verantwortliche für fünf Freund*innen in der Region Çukurova in die Organisierungsarbeit unter der Stadtbevölkerung geschickt. Am 10. Dezember 1990 wurde ich festgenommen. Vor mir war bereits eine Person festgenommen worden, die meinen Aufenthaltsort verraten hatte, woraufhin mich der Hausbesitzer der Polizei auslieferte. Mein Verhör dauerte fünfzehn Tage. Ich wurde sehr schwer gefoltert. Der Feind bekam nichts von materiellem Wert in die Hände und auch meine Kontaktperson wurde nicht festgenommen. Den historischen Widerstand einer PKK-Militanten habe ich dennoch nicht leisten können. Ich wurde in das Gefängnis von Malatya verlegt, wo ich der Partei gegenüber eine Selbstkritik zu meiner Haltung und Praxis im Verhör ablegte. Lange Zeit war ich die einzige Angeklagte bei den Gerichtsverhandlungen. Dann wurde mein Verfahren mit dem einer anderen Freundin zusammengelegt. Ich wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu zehn Jahren Haft verurteilt, die andere Freundin zu acht Jahren und vier Monaten. Der Partei liegt ein umfassender Bericht zu dieser Zeit vor. Nach Paragraf 3713 des Antiterrorgesetzes wurde ich nach einem Fünftel meiner Haftstrafe, also nach zwei Jahren, entlassen.

Die Partei gab mir eine legale Aufgabe bei der Zeitung Özgür Gündem. Bei einer Razzia am 10. Dezember 1993 im Verlagsgebäude wurde ich erneut festgenommen. Dieses Mal wurde ich den Anforderungen gerecht. Ich wurde verhaftet und war sechs Monate im Gefängnis Sağmalcılar. Bei der ersten Verhandlung im Juni 1994 wurde ich entlassen. Danach arbeitete ich bei der Zeitung Özgür Ülke auf verantwortlicher Ebene.

Die Aufgaben, die ich bisher in der Organisation übernommen habe, waren eine verantwortliche Position an der Universität sowie die Redaktionsarbeit an der Akademie, wo ich auch in der Leitung war. Bei der anschließenden Tätigkeit war ich verantwortlich für das Gebiet Çukurova, im Gefängnis verantwortlich für die politische Koordinierung und bei der Zeitung war ich die Verantwortliche.

Ich bin emotional, ungeduldig und voller Tatendrang. Meine Emotionalität liegt in meiner Familie begründet – eine Familieneigenschaft – und in meinem Humanismus. Aufgrund meiner Ungeduld will ich immer, dass alles sofort getan wird. Mein Tatendrang führt dazu, dass ich alles wissen und tun will. Wenn ich mit irgendeiner Arbeit oder Initiative keine positiven Ergebnisse erziele, bin ich niedergeschlagen und bedrückt.

Zu meiner wirtschaftlichen und sozialen Herkunft: Meine Familie ist Teil des Mittelstandes. Mein Vater ist Rentner. Er war eine Zeitlang als Arbeiter in Deutschland tätig und kehrte 1975 zurück. Mein großer Bruder ist Arzt. Er lebt nicht bei unserer Familie, unterstützt sie jedoch materiell. Ich habe keinen Besitz. Drei meiner Geschwister studieren, eine Schwester ist bei der Partei, ein Bruder ist gefallen. Meine Verwandtschaft väterlicherseits ist wohlhabend, lehnt jedoch meine Familie seit meinem Beitritt zur Partei ab. Mein jüngerer Bruder Dr. Orhan (Agir) ist am 30. August 1994 im Gebiet zwischen Lice und Hazro gefallen. Meine jüngere Schwester Rewşen ist auch bei der Partei. Mein familiäres Umfeld war früher konservativ. Bereits in der Grundschule habe ich etliche Male den Koran gelesen. In der Mittelschule habe ich damit aufgehört, da ich das Gelesene nicht verstand. Unser Umfeld ist nach wie vor konservativ. Unsere Stammesbeziehungen sind nicht sehr ausgeprägt. Einhergehend mit der Entwicklung des Kampfes haben sich viele der Partei angeschlossen, aber die Angst ist immer noch nicht ganz überwunden. Der Staat hält das Dorf und seine Bewohner unter ständiger Kontrolle und übt permanent Druck aus. In unserem Umfeld gibt es viele intellektuelle Jugendliche. Die Jugend von 1972, darunter Ingenieure, Anwälte usw., hat den Kampf zwar als gerechtfertigt betrachtet, die Beziehung zum Staat jedoch nicht abgebrochen. Viele aus der späteren intellektuellen Jugend haben sich der Partei angeschlossen.

