Abschiebevereinbarung zwischen Deutschland und Türkei
Die deutsche Bundesregierung hat nach monatelangen Verhandlungen mit der Regierung in Ankara damit begonnen, Asylsuchende in großer Anzahl in die Türkei abzuschieben. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, hat das Erdogan-Regime angeboten, bis zu 500 Staatsangehörige pro Woche aus Deutschland zurückzunehmen. Schon in den nächsten Tagen werden Schutzsuchende in Sammelabschiebungen in die Türkei ausgeliefert. Laut Deportation Alarm soll am 30. September vom Flughafen München aus ein Abschiebeflug in die Türkei starten.
Das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. (Civaka Azad) kritisiert die Abschiebevereinbarung als unvereinbar mit menschenrechtlichen Grundsätzen und weist darauf hin, dass vor allem Kurdinnen und Kurden davon betroffen sind. „Als kurdische Institution in Deutschland fordern wir die Bundesregierung nachdrücklich auf, internationales Recht und die Menschenrechte zu respektieren, einen generellen Abschiebestopp in die Türkei zu verhängen und den rein symbolischen Aktionismus zur Befriedigung rechter und menschenfeindlicher Diskurse sofort zu beenden“, heißt es in einer am Samstag veröffentlichten Stellungnahme des kurdischen Zentrums in Berlin:
Kurd:innen werden Opfer der „Abschiebeoffensive“ der Ampel
Die neue Abschiebevereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Türkei stellt einen weiteren Tiefpunkt in Bezug auf die Menschenrechte dar und offenbart die Ignoranz staatlicher Behörden, die Realität der kurdischen Gesellschaft in der Türkei anzuerkennen. Kurd:innen drohen damit zu Tausenden zum Opfer der bereits im Koalitionsvertrag angekündigten „Abschiebeoffensive“ der Ampel zu werden.
Zahlreiche Berichte und Gutachten zeichnen insbesondere in Bezug auf die Rechte der Kurdinnen und Kurden ein erschreckendes Bild der menschenrechtlichen Situation in der Türkei. Dabei agiert die türkische Justiz weit entfernt von rechtsstaatlichen Grundsätzen.
In einem kürzlich von Pro Asyl veröffentlichten Gutachten, das die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Wahrung von Verfahrensrechten der türkischen Strafjustiz umfassend untersucht, wird festgehalten, dass in der Türkei das Strafrecht instrumentalisiert wird, um politisch unerwünschtes Handeln zu unterdrücken. Vorwürfe wie Terrorpropaganda werden dabei willkürlich erhoben, und die entsprechenden Strafverfahren verlaufen nicht rechtsstaatlich. Betroffene haben keine Möglichkeit, sich effektiv rechtlich dagegen zu wehren. Besonders gefährdet, Opfer politischer Strafverfolgung zu werden, sind bestimmte Risikogruppen, etwa Oppositionelle oder Personen, die sich zu politisch sensiblen Themen äußern – wobei es oft schwer abzuschätzen ist, wann ein Thema an Brisanz gewinnt. Kurd:innen sind dabei aufgrund ihrer systematischen Diskriminierung und Unterdrückung einem höheren Risiko ausgesetzt als andere Gruppen.
Über 84 Prozent der im vergangenen Jahr von türkischen Staatsangehörigen in Deutschland gestellten Asylanträge stammen von Kurd:innen. Angesichts dessen ist es umso alarmierender, dass die Bundesregierung beschlossen hat, Menschen in einen Staat abzuschieben, in dem grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien nicht gewahrt werden. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass Abgeschobene willkürlichen staatlichen Repressionen und schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
Deutschland macht sich mitschuldig
Kurd:innen benötigen Schutz vor dem Erdoğan-Regime und vor willkürlicher staatlicher Verfolgung. Das neue Abkommen steht im klaren Widerspruch zu den Entscheidungen deutscher Gerichte. Auch wenn viele Asylanträge abgelehnt werden, erkennen einige Gerichte unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Abschiebungsverbote in die Türkei gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG an. Laut dieser Norm darf eine Abschiebung nicht erfolgen, wenn der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht garantiert ist. Insbesondere nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher bzw. erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt werden. Einige deutsche Gerichte sehen diese Situation zutreffenderweise eindeutig als problematisch an. Sie betonen in ihren Urteilen, dass Personen, die in der Türkei willkürlich wegen Terrorismusvorwürfen angeklagt werden, mit Verfahren zu rechnen haben, die nicht den rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen und Foltergefahr beinhalten können.Eine grundsätzliche Anerkennung des Flüchtlingsschutzes für Kurd:innen, die in Deutschland Asyl beantragen, gibt es jedoch nicht.
Die systematische Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze ist seit dem Putschversuch von 2016 in der Türkei sichtbarer geworden. Minderheiten und Oppositionelle werden verfolgt und die Femizide befinden sich im internationalen Vergleich auf einem Höchststand.Vor diesem Hintergrund fordern wir als kurdische Institution in Deutschland die Bundesregierung nachdrücklich auf, internationales Recht und die Menschenrechte zu respektieren, einen generellen Abschiebestopp in die Türkei zu verhängen und den rein symbolischen Aktionismus zur Befriedigung rechter und menschenfeindlicher Diskurse sofort zu beenden.
Besonders absurd ist die Tatsache, dass gerade die Kurd:innen es waren, die sich entschlossen gegen den politischen Islamismus gewehrt haben, indem sie mutig gegen den sogenannten IS kämpften, und nun in ein Land abgeschoben werden sollen, dessen Staatspräsident sich in der gesamten Region eindeutig auf die Seite der Islamisten stellt.
Indem Deutschland vielfach auf dem internationalen Parkett seine schützende Hand über die Türkei gehalten hat oder diese mittels Geldzahlungen und Waffenlieferungen unterstützt hat, trägt es eine Mitschuld für die kurdischen Fluchtbewegungen aus der Türkei. Deutschland sollte daher seine wirtschaftliche Stärke und die engen Beziehungen zur Türkei nutzen, um auf eine friedliche Lösung der kurdischen Frage hinzuwirken. Nur auf diesem Weg kann langfristig sichergestellt werden, dass die Lebensbedingungen für Kurd:innen in der Türkei menschenwürdig werden und sie nicht länger aufgrund von Unterdrückung, Verfolgung und systematischer Repression zur Flucht gezwungen sind.
Foto © Rabia Önver, Colemêrg 2024