Ich bin nicht verheiratet. Vor Jahren gab es einen Freund, der eine große Bedeutung für mich hatte. Er ist jetzt im Gefängnis und wurde verurteilt. Für mich stellt das kein Problem dar. Auch in früheren Jahren habe ich nie daran gedacht zu heiraten. Die gewöhnlichen Ehen innerhalb des Systems hasse ich geradezu. Eine Zeitlang hat meine Familie in dieser Hinsicht Druck auf mich ausgeübt, ich habe mich jedoch geweigert. Ich wollte immer, dass die Person, die ich lieben könnte, ganz anders sei als die gewöhnliche Gesellschaft. Ich wollte einen Menschen finden, dessen innere Schönheit so weit entwickelt war, dass man ihn lieben könnte. Heute sehe ich diese Thematik unter dem Blickwinkel des Kampfes. Wem die eigene Befreiung nicht gelingt, für den ist eine solche Beziehung der Tod, und einen solchen Tod lehne ich vehement ab. Ich merke jedoch, dass ich mich mit den Analysen der Partei und des Parteivorsitzenden zu diesem Thema noch mehr beschäftigen muss.

In diesem Rahmen habe ich also eine Persönlichkeitsstruktur, die vom Feudalismus geprägt ist, kleinbürgerliche Eigenschaften beinhaltet, von bürokratischen Strukturen beeinflusst ist und Schwierigkeiten damit hat, die intellektuelle Verbundenheit zum Kemalismus zu überwinden. Ich neige dazu, meine ideologischen Kenntnisse nicht zu vertiefen, und sträube mich geradezu dagegen, mich zu politisieren. Betrachtet man all die Möglichkeiten, die mir die Partei geboten hat, und dazu die ganze Zeit, die bereits vergangen ist, wird offensichtlich, dass ein Rückstand bei den Wertmaßstäben vorliegt, über die eine PKK-Militante verfügen sollte. Insbesondere mein letztes Aufgabenfeld erforderte ideologische Tiefe und politische Voraussicht. Meine diesbezügliche Oberflächlichkeit und Engstirnigkeit, meine unterbliebene Weiterbildung und -entwicklung haben sich sowohl auf mein Umfeld als auch auf die Zeitung ausgewirkt. Bei der Herausbildung von Eigenschaften einer führenden Militanten der Partei gab es objektiv eine zu große Zurückhaltung.

Auf der dritten nationalen Konferenz hat der Parteivorsitzende von Persönlichkeiten und einer Parteipraxis des mittleren Weges gesprochen. Davon bin auch ich betroffen. Ich weiß, dass es sich dabei um eine Schuld handelt. Ich habe das kollektive Arbeiten nicht etabliert, konnte keine Autorität, Initiative und Kontrolle gewährleisten, habe mich mit unnötiger Laufarbeit beschäftigt und die Arbeit insgesamt auf mich konzentriert. Obwohl die Kapazität dafür vorhanden war, ist die Weiterentwicklung hinter den Erfordernissen der Zeit zurückgeblieben, da die gesamte Kraft falsch mobilisiert wurde. Im Aufgabenbereich wurde zwar die Parteiautorität durchgesetzt, aber nicht auf dem erforderlichen Niveau. Die Kaderpolitik der Partei wurde ebenfalls nicht auf gewünschtem Niveau umgesetzt. Es fehlte die notwendige Voraussicht und die zum Schutz getroffenen Maßnahmen waren unzureichend. So konnte nicht verhindert werden, dass einige Werte dem Feind in die Hand fielen.

Von Zeit zu Zeit wurde sich nach oben geduckt, manchmal wurden in Eigeninitiative Parteianweisungen zur Diskussion gestellt. Selten kam es auch dazu, sich auf die eigene Funktion zu berufen, wenn die Kraft für eine Lösung nicht ausreichte. Bestimmte Aufgaben wurden sehr schematisch angegangen, im Stil einer Beamtin. Die Maßstäbe der Partei für den Umgang mit anderen wurden nicht erfüllt. Dabei hatte auch der lange Aufenthalt im legalen Bereich einen Einfluss.

Der Tod von Dr. Agir hat mich negativ beeinflusst. Ich habe sehr emotional auf den frühen Tod des Freundes reagiert. Ich weiß, dass es sich dabei in dieser Etappe des Kampfes um ein Parteivergehen handelt und ich beschäftige mich mit verschiedenen Analysen zu diesem Thema. Ich möchte jedoch erwähnen, dass ich jetzt viel entschlossener bin und auf meiner Weiterentwicklung beharre. Ich möchte von diesem Ort dieses Mal stärker profitieren und die Oberflächlichkeit, die ich das letzte Mal in der Parteizentrale gezeigt habe, nicht wiederholen. Dafür brauche ich die Unterstützung der Leitung und der Freundinnen und Freunde.

15. Dezember 1996, Zeynep


[1] Kurdischer Name des Dorfes

[2] PKK

[3] Im Libanon